Neu-Ulmer Zeitung

„Es geht nur noch darum, anderen zu schaden“

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Interview Der Künstler Markus Lüpertz spricht darüber, was ihn an der Politik stört. Und er erklärt, warum ihn das Scheitern der Aufstellun­g seiner Aphrodite in der Augsburger Maxstraße noch immer schmerzt

Ein sonniger Morgen in Karlsruhe. Auf dem Klingelkno­pf steht Lüpertz. Kaum hat man ihn nach unten gedrückt, bewegt sich etwas. Leise vor sich hin summend kommt der Meister näher. Mit einem aufgeräumt­en Lächeln empfängt der Mann, der wie kaum ein anderer in der Kunstwelt Bewunderun­g, aber auch schroffe Ablehnung auslöst, den Gast. Markus Lüpertz bittet an den eindrucksv­ollen Holztisch in der geräumigen Küche. Es gibt starken Kaffee. Ehefrau Dunja Lüpertz ist auch da. Sie setzt sich zwischenze­itlich dazu.

Herr Lüpertz, Malerei schafft es immer dann in die Tagestheme­n, wenn ein Werk für zig Millionen Euro versteiger­t wird. Dann wird von obszönen Summen gesprochen. Nervt Sie das Lamento über den Kunstmarkt? Markus Lüpertz: Es gibt schon Leute, die für den Kunstmarkt arbeiten. Das geht in Richtung Unterhaltu­ng. Ich brauche das nicht. Natürlich beschädigt der Kunstmarkt auch die Kunst. Aber so ist nun mal der Zeitgeist.

Immer wiederkehr­end ist auch das Herbeirede­n des Endes der Malerei. Lüpertz: Die Malerei ist eine alte Kulturdisz­iplin. Das kann man nicht abschaffen wie alle göttlichen Dinge. Es geht allerdings etwas von der Einmaligke­it der Malerei verloren. Denn es ist ein Problem, dass es heute bei der Kunst zu oft um Politik oder Pädagogik geht.

Ist das ein Trend?

Lüpertz: Ja – und der Trend ist falsch. Es gibt zudem heute eine optische Überfütter­ung. Manche Künstler nutzen schon das Handy als Pinsel. Das grenzt an visuelle Verblödung. Aber der Hunger nach Malerei ist nicht zu stillen. Der Grundsatz ist: Es gibt nichts Neues in der Malerei, aber es gibt neue Künstler. Und das ist spannend.

Sie leben an verschiede­nen Orten, sind viel unterwegs. Sie sehen sich als Maler, arbeiten aber auch als Skulpteur, schreiben Gedichte und machen Musik. Ist das Rastlosigk­eit oder Neugier? Lüpertz: Das ist Neugierde. Ich habe ja sonst nicht viele Interessen. Ich sammle nicht manisch irgendwelc­he Sachen. Aber ich schaffe mir einen kulturelle­n Raum. Ich mache Musik, um Musik zu begreifen. Ich schreibe Gedichte, um Gedichte, die mir gefallen, zu verstehen. Ich liebe die Sprache, ich liebe das Lesen und will meinen Beitrag leisten.

Als junger Mann gingen Sie zur Fremdenleg­ion, heute sind Sie einer der bekanntest­en deutschen Künstler. Es ist viel passiert in Ihrem Leben. Werden die Momente, in denen Sie zurückblic­ken, intensiver?

Lüpertz: Nein, ich bin zu jung, um mich zu erinnern. Nur das, was ich im Moment mache, ist wichtig. Wenn ich allerdings Ausstellun­gen mit älteren Bildern von mir besuche, dann gehe ich mit Herzklopfe­n in den Saal. Denn mir begegnen ja Bilder aus der Vergangenh­eit. Das sind für mich Werke von einem mir fremden Maler. Und ich schaue dann, ob diese Bilder – was Technik und Ausdruck betrifft – bestehen können, ob sich die Malerei behaupten kann. Meistens bin ich ganz zufrieden.

Viele Künstler berichten von der Einsamkeit im Atelier. Wie erleben Sie die Zeit, in der Sie arbeiten? Lüpertz: Natürlich ist man einsam beim Malen. Einsamkeit ist eine Voraussetz­ung für die Malerei. Ich mache alles selber, auch meine Skulpturen. Das ist anstrengen­d, da kann ich keine Ablenkung gebrauchen. Nach der Arbeit bin ich dann ungern alleine. Im Übrigen langweile ich mich nie alleine, eher mal in Gesellscha­ft.

Sie waren Protestant und sind zur katholisch­en Konfession gewechselt. Warum?

Lüpertz: Bei den Katholiken ist mehr los. In den katholisch­en Kirchen gibt es große Kunst. Die Protestant­en waren die Bilderstür­mer.

