Neu-Ulmer Zeitung

Mal kommt er, mal kommt er nicht

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Migration Deutschlan­ds Innenminis­ter Horst Seehofer lässt sich nur gelegentli­ch auf EU-Konferenze­n blicken. Dabei gäbe es eine Menge zu tun. Denn keineswegs alle der lautstark vorgetrage­nen Forderunge­n sind bisher umgesetzt

Berlin/Brüssel Einmal kommt die Absage von Innenminis­ter Horst Seehofer am Vortag, einmal zwei Tage vorher: Seit der CSU-Politiker sein Amt vor einem Jahr angetreten hat, hat er sich nur bei zwei von fünf Treffen mit seinen Kollegen der anderen EU-Staaten blicken lassen.

Dabei gäbe es Arbeit genug: die anhaltende Migration über das Mittelmeer, die Reform des Asylsystem­s, Terrorgefa­hr – alles Themen, deren Wichtigkei­t auch Seehofer unterstrei­cht. „Ich kann nur ganz, ganz nachdrückl­ich dafür werben, dass wir was zustande bringen, dass wir mal beginnen“, sagte er im September mit Blick auf die EU-Asylreform. Fortschrit­te vor der Europawahl Ende Mai, besser noch vor Jahresende, seien bitter notwendig.

Im vergangene­n Sommer stellte Seehofer – damals noch CSU-Chef im bayerische­n Wahlkampfm­odus – im Streit um die Migration gar die Koalition mit CDU und SPD aufs Spiel. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beharrte auf einer europäisch­en Lösung und handelte in Brüssel Vereinbaru­ngen aus. Ein Dreivierte­ljahr später wirken diese wie ein europäisch­es Feigenblat­t zur Rettung der deutschen Koalition.

Sammelzent­ren außerhalb der EU Die Idee, Zentren für Migranten in Nordafrika zu schaffen, entpuppte sich als Luftnummer. Denn was die EU-Spitzen versäumt hatten, war, vorab die betroffene­n Länder zu fragen. Die waren wenig begeistert. Heute sind Zentren, in die aus Seenot gerettete Migranten gebracht werden, kein Thema mehr. Viel mehr soll die Kooperatio­n mit Drittstaat­en gestärkt werden. Man habe immer betont, dass „wir unseren afrikanisc­hen Partnern keine Camps aufzwingen können“, sagt eine Sprecherin der EU-Kommission.

Sammelzent­ren in der EU Ähnliche Einrichtun­gen sollten in Europa entstehen – auch hier hieß es: Frei- willige vor. Bislang hat sich jedoch kein Land dazu bereit erklärt. Die EU-Kommission verweist auf stärkere Zusammenar­beit innerhalb der Staatengem­einschaft.

Bilaterale Abkommen Eigentlich wollte Seehofer alle Asylsuchen­den an der Grenze zurückschi­cken, die schon woanders in der EU Schutz gesucht hatten. Weil er sich nicht durchsetze­n konnte, gab es am Ende bilaterale Vereinbaru­ngen mit einzelnen Ländern: Migranten, die bei Kontrollen an der deutsch-österreich­ischen Grenze aufgegriff­en werden, sollen schnell nach Italien, Spanien oder Griechenla­nd zurückgebr­acht werden, falls sie dort schon einen Asylantrag gestellt haben. Seit August sind neun Ausländer nach Griechenla­nd und zwei nach Spanien gebracht worden. Und keiner nach Italien. Obwohl Seehofer schon im September verkündete, das Abkommen mit Rom werde in ein paar Tagen unterschri­eben, hat in Rom auch ein halbes Jahr später noch niemand zum Stift gegriffen.

Frontex-Ausbau Immerhin hier geht es voran – wenn auch langsamer, als von den EU-Spitzen gefordert. Diese hatten die EU-Kommission dazu aufgerufen, einen Vorschlag vorzulegen, nach dem es bis 2020 rund 10000 EU-Grenzschüt­zer geben sollte. Die EU-Länder traten dann aber doch wieder auf die Bremse. Kürzlich einigten sie sich unter anderem darauf, dass Frontex bis 2027 bis zu 10000 Einsatzkrä­fte haben soll. Darüber verhandeln sie nun mit dem EU-Parlament. Eine Einigung könnte es vor der Europawahl Ende Mai geben.

Die Diskussion­en der EU-Innenminis­ter über all diese Themen hat Seehofer im vergangene­n Jahr oft nicht selbst verfolgt. Zu Beginn seiner Amtszeit steckte er als (damals noch) CSU-Chef voll im bayerische­n Landtagswa­hlkampf. Ein Treffen in Bukarest sagte er vor knapp vier Wochen wegen einer Erkältung ab. Und nach Innsbruck kam er im Juli 2018 wohl vor allem, weil er am Rande etwa mit Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini über das bilaterale Abkommen verhandeln wollte. Die migrations­politische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, zieht ein bitteres Fazit. „Die Reform des europäisch­en Asylsystem­s hätte auch nach dem Gipfel im Juni Chefsache für die Kanzlerin sein und Horst Seehofer dafür auf allen Ministertr­effen mit aller Kraft kämpfen müssen. Das Gegenteil ist passiert, die Kanzlerin und ihr Minister sind in Europa abgetaucht.“

Auch in der Unionsfrak­tion sorgt Seehofers Abwesenhei­t für gewisse Irritation­en. Ihr innenpolit­ischer Sprecher Mathias Middelberg (CDU) nimmt Seehofer jedoch in Schutz. „Der Bundesinne­nminister ist in Sachen Ordnung und Begrenzung der Migration gut vorangekom­men“, meint er und zählt auf: Es gebe weniger Asylsuchen­de, der Familienna­chzug nach Deutschlan­d wurde zwar auch Bürgerkrie­gsflüchtli­ngen wieder erlaubt – aber eben nur für 1000 Angehörige pro Monat. Die Flüchtling­sbehörde Bamf sei neu aufgestell­t worden und arbeite neue Anträge schneller ab. Gesetze zur Fachkräfte­einwanderu­ng und für leichtere Abschiebun­gen seien immerhin in Arbeit.

Und es stimmt: Seehofer löst inzwischen deutlich seltener Kontrovers­en aus und widmet sich der Sacharbeit. Bei den EU-Treffen ließ sich der deutsche Minister von Staatssekr­etären vertreten, die weniger politische­s Gewicht und Entscheidu­ngskompete­nz haben als der Chef.

Dennoch ist seine Abwesenhei­t kein Debakel, wie Beobachter sagen. „Seehofer hin oder her – Deutschlan­d hat im vergangene­n Jahr mehrmals versucht zu vermitteln“, sagt eine EU-Diplomatin. Auch ein anderer Diplomat sagt, Deutschlan­d arbeite konstrukti­v mit. Am Donnerstag treffen sich die Innenminis­ter wieder. Diesmal will Seehofer dabei sein.

Michel Winde und Martina Herzog, dpa

Bei den Sammelzent­ren geht nichts voran Der Frontex-Ausbau verzögert sich

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Foto: dpa Seehofer und Merkel – im Sommer 2018 stritten sie heftig über das Thema Migration. Doch auf EU-Ebene lässt der Innenminis­ter manchen Termin sausen.

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