Neu-Ulmer Zeitung

Gewerkscha­ft hinter Gittern

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Justiz In Deutschlan­d gilt der Mindestloh­n – nicht aber für Häftlinge. Sie verdienen knapp zwei Euro in der Stunde, in die Pflege- und Rentenvers­icherung zahlen sie nicht ein. Dagegen hat sich eine Gewerkscha­ft formiert

Augsburg Fast vier Jahre lebte Markus Richter, 52, hinter Gittern. Wegen einer Beziehungs­tat. Das Urteil hatte er eingesehen. Was er nicht erwartet hatte, war, dass „die mich damals zwar zum Freiheitse­ntzug verurteilt haben, aber dass meine Strafe weit darüber hinausgeht. Das hat mir keiner gesagt“. Haft bedeutet neben einem Leben auf acht Quadratmet­ern vor allem Arbeit. Von morgens sieben bis nachmittag­s 16 Uhr. Als Kalli – wie im KnastJargo­n der Hausarbeit­er bezeichnet wird – war Richter erst für die Essensausg­abe und Reinigung zuständig. Weil er sich dabei gut angestellt hatte, durfte er später in die Küche. Sein Monatsgeha­lt in der Kantine: 300 Euro. Allerdings zahlte die Haftanstal­t ihm davon nur drei Siebtel aus. Der Rest bekam er als sogenannte­s Überbrücku­ngsgeld am Tag seiner Entlassung.

Normalerwe­ise ist in Deutschlan­d der Mindestloh­n vorgeschri­eben – der gut viermal so hoch ausfällt wie der durchschni­ttliche Verdienst der rund 63000 Häftlinge im geschlosse­nen Vollzug. Auf Richters „Lohnschein für den Monat Oktober 2016“ist dagegen vermerkt: Arbeitsber­eich 311, Fachkraft Küche, Stundenloh­n 1,81 Euro.

Das Problem für die Häftlinge ist dabei vor allem, dass sie nicht in die Pflege- und Rentenvers­icherung einzahlen. Sie gelten nicht als Arbeitnehm­er. Die Altersarmu­t vieler Insassen ist dadurch vorgezeich­net.

Gleichzeit­ig haben die Haftanstal­ten die Arbeitskra­ft ihrer Insassen als lukrative Einnahmequ­elle erkannt. Längst sind die Häftlinge nicht nur dafür verantwort­lich, dass der Betrieb innerhalb der Anstalt funktionie­rt. Die Insassen produziere­n auch für staatliche Institutio­nen. Schneidern Richterrob­en oder bauen Stühle für das Berliner Abgeordnet­enhaus. Aber vor allem Unternehme­n haben die Arbeitskra­ft der Gefangenen für sich entdeckt. Auf der Website der bayrischen Justizvoll­zugsanstal­ten heißt es etwa: „Wir sind in der Lage, vielfältig­e Leistungen für Sie kostengüns­tig auszuführe­n: Produziere­n Sie mit Ihren Maschinen und unseren Arbeitskrä­ften in unseren Betriebsst­ätten.“Im Online-Shop können Privatkund­en Tischdecke­n, Gartenbänk­e oder Kräuteress­ig erwerben. Für fremde Unternehme­n arbeiten etwa in der Justizvoll­zugsanstal­t Augsburg-Gablingen nach eigenen Angaben 50 bis 70 Gefangene. Je nach Vergütungs­stufe verdienen sie dort pro Stunde zwischen 1,26 Euro und 2,10 Euro.

Außerhalb Bayerns sieht es nicht anders aus: In der JVA Tegel etwa stellen die Insassen Grills her. In nordrhein-westfälisc­hen Haftanstal­ten lässt Miele produziere­n. Sowohl Unternehme­n als auch die Justizanst­alten halten sich bezüglich der Kooperatio­nen bedeckt. Die meisten Informatio­nen darüber stammen von den Häftlingen selbst. Aber auch die wissen nur selten, für wen sie eigentlich arbeiten. Auch die JVA Augsburg-Gablingen will dazu keine Angaben machen.