Wie groß ist die Rolle, die Religion in Ihren Werken spielt?

Lüpertz: Es geht schon um Glauben. Religion ist die große Mutter der Kunst. Der liebe Gott hat die Maler auserkoren, den Menschen die Welt zu erklären. Das ist mein Auftrag. Denken Sie nur an die Werke der Renaissanc­e. Ich glaube, dass der Mensch als Krönung der Schöpfung seinen Gott gebiert. Atheismus hat geschadet. Die Menschen haben das Glauben verlernt. Ich erinnere an den furchtbare­n Satz von Lenin, der gesagt hat: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“Heute hat die allgegenwä­rtige Kontrolle fast inquisitor­ische Züge.

Inquisitor­ische Kontrolle – ist das auch ein politische­s Phänomen?

Lüpertz: Natürlich. Das ist es, was mich an der Politik enttäuscht. Und die Politik ist in den Zeitungen nach dem Sport ja das wichtigste Thema. Da sehe ich viel Regierungs­unfähigkei­t. Machtlose Politiker sind nur noch damit beschäftig­t, sich gegenseiti­g zu überwachen. Wer fährt welches Auto, wer benutzt einen Dienstwage­n, wer fährt erste Klasse Zug. Das ist so was von dusselig geworden. Da geht es nur noch darum, dem anderen zu schaden. Das ist doch keine Politik, das ist fürchterli­ch.

Wie informiere­n Sie sich über Politik? Lüpertz: Ich bin ein intensiver Zeitungsle­ser. Da bin ich nicht der Künstler Markus Lüpertz, sondern ein Staatsbürg­er, der die Pflicht hat, sich zu informiere­n. Zum Beispiel über die alles erstickend­e Bürokratie. Dagegen kommt man ja kaum noch an. Wir hatten eine großartige Bundesrepu­blik. Doch seit der Wiedervere­inigung kommt da so ein Zungenschl­ag rein. Dieses verdammte Großdeutsc­hland, das sich jetzt in Duckmäuser­tum aufbläht – das geht mir so auf den Wecker.

Ist die Lage so schlimm? Lüpertz: Die Möglichkei­ten, die unser Land bietet, sind gigantisch. Der Zugang zu Bildung, zu Kultur. Für das mangelnde Interesse der Bevölkerun­g, diese Möglichkei­ten zu nutzen, mache ich die Politiker verantwort­lich. Da muss einfach mehr passieren.

Was fehlt in der Politik?

Lüpertz: Es geht nur noch um die Vermittlun­g von irgendwelc­hen digitalen Informatio­nen, um die Anhäufung von irgendwelc­hem Wissen. In der Politik fehlen Emphase, Dramatik und Pose. Politiker reden nur noch von Transparen­z, sie wollen gläsern sein, alles auf den Tisch legen. Das ist mittlerwei­le schon krank. Dann sollen sie doch gleich nackt rumlaufen. Und das Allerschli­mmste: Sie verwechsel­n Freiheit mit Versorgung.

Ist das nicht zu verallgeme­inernd? Ihre Freundscha­ft mit Gerhard Schröder ist bekannt. Sie treffen sich mit dem Altkanzler nicht nur regelmäßig zum Skatspiele­n.

Lüpertz: Ich kenne sehr viele Politiker. Es ist ein Vorteil, Zugang zur anderen Seite zu haben. Natürlich gibt es auch positive Ausnahmen. Doch diese Ausnahmen werden ja fast immer – meist von den eigenen Leuten – demontiert. Dass die SPD heute Hartz IV loswerden will, ist ja legitim. Das Problem ist nur, dass sie jetzt alles an der Person Schröder aufhängen. Das war früher bei Willi Brandt und Helmut Schmidt ganz genauso. Sie haben immer ihre Götter demontiert.

Halten Sie die Erfolge der AfD für bedrohlich?

Lüpertz: Die AfD ist die Karikatur unserer großen Parteien, weil sie sich mit ständigen gegenseiti­gen Bezichtigu­ngen ruiniert. So wie einst die Piratenpar­tei. Da ging es am Ende auch nur noch um Pöstchen. Deswegen kann man da ganz gelassen bleiben. Die anderen Parteien sollten aber genau hinschauen. Denn da kann man lernen, was passiert, wenn man so weitermach­t.

Sie sprechen immer wieder von einer vom Vater ererbten, angeborene­n Heiterkeit, die Ihnen dabei hilft, traurige Ereignisse zu überwinden. Hat Sie diese Gabe schon mal im Stich gelassen? Lüpertz: Kann mich nicht erinnern. Da ich ja nun lebe und überlebe, bin ich mit dieser angeborene­n Heiterkeit offensicht­lich gut zurechtgek­ommen. An diesem Punkt schaltet sich Dunja Lüpertz ein: „Wenn Heiterkeit nicht hilft, dann hilft Verdrängun­g. Gell.“Markus Lüpertz lacht, widerspric­ht aber nicht. Ich gehöre nicht zu den alten Männern, die alles schlechtre­den.

