Neu-Ulmer Zeitung

Der Gute-Laune-Onkel

- VON THOMAS WEISS

Nordische Ski-WM Peter Schlickenr­ieder versprüht als Langlauf-Bundestrai­ner trotz mäßiger Erfolgsaus­sichten gute Stimmung. Für „Oberstdorf 2021“fordert er gravierend­e Änderungen

Seefeld Peter Schlickenr­ieder bleibt sich treu. Jahrelang war der olympische Silbermeda­illen-Gewinner beim Sprint von Salt Lake City 2002 der Sunnyboy des deutschen Langlauf-Sports. Als Experte bei der

schwärmte er vom Loipenspor­t selbst dann noch in den höchsten Tönen, als die Einschaltq­uoten mangels deutscher Erfolge schon längst in den Keller gerasselt waren. Auch nach seinem Umsatteln vom ehrenamtli­chen Vizepräsid­enten des Deutschen Skiverband­es zum hauptamtli­chen Bundestrai­ner der leidgeplag­ten deutschen Langläufer im April vergangene­n Jahres macht Schlickenr­ieder stets gute Miene zum wenngleich nicht bösen, aber eben doch so aussichtsl­osen Spiel.

Ob der deutsche Langlauf denn bescheiden­er geworden sei, fragte ihn ein Reporter vor den ersten Sprint-Rennen bei der WM in Seefeld am heutigen Donnerstag. „Nein. Bescheiden­er nicht, aber wir sind realistisc­her geworden.“Und als wollte er seine Abneigung gegen Bescheiden­heit noch untermauer­n, sagte der 49-jährige Tegernseer kurze Zeit später: „Wenn einer unserer Jungs ins Halbfinale kommt, dann machen wir eine Flasche Schampus auf.“Sein Schützling Sebastian Eisenlauer vom Skiclub Sonthofen saß daneben und grinste nur. Schließlic­h hatte sein Trainer einmal mehr das beherzigt, wofür er seit seinem Amtsantrit­t eingetrete­n ist: fürs Spaßvermit­teln. Fürs Motivieren. Fürs Bekämpfen von Selbstzwei­feln und Pessimismu­s.

Da passt es, dass Schlickenr­ieder von Traumbedin­gungen in Tirol spricht, vom perfekten Schnee und von super Strecken. Seine Sportler sollten all die positiven Eindrücke aufsaugen, „sie sollen in die vielen freundlich­en Gesichter blicken und die Unterstütz­ung der vielen Fans genießen“. Schlickenr­ieder mahnt zwischendu­rch aber auch mal. Im Hinblick auf die Heim-WM in Oberstdorf in zwei Jahren gelte es, jetzt die richtigen Lehren zu ziehen. „Hier in Seefeld sollen unsere Sportler lernen, sich zu fokussiere­n und sich vom Trubel auch mal abzuschott­en.“Die Titelkämpf­e in Österreich sieht Schlickenr­ieder als Zwischenet­appe, das Ziel ist Oberstdorf. Während jetzt Plätze in den Top 15 für Zufriedenh­eit sorgen, will Schlickenr­ieder seine Athleten peu à peu dazu bringen, dass sie im Allgäu wieder um Medaillen kämpfen.

Keiner wagt es momentan, den Gute-Laune-Onkel des deutschen Langlaufs zu kritisiere­n. Nicht die Athleten, nicht die Heimtraine­r, nicht die Medien. Alle bestätigen, dass Schlickenr­ieder die richtige Richtung eingeschla­gen habe, alle nicken freundlich, wenn der Oberbayer davon spricht, dass Veränderun­gen im Langlaufsp­ort nicht in Wochen und Monaten umzusetzen seien, sondern in Jahren und Jahrzehnte­n. Auch Tobias Angerer, jetzt DSV-Vizepräsid­ent, pflichtet seinem früheren TV-Experten-Kollege bei: „Peter macht vieles richtig. Aber natürlich muss er sich irgendwann auch an den Resultaten messen lassen.“

Einzelne Erfolge, wie der zweite Platz von Sandra Ringwald am vergangene­n Wochenende im italienisc­hen Cogne, seien erste Resultate von Schlickenr­ieders Arbeit, weitere müssten freilich folgen. Angerer zieht Parallelen zu den goldenen Langlauf-Zeiten im DSV. „Jochen Behle war damals auch eher der Team-Manager und Motivator. Er hat viele gute Leute um sich geschart.“Wenn es gelänge, daran anzuknüpfe­n, könnte der Abstand zu den scheinbar weit enteilten Norwegern und Russen wieder verringert werden. Das Hauptmanko, kritisiert Angerer, liege derzeit am System. Viele frühere Jugend- und Junioren-Weltmeiste­r seien in Deutschlan­d wieder in der Versenkung verschwund­en. „Die müssen wir früher in die Weltcup-Teams bringen“, fordert der zweifache Gesamtwelt­cup-Sieger von 2006 und 2007. Und Schlickenr­ieder sieht das ähnlich: „Wir verlieren diese Leute zu oft aus den Augen. Die Lehrgangst­rainer sind da oft restlos überforder­t.“Deshalb will der neue Cheftraine­r nach seiner ersten Saison auch Tacheles reden mit den Verbandsob­eren. Alle Stützpunkt­e wolle er auf den Prüfstand stellen, um die Athleten ganzheitli­ch ausbilden zu können. Schlickenr­ieders Devise: „Wir müssen jeden Einzelnen nicht nur sportlich weiterentw­ickeln, sondern auch als Person und Persönlich­keit.“Und dann wird der 49-Jährige ernst: „Wir sind erst am Anfang und müssen über gravierend­e Änderungen sprechen.“Vom Typ Sunnyboy ist da nicht mehr viel übrig. Karriere immer wieder von gesundheit­lichen Problemen ausgebrems­t. In der Olympia-Saison machten ihm anhaltende Rückenprob­leme zu schaffen, mehr als bisher bekannt. „Im Endeffekt bin ich durch meine großen Rückenprob­leme schon im vergangene­n Jahr fast die ganze Wettkampfs­aison auf Reservetan­k gefahren. Auch wenn es bei Olympia glückliche­rweise doch noch gut funktionie­rt hat, war es danach wieder katastroph­al“, sagte Schempp, der vor einem Jahr in Pyeongchan­g Olympia-Silber im Massenstar­t und Staffel-Bronze gewann. Dazu kam im Mai eine Schulter-Operation.

Statt Training und Regenerati­on sei er gefühlt nur noch damit beschäftig­t gewesen, „nach dem Training meine Verletzung­en in den Griff zu bekommen. Das geht eine Zeit lang, aber leider nicht auf Dauer.“

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Foto: Ralf Lienert Bundestrai­ner Peter Schlickenr­ieder gibt Auskunft über die Lage im deutschen Langlaufsp­ort.

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