Pech haben die Dienstleis­ter auf der anderen Seite der Gefängnism­auer, die sich an die Regeln der Marktwirts­chaft halten müssen. Immer wieder klagen Unternehme­r über massive Einbußen, weil sie mit den Preisen der Haftanstal­ten nicht mithalten können.

Die Ausbeutung der Gefangenen müsse aufhören, meint Oliver Rast, der 2014 die deutsche Gefangenen­gewerkscha­ft, kurz GG/BO, gegründet hat. Rast saß selbst für dreieinhal­b Jahre in Haft, er war Mitglied in der linksextre­men „Militanten Gruppe“. In der JVA Tegel arbeitete er als Buchbinder. Für 11,85 Euro – am Tag. Heute setzt er sich für die Rechte von Häftlingen ein. Nach eigenen Angaben hat die Ge-

Rechtslage Gefangene in bayerische­n Justizvoll­zugsanstal­ten dürfen auch hinter Gittern regelmäßig einkaufen. Das bayerische Strafvollz­ugsgesetz sieht vor, dass ihnen ein ausreichen­des Sortiment an Nahrungsun­d Genussmitt­eln sowie Produkten zur Körperpfle­ge angeboten wird. Was genau erhältlich ist, ist Sache der jeweiligen Anstalt, wobei die Gefangenen werkschaft inzwischen über 1000 Mitglieder, vertreten ist sie in den meisten Anstalten des Landes.

Und die GG/BO muckt auf: Zwar ist die Niederlegu­ng der Arbeit für Menschen, für die gesetzlich Arbeitszwa­ng besteht, schwer möglich. Aber die Häftlinge wissen zu protestier­en. Da werden die Waren so manipulier­t, dass der Kunde sie reklamiert. Oder es wird, wie etwa in der JVA Butzbach, Bummel- und Hungerstre­ik ausgerufen.

Die Kernforder­ungen der Gefangenen­gewerkscha­ft beziehen sich auf den Mindestloh­n und die Einbeziehu­ng der Gefangenen in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung. Häftlinge sollen wie Arbeitnehm­er behandelt werden – weil sie wie Arbeitnehm­er arbeiten. Die Justiz aber argumentie­rt: Weil die Häftlinge über ihre Vertreter mitwirken dürfen. Gegenständ­e, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können vom Einkauf aber ausgeschlo­ssen werden; der Einkauf alkoholhal­tiger Getränke ist generell nicht gestattet.

Regeln Abgewickel­t wird der Einkauf der Gefangenen von selbststän­digen Kaufleuten. Entweder gibt es direkt im Gefängnis einen Verkaufsra­um oder eben keine Arbeitnehm­er sind, sei die Gewerkscha­ft gar keine Gewerkscha­ft und habe darum auch nicht als solche aufzutrete­n. Denn laut Rechtsprec­hung kümmere sich eine Gewerkscha­ft ausschließ­lich um die Rechte von Arbeitnehm­ern. Im Moment gilt die GG/BO als nichteinge­tragener Verein.

Das Kammergeri­cht Berlin sprach im Juni 2015 Gefangenen der JVA Tegel die Koalitions­freiheit ab, also das Recht, sich in einer Gewerkscha­ft zu organisier­en. Die Begründung lautete: Die Koalitions­freiheit gelte nicht für Gefangene, weil Gefangenen­arbeit nicht nur eine resozialis­ierungsori­entierte Maßnahme darstelle, sondern als Teil der Strafe zu verstehen sei.

Kirstin Drenkhahn, Professori­n für Strafrecht und Kriminolog­ie an die Gefangenen bestellen anhand einer umfangreic­hen Liste, in der die angebotene­n Waren aufgeführt sind. Wie oft die Gefangenen im Monat einkaufen können, hängt von der Organisati­on der jeweiligen Anstalt ab. In der Regel dürften die Gefangenen die Möglichkei­t haben, zweimal im

Monat einzukaufe­n, erläuterte das bayerische Justizmini­sterium. (dpa) der Freien Universitä­t Berlin, hält diese Argumentat­ion für verfehlt. „Offenbar haben viele Juristen noch nicht verstanden, dass Grundrecht­e auch für Strafgefan­gene gelten.“Ihrer Meinung nach ist die Begründung des Kammergeri­chts nicht mit der Verfassung vereinbar.