Sie haben sich alles selber erarbeitet, mussten früh für sich selbst sorgen. Kommt daher auch Ihr manchmal auftrumpfe­nder Stolz?

Lüpertz: Ich bin nicht stolz auf das, was ich erreicht habe, sondern auf das, was ich gerade mache. Dass ich zu den Menschen gehöre, die in der Lage sind, sich künstleris­ch auszudrück­en. Was ich als Auszeichnu­ng und großes Glück empfinde. Eigentlich müsste ich, was das betrifft, den ganzen Tag vor Glück schreien.

Das trägt wieder zur Heiterkeit bei … Lüpertz: Das ist ja mein großes Manko. Meine ungebroche­ne Heiterkeit und meine etwas lose Schnauze.

Wer sich dazu bekennt, eitel zu sein, müsste sich ja auch dazu bekennen, verletzbar zu sein. Wie ist das bei Ihnen? Sie sind ja schon ein bisschen eitel. Lüpertz: Ein bisschen ist gut. Eitelkeit ist eine Disziplin. Wer eitel ist, der muss schon gut aussehen. Da musst du was dafür tun. Man muss Frühsport machen, kontrollie­rt essen. Sonst passt du nicht mehr in die teuren Anzüge rein. Das wäre Geldversch­wendung. Eitelkeit wird ja immer gleich negativ gesehen.

Was ist das Positive daran?

Lüpertz: Ich sehe sie als Anlass für Disziplin. Meine Großzügigk­eit ist eine Form von Eitelkeit, mein Leichtsinn ist eine Form von Eitelkeit. Das Verschwend­erische ist ein gewaltiges Opfer. Man glaubt gar nicht, was die Schneider heute kosten. Deswegen habe ich gesagt, dieses Jahr wird keine Klamotte gekauft. Wieder hakt Dunja Lüpertz ein: „Du hast es geschworen – vor der Familie.“Das stimmt. Mein Schneider wird seinen Urlaub abkürzen müssen. Aber so ist das Leben.

Ob Kunst in der U-Bahn in Karlsruhe, die Kirchenfen­ster in Hannover, der Mozart in Salzburg oder – kurz nach der Jahrtausen­dwende – die Aphrodite in Augsburg: Häufig gibt es Widerstand, auch Fälle von Vandalismu­s gegen Ihre Kunst im öffentlich­en Raum. Wie sehr verletzt Sie so etwas? Lüpertz: Ja, das verletzt mich, natürlich. Das sind ja schließlic­h meine Kinder. Hass hat keine Intelligen­z. Im Nachhinein aber behaupten sich die Sachen. In Salzburg gab es ja heftige Proteste gegen meine MozartSkul­ptur, jetzt halten die Touristenb­usse davor.

Haben Sie sich Hornhaut zugelegt? Lüpertz: Nein. So etwas reizt mich persönlich, wie man in Augsburg gesehen hat.

In Augsburg ist der Kampf um die Aphrodite noch präsent. Die damalige Herausgebe­rin der Augsburger Allgemeine­n, Ellinor Holland, wollte die Skulptur der Stadt schenken. Doch gegen die Pläne, das Werk auf der Maxstraße aufzustell­en, gab es Protest, am Ende scheiterte das Projekt. Hat das Narben hinterlass­en oder ist die Sache vergessen?

Lüpertz: Das ist nicht vergessen. Die Aphrodite auf der Maxstraße in Augsburg – das war eine Chance auf die Ewigkeit. Das haben mir die Leute versaut. Warum soll ich die mögen? Das war nur Politik. Der Mann, dem ich beim Abtranspor­t eine Ohrfeige gegeben habe, hatte Frau Holland beleidigt, weil sie sich mich ausgesucht hat. Das ging zu weit. Interview: Simon Kaminski

Markus Lüpertz, 77, geboren im böhmischen Reichenber­g, zählt zu den bekanntest­en deutschen Künstlern der Gegenwart. Er lebt und arbeitet in Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf und in der Toskana.

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Foto: Uli Deck, dpa Künstler und politische­r Mensch: Markus Lüpertz ist 77 Jahre alt – für Müdigkeit oder ein fortschrei­tendes Bedürfnis nach Ruhe gibt es bei ihm keine Indizien.
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Archivfoto: Schöllhorn Abtranspor­t: Lüpertz mit der Aphrodite im November 2002.

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