Ganz nüchtern zum Erfolg
Getränke Lange galt alkoholfreies Bier als Notlösung. Inzwischen rettet es vielen Brauereien die Bilanz. Denn der Bierkonsum insgesamt entwickelt sich nicht gerade berauschend
Frankfurt Wer am Ende des vergangenen Jahrtausends in der Kneipe ein alkoholfreies Bier bestellte, wurde im besten Fall mitleidig angeschaut. Angst um den Führerschein, Schwangerschaft oder eine schlimme Krankheit: Wer auf ein „richtiges“Bier verzichtete, brauchte dafür gute Gründe. Es blieb eine Notlösung. Heute ist das ganz anders: Der Durst der Deutschen auf herkömmliches Bier nimmt beständig ab, und für die Brauer sind die „bleifreien“Sorten längst zum großen Hoffnungsträger geworden.
Im vergangenen Jahr zum Beispiel, als die deutschen Brauereien trotz eines Jahrhundertsommers mit Fußball-Weltmeisterschaft ihren Absatz von steuerpflichtigen Vollbieren und Mischgetränken nur um magere 0,5 Prozent auf 94 Millionen Hektoliter steigern konnten, wurde das zweitschwächste Ergebnis der Historie durch den zunehmenden Erfolg nicht berauschender Alternativen abgefangen.
Die Nachfrage nach alkoholfreiem Bier habe selbst optimistische Prognosen übertroffen, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen BrauerBundes, Holger Eichele. Mittlerweile gebe es in Deutschland rund 500 verschiedene alkoholfreie Marken – und der Marktanteil werde von jetzt sieben auf zehn Prozent steigen. Hilfreich ist dabei der im Vergleich zum herkömmlichen Bier nur rund halb so hohe Kaloriengehalt und das sportlich-gesunde Image.
Vor 40 Jahren konnte sich die Frankfurter Binding-Brauerei noch als einsamer Pionier fühlen, als sie ihr Clausthaler auf den Markt brachte. Immerhin in der DDR gab es bereits seit einigen Jahren ein „Autofahrerbier“(Aubi) – schließlich galt für ostdeutsche Autofahrer eine strenge 0,0-Promille-Grenze. Im Westen hatte es allenfalls einige alkoholfreie Ableger herkömmlicher Biere gegeben, aber eine landesweit stark beworbene Biermarke ohne Alkohol war 1979 ein absolutes Novum.
„Der Geschmack sollte möglichst nah an einem Pils liegen“, erzählt der Frankfurter Braumeister Peter Winter von den damaligen Vorgaben des Marketings. Das ist schon aus technischen Gründen nicht ganz einfach, denn im einstmals patentierten Brauprozess von Clausthaler wird die Gärung relativ früh abgebrochen, wenn nämlich der gesetzlich noch zulässige Alkoholgehalt von 0,5 Prozent erreicht ist. Dieser Restalkohol werde als Geschmacksträger benötigt, sagt Winter. Andere Brauer reduzieren den Alkoholgehalt erst nach der abgeschlossenen Gärung. Dazu wird das Bier speziell gefiltert oder der Alkohol aus dem Bier „gekocht“.
Beim abgebrochenen Gärprozess kann der im Gerstenmalz vorhandene Zucker nach dem Entfernen der Hefe nicht komplett in Alkohol umgewandelt werden, wie es bei einem herkömmlichen Pils der Fall wäre. Das führt zu einer leicht süßlichen Note, die Clausthaler mit zusätzlichem Hopfen überlagert. Im Norden und Westen der Republik reichte das den Pils-orientierten Biertrinkern nicht aus, sodass 1995 ein „extra-herber“Ableger mit noch mehr Hopfen nachgelegt wurde.
Die Stiftung Warentest ist mit dem aktuellen Angebot alkoholfreier Biere zufrieden. „Einige schmecken eher nach Würze und süß, andere eher hopfig. Die besten sind harmonisch und vollmundig“, fanden die Tester im vergangenen Jahr und vergaben überwiegend gute Noten.