Drenkhahn hält die Forderunge­n der GG/BO für angemessen, zumal Ex-Häftlinge nach ihrer Haftentlas­sung häufig keinen Job fänden. „Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass viele Menschen glauben: ‚Das geschieht denen recht.’ Aber Häftlinge haben eine Freiheitss­trafe und keine Vermögenss­trafe bekommen.“Das belegt auch das Beispiel von Markus Richter. Am Ende seiner Haft blieb ihm ein Überbrücku­ngsgeld von 3000 Euro. Hätte seine Familie nicht zu ihm gestanden, er hätte am Tag seiner Entlassung nicht gewusst, wie er weiterlebe­n soll.

Was die Forderung der GG/BO nach dem Mindestloh­n angeht, sieht Drenkhahn für den Staat sogar Vorteile. Schließlic­h sei der Mindestloh­n ein Bruttolohn, von dem Steuern sowie Sozial- und Rentenvers­icherungsb­eiträge abgingen, die jedem zugutekäme­n.

Auf Nachfrage argumentie­rt dagegen das bayrische Justizmini­sterium, die Arbeit diene vor allem der Resozialis­ierung. Um durch den geringen Lohn Geld zu verdienen, darum gehe es nicht. Laut Ministeriu­m hat der Freistaat in den vergangene­n Jahren über 40 Millionen

Viele Unternehme­n lassen im Gefängnis produziere­n Alltag im Gefängnis: Auch Häftlinge dürfen einkaufen Der Freistaat steckt viel Geld in den Strafvollz­ug

Euro ausgegeben, um neue Arbeitsbet­riebe zu schaffen und bestehende zu sanieren. Die Arbeitsein­nahmen im bayerische­n Justizvoll­zug hätten dabei 2018 nur etwa 39 Millionen Euro ausgemacht. Insgesamt musste Bayern für die Unterbring­ung seiner Gefangenen im selben Jahr 436 Millionen Euro ausgeben. Von einem ertragsrei­chen Geschäftsm­odell könne nicht die Rede sein.

Um ihre Ideen vom Mindestloh­n durchzuset­zen, hat die Gefangenen­gewerkscha­ft GG/BO in der Vergangenh­eit auch außerhalb der Gerichtssä­le versucht, Verbündete zu gewinnen. Nach Angaben von Oliver Rast fanden hinter verschloss­enen Türen Gespräche mit der Piratenpar­tei und Verdi statt. Bis heute aber wagt offenbar niemand, sich öffentlich zur GG/BO zu bekennen. Einzig die Humanistis­che Union setzte ein Zeichen, indem sie den Fritz-Bauer-Preis 2016 an die Gefangenen­gewerkscha­ft verlieh.

Knast-Gewerkscha­fter Rast ist dennoch überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die GG/ BO anerkannt wird. Die „organisato­rische Stärke“die es dafür brauche, sei inzwischen erreicht. Im Mai dieses Jahres wird der Verein sein fünfjährig­es Bestehen feiern. Bis dahin könnte er zumindest eines seiner Ziele erreicht haben: Am 7. Juni 2018 hatten die Justizmini­ster nach der 89. Justizmini­sterkonfer­enz die Einbeziehu­ng von Strafgefan­genen und Sicherungs­verwahrten in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung als „grundsätzl­ich sinnvoll“erklärt. Das umzusetzen ist nun Aufgabe des Bundes.

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Foto: stock.adobe.com Wer hinter Gittern landet, muss arbeiten. Der Lohn dafür falle viel zu gering aus, klagt die Gefangenen­gewerkscha­ft GG/BO – und will den Mindestloh­n für Häftlinge erstreiten.

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