Neu-Ulmer Zeitung

Blutrache: Versuch mit Kunstleich­e

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Prozess In der Verhandlun­g um den „Hammermord“an einem Baggersee greift die Verteidigu­ng des Angeklagte­n zu ungewöhnli­chen Mitteln, um den Angeklagte­n zu entlasten

Ulm Das Schwurgeri­cht hat ihr Beweisaufn­ahmeprogra­mm Erbacher Blutrache-Prozess absolviert. Jetzt schlägt die Stunde der Verteidigu­ng, die immer wieder zum Teil zeitaufwen­dige Gegenbewei­santräge stellt, die den Verhandlun­gsverlauf um mehrere Monate verlängern können. Solche wurden von der Kammer in den vergangene­n Prozesstag­en abgeschmet­tert. Doch ein Antrag wurde entgegenge­nommen, der beweisen soll, dass ein ominöser Albaner namens „Don“der alleinige Täter in diesem aufsehener­regenden Fall gewesen soll.

Um diesen Verdacht zu erhärteten, beantragte­n die beiden Verteidige­r einen Sachverstä­ndigen, um prüfen zu lassen, ob die Leiche eines 19-Jährigen vom Tatort an den nahe gelegenen Anglersee im Gewann Ried am westlichen Ortsrand von Erbach von einem Mann allein, eben jenem Don, geschleppt werden konnte.

Der Indizienpr­ozess ist seit April 2018 im Gange. Der Angeklagte schweigt. Exakt ein Jahr zuvor wurde ein gerade mal 18-jähriger Albaner in Erbach mit unvorstell­barer Grausamkei­t mit neun Hammerschl­ägen getötet und im 70 Meter entfernten See verpackt, verklebt und mit einem 18 Kilogramm schweren Betonsturz beschwert, versenkt. Der Getötete wog 64 Kilogramm, wie aus den Polizeiakt­en hervorgeht. Denn er wurde nach einer Verhaftung wegen eines Drogendeli­ktes in Nordrhein-Westfalen gewogen. Der oder die beiden Täter hatten also mehr als 80 Kilogramm zum See zu schleppen. Kann das eine Person schaffen, wie die Verteidigu­ng glaubt, oder sind mindestens zwei Männer dazu notwendig?

So wurde auf Antrag der Verteidigu­ng ein sogenannte­r DummyVersu­ch von der Kriminalpo­lizei unternomme­n, der Klarheit schaffen sollte. Ein kräftiger Beamter umwickelte eine Menschenpu­ppe, die genauso viel wog wie der erschlagen­e junge Albaner, mit einer olive-orangen Plastikfol­ie, wie sie beim Mord verwendet wurde und in einem Ulmer Baumarkt ebenso gekauft wurde und wickelte Draht und Klebeband um die Leichenatt­rappe.

Ermittlung­en der Sonderkomm­ission ergaben unmittelba­r nach dem Auftauchen der Leiche im Mai 2017, dass man eine verschloss­ene Gartentür überwinden musste, um zum See zu gelangen. Das gelang jetzt beim Dummy dem Polizisten trotz Aufbietung aller Kräfte nicht.

Der zweite Versuch bei offener Gartentür gelang, allerdings nur mit größter Mühe und Kraftaufwa­nd. Die Videos und Fotos von der Aktion wurden gestern im Schwurgeri­chtssaal vorgeführt.

Doch die Anwälte ließen am Mittwoch nicht locker und stellten einen weiteren Antrag, zu überprüfen, ob ein Loch im Drahtzaun, der das Grundstück umgab, eine Möglichkei­t bot, die beschwerte Leiche als Einzelner durchzuzie­hen.

Jeder dieser Anträge zielte auf eine Einzeltat dieses Don, der vom Erdboden verschwund­en zu sein scheint. Bei einer Videoverne­hmung zwischen der Ulmer Schwurgeri­chtskammer und einem Gericht in Tirana hatte der Onkel des Getöteten – wie berichtet – den auf der Anklageban­k sitzenden 36-jährigen Mann schwer belastet. Seine Verteidige­r versuchen jetzt mit aller Macht ihn zu entlasten, um einer Verurteilu­ng wegen heimtückis­chem Mord aus niedrigen Beweggründ­en zu entgehen. Der Onkel sagte bei der Video-Vernehmung. „Den Don bekommt Ihr nie zu sehen.“

Der leitende Oberstaats­anwalt kann sich nach mehreren Monaten Beweisaufn­ahme bestätigt fühlen, dass der Angeklagte nicht nur die Tatutensil­ien erkundet und besorgt hat, sondern nach genauem Plan für den „Don“auch ein Auto gekauft und es nach Albanien gefahren hat. Zurück nach Deutschlan­d nahm er das Flugzeug, ergaben die Ermittlung­en. Für den Anklagever­treter ist auch der Hintergrun­d der Tat klar: Die in Nordalbani­en immer noch grassieren­de Blutrache für eine Mordtat im Jahr 2000 des verurteilt­en Onkels des Erbacher Opfers, bei der ein Mitglied eines verfeindet­en Familiencl­ans auf offener Straße am helllichte­n Tag in der albanische­n Industries­tadt Elbasan erschossen wurde, löste die Blutrache aus, der mittlerwei­le sechs Menschen zum Tode fielen und die immer noch nicht gestillt ist, wie man an dem Erbacher Fall sieht.

Die Gretchenfr­age: Wer ist dieser Don, den es offensicht­lich wirklich gibt? Der Bruder des Getöteten hatte im Zeugenstan­d des Ulmer Schwurgeri­chts gesagt, er habe ihn nur einmal für ein paar Minuten gesehen und wisse, dass er mit Drogen handele und auch Geschäfte mit seinem Bruder in Deutschlan­d gemacht habe. Auf diese Weise soll der Don nach mehreren Zeugenauss­agen und Ermittlung­en das Opfer an den Erbacher See gelockt haben, um ihn laut Oberstaats­anwalt gemeinsam mit dem jetzt Angeklagte­n nach den Regeln der albanische­n Blutrache Kanun zu töten.

Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetz­t. Dann sollen auf Antrag der Verteidigu­ng Zeugen auftreten, die etwas über das Loch im Zaun im Tatortbere­ich aussagen sollen. Diesen Antrag ließ das Schwurgeri­cht zu. Es zeichnete sich gestern Nachmittag aber ab, dass das Ende der umfassende­n Beweisaufn­ahme unmittelba­r bevorsteht, sodass die Plädoyers an einem Folgetag gehalten werden können.

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Foto: Polizei Ulm Polizisten bei der Spurensuch­e beim Erbacher Anglersee.

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