Neu-Ulmer Zeitung

Biblische Plage

- VON THOMAS SEIBERT

Insekten Riesige Heuschreck­en-Population­en breiten sich derzeit von Afrika kommend bis nach Asien aus. Ein Schwarm allein kann pro Tag Nahrung für 35 000 Menschen vernichten

Istanbul Seit tausenden von Jahren gehören sie zu den Geißeln der Menschheit im Nahen Osten: Riesige Heuschreck­enschwärme aus hunderten Millionen Insekten können ganze Landstrich­e verheeren und Ernten vernichten. Derzeit sucht die biblische Plage wieder mehrere Länder der Region heim – und zwar in einem Ausmaß, das der UNO ernste Sorgen macht. Sie hat Vertreter der betroffene­n Länder zu einem Sondertref­fen in Jordanien eingeladen, um über koordinier­te Abwehrmaßn­ahmen zu beraten.

Ergiebige Regenfälle in Eritrea und im Sudan in den vergangene­n Monaten haben die Voraussetz­ungen für die massenhaft­e Ausbreitun­g der Wüstenheus­chrecken geschaffen. Die sprießende Vegetation stellt so viel Nahrung zur Verfügung, dass es seit Oktober bereits zwei Paarungsze­iten gegeben hat, wie die UN-Ernährungs­organisati­on FAO mitteilte. Viele der Wanderheus­chrecken ziehen seitdem nach Norden Richtung Ägypten.

Andere Schwärme haben das Rote Meer überquert und sind in Saudi-Arabien eingefalle­n. Im Januar machten die Heuschreck­en bereits den Bewohnern der heiligen Stadt Mekka das Leben schwer. Auch im Innern der normalerwe­ise sehr trockenen Arabischen Halbinsel finden die Heuschreck­en gute Bedingunge­n vor, denn zwei Wirbelstür­me im Winter haben selbst dort für viel Regen gesorgt.

Inzwischen haben sich Teile des Schwarms noch weiter ausgebreit­et und sind in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (UAE) und sogar im Süden Irans eingetroff­en. Die FAO befürchtet, dass die Heuschreck­en bis nach Pakistan und Indien weiterzieh­en könnten.

Denn es könnte bald noch mehr Heuschreck­en geben. Die nächsten drei Monate seien entscheide­nd, um die Population vor Beginn der nächsten Paarungsze­it unter Kontrolle zu bringen, erklärte Keith Cressman, Heuschreck­en-Experte der FAO. Die betroffene­n Länder können allerdings nicht alle Faktoren beeinfluss­en. Wenn es zum Beispiel zwischen März und Mai in Eri- trea, im Sudan und im Inneren der Arabischen Halbinsel erneut stark regnet, wird die Zahl der Insekten weiter zunehmen.

Die Dimensione­n sind potenziell katastroph­al. Eine erwachsene Heuschreck­e frisst pro Tag etwa zwei Gramm Nahrung – so viel, wie sie selbst wiegt. Bei einigen hundert Millionen Tieren in einem Schwarm kann so Tag für Tag Nahrung für 35000 Menschen vernichtet werden, schätzt die FAO. Wenn es genug regnet, wächst die Zahl der Heuschreck­en explosions­artig: Ein Weibchen legt in seinem bis zu fünfmonati­gen Leben rund 300 Eier. Mit Rückenwind kann ein großer Schwarm in einer Flughöhe von bis zu zwei Kilometern eine Strecke von rund 150 Kilometern am Tag zurücklege­n – auch die Überquerun­g von Gewässern wie dem Roten Meer ist kein Problem.

Bei der letzten schweren Heuschreck­enplage vor 15 Jahren flogen Millionen von Insekten nach reichen Regenfälle­n in Marokko und Mauretanie­n über Senegal, Mali und Niger rund 4000 Kilometer nach Osten bis in den Tschad. Einige Gruppen kamen gar bis nach Israel. Die Kosten für die damaligen Ernteausfä­lle wurden auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt, viele Menschen in den kahl gefressene­n Gebieten waren auf Nahrungsmi­ttelhilfe angewiesen.

Eine enge Zusammenar­beit zwischen mehreren westafrika­nischen Ländern hat seitdem weitere Heuschreck­enplagen im Zaum gehalten. Satelliten­bilder sowie Informatio­nen über Regenfälle und Vegetation in den einzelnen Ländern ermögliche­n rechtzeiti­ge Gegenmaßna­hmen wie den gezielten Einsatz von Pestiziden. Cressman und seine FAOKollege­n hoffen, dass Ähnliches jetzt auch in der Nahost-Region gelingen wird. Sie beobachten besonders die Entwicklun­g an den Küsten entlang des Roten Meeres. Seit Dezember lassen die Behörden in mehreren Ländern bereits Pflanzensc­hutzmittel versprühen. Allein in den vergangene­n zwei Wochen behandelte­n sie laut FAO eine Fläche von 30 000 Hektar mit Insektengi­ft. Doch die Zahl der Heuschreck­en ist bereits so groß, dass die Plage allein damit nicht beendet werden kann.

 ?? Foto: Juan Medina, dpa ?? Seit Jahrtausen­den gehören Heuschreck­enschwärme zu den Plagen der Menschheit (hier eine Aufnahme von den Kanarische­n Inseln). So kann man es ja auch schon in der Heiligen Schrift nachlesen.
Foto: Juan Medina, dpa Seit Jahrtausen­den gehören Heuschreck­enschwärme zu den Plagen der Menschheit (hier eine Aufnahme von den Kanarische­n Inseln). So kann man es ja auch schon in der Heiligen Schrift nachlesen.

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