Mann verdrischt Schwester mit Reitgerte
Prozess Ein 58-Jähriger steht wegen Körperverletzung in Günzburg vor Gericht. Warum er trotz Vorstrafen noch mit einer Bewährung davon kommt und ein größeres Polizeiaufgebot das Gebäude sicherte
Günzburg „Hoffentlich langweile ich Sie nicht, Herr Vorsitzender“, fragte der Angeklagte, gerichtet an den Richter Martin Kramer. Vor der Urteilsverkündung hielt der 58-Jährige einen fast zehnminütigen Monolog über seine persönliche Befindlichkeit. Der Mann aus dem südlichen Landkreis hatte seine Schwester mit einer Reitgerte verdroschen und nicht zum ersten Mal Ärger mit der Justiz. Als Vorsichtsmaßnahme für einen geordneten Verhandlungsablauf war ein größeres Polizeiaufgebot im Günzburger Gerichtsgebäude und eine umfassende Personenkontrolle angesetzt.
Offen blieb, ob die Sicherheitsmaßnahmen an dem Gerücht lagen, der Angeklagte sei der Reichsbürger-Szene zuzurechnen, was sowohl er wie sein Anwalt Thomas Dick (Gundelfingen) gegenüber unserer Zeitung nachdrücklich verneinten.
Am letzten Junitag des vergangenen Jahres war es auf dem Grundstück des Mannes zu der folgenschweren Auseinandersetzung gekommen. Mit einer Reitgerte soll der Angeklagte seine Schwester geschlagen haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Damit nicht genug, habe der 58-Jährige eine Kiste mit Werkzeug und Nägeln vom Balkon im Obergeschoss bewusst auf die Frau gestoßen. Sie konnte zwar noch ausweichen, durch die Gerte und bei einem Sturz erlitt die 54-Jährige aber Verletzungen.
Hintergrund ist ein Erbstreit um das Anwesen, verteidigte Anwalt Dick seinen Mandanten. Gegen den Angeklagten sei damals die Kündigung des Wohnrechts im Haus des gestorbenen Vaters ausgesprochen worden. Dann tauchte die Schwester auf und betrat das Grundstück. Sein Mandant habe sie zurückgewiesen und „zurückgedrängt“. Zusätzlich habe er die Krumbacher Polizei alarmiert, die aber zunächst keine freie Streife aufbieten konnte. Als die Frau mit ihrem Handy Fotos machte, habe sich der Bruder nicht mehr anders zu helfen gewusst, als mit der Gerte zu schlagen: „Mein Mandant war nicht der Aggressor, sondern sie.“
Dann griff der Angeklagte selbst in die Verhandlung ein und beschrieb die Vorgänge aus seiner Sicht. Er habe seine Schwester zunächst nur mit einem Plastikschild vom Grundstück drängen wollen. Dann sperrte er seine drei Labrador-Hunde ein, angeblich aus Angst, dass gegen die Tiere eine Schusswaffe eingesetzt werden könne. Dann bewaffnete er sich selbst – mit der Reitgerte, „ich bin Reiter“. Als er im Obergeschoss auf den Balkon trat, sei er wegen Gummigalo- gestolpert und gegen die auf der Brüstung stehende Kiste gefallen. Wieder unten im Garten habe er gegen seine Schwester einen „Schmerzgriff“angewendet, da die Polizei immer noch nicht gekommen sei, „die war wohl beim Weißwurstessen“. Diese Bemerkung brachte ihm dann einen Rüffel von Richter und Staatsanwalt Raphael Ruisinger ein.
Da lief der Angeklagte zur Hochform auf: „Das war Hausfriedensbruch und Nötigung“klagte er, ein „Eingriff in die Unverletzlichkeit des persönlichen Lebensbereichs“, da habe er sich zur „Notwehrhandlung“entschlossen und sich „lehrbuchmäßig korrekt verhalten“. Das hätte die Staatsanwaltschaft erkennen müssen, statt ihn anzuklagen, fand er. Denn als „langjähriger Dozent für Staats- und Verfassungsrecht bin ich mit den rechtlichen Umständen vertraut“. Mit der Gerte habe er seine Schwester nur aufs Gesäß geschlagen und nicht auf den Rücken. Wie er das bewerkstelligt habe, fragte Staatsanwalt Ruisinger. Als „Angehöriger einer schlagenden Studentenverbindung“, kam es vom Angeklagten zurück, wisse er, wie man mit einer Reitgerte aufs Gesäß schlägt. Schließlich habe es sich nicht um eine Mensur gehandelt, ein nach strengen Regeln ausgeführter Fechtkampf unter Corpsstudenten mit scharfen Waffen, bei denen es zu Wunden und Narben im Gesicht kommen kann.
Als Zeugin bestätigte die Schwester weitgehend den Ablauf der Auseinandersetzung. Sie habe vom Grundstück und im Haus Fotos machen wollen, um auf Anraten ihrer Anwältin den verwahrlosten und vermüllten Zustand für einen Zivilprozess zu dokumentieren. Bei der Kiste jedoch sei sie sich sicher, dass ihr Bruder das mit Sanitärarmaturen gefüllte Behältnis mit Absicht auf die Brüstung gestellt habe. Dann habe er es herunter gestoßen und ausgerufen: „Hoppla, da kommt was.“Sie konnte ausweichen.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft könne von einer Notwehrsituation keine Rede sein. Ruisinger forderte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung, denn der Angeklagte habe schon mehrfach einschlägig gegen das Gesetz verstoßen.
Das empfand Verteidiger Dick als viel zu hoch gegriffen. „Da sind die Falschen aufeinander getroffen“, sagte er. Sein Mandant habe ledigschen lich sein Recht durchsetzen wollen, als die Schwester widerrechtlich das Haus betreten wollte – was als Notwehr oder zumindest Notstand gewertet werden müsse. Der Anwalt sah einen minder schweren Fall und forderte Freispruch für seinen Mandanten, allenfalls aber eine Geldstrafe.
Bei seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung trug der Angeklagte einen ziemlich langatmigen Monolog über seine Lebensgeschichte vor, unter anderem mit seiner Ausbildung, seinen vielen ehrenamtlichen Aktivitäten – unter anderem Mitglied bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft, beim Arbeitskreis für sozial schwache Menschen und der Pfadfinderschaft. Derzeit lebe er von Hartz IV. Er bat um einen Freispruch.
Doch damit hatten der Anwalt und der Angeklagte keinen Erfolg. Für die Körperverletzung mit der Reitgerte und die versuchte Körperverletzung mit der Kiste verhängte Richter Martin Kramer eine sechsmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie eine Geldauflage in Höhe von 650 Euro zugunsten der Freiwilligen Feuerwehr. „Wer für sich den Anspruch erhebt, rechtskundig zu sein, der kann keinen Verbotsirrtum für sich beanspruchen“, gab der Richter dem Mann mit auf den Weg.
„Die Polizei war wohl beim Weißwurstessen.“