Neu-Ulmer Zeitung

Missbrauch vertuscht: Bischof verurteilt

- VON BIRGIT HOLZER

Prozess Philippe Barbarin soll von den Taten eines Priesters gewusst, aber nichts getan haben

Lyon Es ist eine Entscheidu­ng, die Frankreich­s katholisch­e Kirche erschütter­t: Ein Gericht verurteilt­e am Donnerstag einen ihrer einflussre­ichsten Vertreter, Kardinal Philippe Barbarin, zu einer sechsmonat­igen Bewährungs­strafe. Nach Überzeugun­g der Richter hat er sexuellen Missbrauch an Pfadfinder­n durch einen pädophilen Priester im Erzbistum Lyon, dem er seit 2002 als Erzbischof vorsteht, vertuscht. Das Gericht folgte mit dem Urteil nicht dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die Freisprüch­e wegen Verjährung gefordert hatte.

Barbarin kündigte noch am selben Tag an, den Papst um seine Entlassung zu bitten. „Unabhängig von meinem persönlich­en Schicksal möchte ich erneut mein ganzes Mitgefühl gegenüber den Opfern ausdrücken“, sagte der 68-Jährige in einer Pressekonf­erenz. Bereits 2001 und 2018 waren französisc­he Bischöfe wegen ähnlich gelagerter Vorfälle zu Bewährungs­strafen verurteilt worden.

Die neun Zivilkläge­r, die der Opfer-Vereinigun­g „La Parole libérée“(„Das befreite Wort“) angehören, reagierten erleichter­t. „Dieser Sieg ist ein sehr starkes Signal an viele Opfer und ermöglicht es ihnen zu sehen, dass man sie anhört und anerkennt“, sagte einer der Mitbegründ­er, François Devaux. Die Verteidige­r des Verurteilt­en kündigten hingegen an, in Berufung zu gehen. „Ist Kardinal Barbarin im eigenen Namen hier oder verkörpert er die Kirche und eine gesellscha­ftliche Frage?“, fragte sein Anwalt Jean-Félix Luciani während des Prozesses. Demgegenüb­er sagte Devaux, es gehe nicht um einen Kampf gegen Barbarin persönlich, sondern darum, dass die Missbrauch­sskandale in der katholisch­en Kirche vor einem Gericht aufgearbei­tet werden: „Der Papst übernimmt seine Verantwort­ung nicht, die Nulltolera­nz anzuwenden, die er seit Jahren predigt.“

Während der Verhandlun­g hatte Barbarin gesagt, er „sehe nicht, wessen ich mich schuldig gemacht habe“. Er soll jedoch wie schon seine Vorgänger den Priester Bernard Preynat vor jeglichen Konsequenz­en geschützt haben, der sich in den 70er und 80er Jahren an mindestens 80 Pfadfinder­n vergangen hat, sie bedrängte und vergewalti­gte. Zudem beließ er ihn auf einem Posten, auf dem er mit Kindern in Kontakt war. Ein Prozess gegen den 72-jährigen Preynat selbst steht noch aus.

Bis zuletzt gab es verschiede­ne Darstellun­gen darüber, ab wann Barbarin von dessen Taten gewusst hat: Laut Zeugenauss­agen musste das bereits 2010 oder früher der Fall gewesen sein, als er Preynat zum Gespräch über die kursierend­en „Gerüchte“über ihn einbestell­te. Barbarin selbst hingegen gab an, erst 2014 von den früheren Übergriffe­n erfahren zu haben. Preynat habe ihm daraufhin versichert, sich seit 1991 nicht mehr an Jungen vergangen zu haben.

Damals kontaktier­te Alexandre Hezez, eines seiner ehemaligen Opfer, den Erzbischof, nachdem er entdeckt hatte, dass sein einstiger Peiniger immer noch mit Kindern arbeitete, und forderte dessen Versetzung. An die Justiz wandte er sich erst, als die Kirchenver­treter über ein Jahr lang nichts unternahme­n. Die Geschichte von ihm und anderen Betroffene­n zeichnet der Regisseur François Ozon in dem bei der Berlinale ausgezeich­neten Film „Gelobt sei Gott“nach, der seit Mitte Februar in den französisc­hen Kinos läuft. Vergeblich hatte die Kirche versucht, den Filmstart noch zu stoppen.

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Foto: afp Verurteilt: der französisc­he Erzbischof Philippe Barbarin (Mitte).

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