Blutrache: Versuch mit Kunstleiche
Prozess In der Verhandlung um den „Hammermord“an einem Baggersee greift die Verteidigung des Angeklagten zu ungewöhnlichen Mitteln, um den Angeklagten zu entlasten
Ulm Das Schwurgericht hat ihr Beweisaufnahmeprogramm Erbacher Blutrache-Prozess absolviert. Jetzt schlägt die Stunde der Verteidigung, die immer wieder zum Teil zeitaufwendige Gegenbeweisanträge stellt, die den Verhandlungsverlauf um mehrere Monate verlängern können. Solche wurden von der Kammer in den vergangenen Prozesstagen abgeschmettert. Doch ein Antrag wurde entgegengenommen, der beweisen soll, dass ein ominöser Albaner namens „Don“der alleinige Täter in diesem aufsehenerregenden Fall gewesen soll.
Um diesen Verdacht zu erhärteten, beantragten die beiden Verteidiger einen Sachverständigen, um prüfen zu lassen, ob die Leiche eines 19-Jährigen vom Tatort an den nahe gelegenen Anglersee im Gewann Ried am westlichen Ortsrand von Erbach von einem Mann allein, eben jenem Don, geschleppt werden konnte.
Der Indizienprozess ist seit April 2018 im Gange. Der Angeklagte schweigt. Exakt ein Jahr zuvor wurde ein gerade mal 18-jähriger Albaner in Erbach mit unvorstellbarer Grausamkeit mit neun Hammerschlägen getötet und im 70 Meter entfernten See verpackt, verklebt und mit einem 18 Kilogramm schweren Betonsturz beschwert, versenkt. Der Getötete wog 64 Kilogramm, wie aus den Polizeiakten hervorgeht. Denn er wurde nach einer Verhaftung wegen eines Drogendeliktes in Nordrhein-Westfalen gewogen. Der oder die beiden Täter hatten also mehr als 80 Kilogramm zum See zu schleppen. Kann das eine Person schaffen, wie die Verteidigung glaubt, oder sind mindestens zwei Männer dazu notwendig?
So wurde auf Antrag der Verteidigung ein sogenannter DummyVersuch von der Kriminalpolizei unternommen, der Klarheit schaffen sollte. Ein kräftiger Beamter umwickelte eine Menschenpuppe, die genauso viel wog wie der erschlagene junge Albaner, mit einer olive-orangen Plastikfolie, wie sie beim Mord verwendet wurde und in einem Ulmer Baumarkt ebenso gekauft wurde und wickelte Draht und Klebeband um die Leichenattrappe.
Ermittlungen der Sonderkommission ergaben unmittelbar nach dem Auftauchen der Leiche im Mai 2017, dass man eine verschlossene Gartentür überwinden musste, um zum See zu gelangen. Das gelang jetzt beim Dummy dem Polizisten trotz Aufbietung aller Kräfte nicht.
Der zweite Versuch bei offener Gartentür gelang, allerdings nur mit größter Mühe und Kraftaufwand. Die Videos und Fotos von der Aktion wurden gestern im Schwurgerichtssaal vorgeführt.
Doch die Anwälte ließen am Mittwoch nicht locker und stellten einen weiteren Antrag, zu überprüfen, ob ein Loch im Drahtzaun, der das Grundstück umgab, eine Möglichkeit bot, die beschwerte Leiche als Einzelner durchzuziehen.
Jeder dieser Anträge zielte auf eine Einzeltat dieses Don, der vom Erdboden verschwunden zu sein scheint. Bei einer Videovernehmung zwischen der Ulmer Schwurgerichtskammer und einem Gericht in Tirana hatte der Onkel des Getöteten – wie berichtet – den auf der Anklagebank sitzenden 36-jährigen Mann schwer belastet. Seine Verteidiger versuchen jetzt mit aller Macht ihn zu entlasten, um einer Verurteilung wegen heimtückischem Mord aus niedrigen Beweggründen zu entgehen. Der Onkel sagte bei der Video-Vernehmung. „Den Don bekommt Ihr nie zu sehen.“
Der leitende Oberstaatsanwalt kann sich nach mehreren Monaten Beweisaufnahme bestätigt fühlen, dass der Angeklagte nicht nur die Tatutensilien erkundet und besorgt hat, sondern nach genauem Plan für den „Don“auch ein Auto gekauft und es nach Albanien gefahren hat. Zurück nach Deutschland nahm er das Flugzeug, ergaben die Ermittlungen. Für den Anklagevertreter ist auch der Hintergrund der Tat klar: Die in Nordalbanien immer noch grassierende Blutrache für eine Mordtat im Jahr 2000 des verurteilten Onkels des Erbacher Opfers, bei der ein Mitglied eines verfeindeten Familienclans auf offener Straße am helllichten Tag in der albanischen Industriestadt Elbasan erschossen wurde, löste die Blutrache aus, der mittlerweile sechs Menschen zum Tode fielen und die immer noch nicht gestillt ist, wie man an dem Erbacher Fall sieht.
Die Gretchenfrage: Wer ist dieser Don, den es offensichtlich wirklich gibt? Der Bruder des Getöteten hatte im Zeugenstand des Ulmer Schwurgerichts gesagt, er habe ihn nur einmal für ein paar Minuten gesehen und wisse, dass er mit Drogen handele und auch Geschäfte mit seinem Bruder in Deutschland gemacht habe. Auf diese Weise soll der Don nach mehreren Zeugenaussagen und Ermittlungen das Opfer an den Erbacher See gelockt haben, um ihn laut Oberstaatsanwalt gemeinsam mit dem jetzt Angeklagten nach den Regeln der albanischen Blutrache Kanun zu töten.
Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Dann sollen auf Antrag der Verteidigung Zeugen auftreten, die etwas über das Loch im Zaun im Tatortbereich aussagen sollen. Diesen Antrag ließ das Schwurgericht zu. Es zeichnete sich gestern Nachmittag aber ab, dass das Ende der umfassenden Beweisaufnahme unmittelbar bevorsteht, sodass die Plädoyers an einem Folgetag gehalten werden können.