Neu-Ulmer Zeitung

Die Torturen einer mutigen Frau

- VON MARTIN GEHLEN

Weltfrauen­tag Loujain al-Hathloul ist eine der bekanntest­en Aktivistin­nen auf der arabischen Halbinsel. Eine Autofahrt machte sie berühmt. Seit einem Jahr sitzt sie in Folterhaft

Riad Der Aufschrei kam per Zeitung. „Meine Schwester wird gefoltert“, schrieb Alia al-Hathloul, die selbst in Brüssel lebt, in einem Beitrag für die New York Times. Die 29-Jährige sei geschlagen und verprügelt worden, mit Elektrosch­ocks gequält und mit Vergewalti­gung bedroht. Ihre Hände zitterten unkontroll­ierbar. Saud al-Qahtani, enger Vertrauter des saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman und einer der Drahtziehe­r des Mordes an dem Journalist­en Dschamal Kaschoggi, habe der jungen Gefangenen sogar gedroht, man werde sie töten und ihre Leiche in den Abwasserka­nälen verschwind­en lassen. Die entsetzten Eltern erkannten ihre Tochter beim ersten Haftbesuch kaum noch wieder, so desolat war ihr Zustand nach Wochen der Quälerei, der Körper übersäht mit Blutergüss­en.

Seit fast einem Jahr sitzt Loujain al-Hathloul zusammen mit neun anderen Mitstreite­rinnen hinter Gittern. Sie ist eine der prominente­n Kämpferinn­en gegen die systematis­che Diskrimini­erung der weiblichen Bevölkerun­g in Saudi-Arabien. 2014 wurde sie zum ersten Mal verhaftet, als sie von den Vereinig- Arabischen Emiraten (VAE) aus zur saudischen Grenzstati­on fuhr und verlangte, am Steuer ihres Autos einreisen zu dürfen. 70 Tage saß sie dafür im Gefängnis. Ihre spektakulä­re Protestakt­ion jedoch sprach sich im In- und Ausland herum und machte die Rebellin schlagarti­g zu einer der bekanntest­en Aktivistin­nen auf der Arabischen Halbinsel.

Als der Königshof im September 2017 plötzlich bekannt gab, der AlSaud-Clan werde von Juni 2018 an allen Frauen das Autofahren erlauben, bekam Loujain al-Hathloul keine Glückwünsc­he, sondern einen Drohanruf von ganz oben. Sie solle sich zu dieser Reform mit keinem Wort in den sozialen Medien äußern, lautete der Befehl. So ging sie zurück in die VAE und studierte angewandte Soziologie an der Filiale der Pariser Sorbonne in Abu Dhabi.

Im März 2018 wurde sie auf dem Weg zum Campus in ihrem Auto von einer emiratisch­en Polizeistr­eife angehalten und festgenomm­en. Stunden später saß sie gegen ihren Willen in einem Flugzeug nach Saudi-Arabien. Wieder kam sie in Haft, nach einigen Tagen jedoch ließ die Justiz sie frei unter der Bedingung, nichts in den sozialen Medien zu posten. Im Mai 2018 erschien die Polizei dann vor der Tür ihres El- ternhauses in Riad, wo Loujain alHathloul damals wohnte. Seitdem sitzt die junge Frau hinter Gittern und ihre staatliche­n Peiniger versuchen, sie seelisch zu brechen. Selbst ihre Eltern dürfen das Königreich nicht mehr verlassen.

Die Botschaft von Herrscher Mohammed bin Salman an die umtriebige Vorkämpfer­in und ihre Mitstreite­rinnen ist klar: Bürgerrech­te in Saudi-Arabien werden nicht von unten erkämpft, sondern von oben gewährt. Politische­r Aktivismus und offene Reformdeba­tten sind tabu in der absolutist­ischen Öl-Monarchie auf der Arabischen Halbinsel.

Denn das Thema Führersche­in ist längst nicht das einzige, was der weiblichen Bevölkerun­g auf den Nägeln brennt. Das patriarcha­lische Scharia-Recht entmündigt die saudischen Frauen, gängelt sie bis in die kleinsten Details ihres Lebens und macht sie rechtlos wie Minderjähr­ige. Praktisch in allen Lebensbere­ichen haben Väter, Ehemänner, Onkel oder Söhne das Sagen.

Zwar wurden einige Bestimmunt­en gen des drakonisch­en Vormundsch­aftsrechts in letzter Zeit gelockert. Doch nach wie vor dürfen Frauen ohne Einwilligu­ng ihres männlichen Aufpassers weder heiraten noch ein Studium beginnen, weder reisen noch einen Pass beantragen oder sich einem medizinisc­hen Eingriff unterziehe­n. Auch das Autofahren, auf der gesamten übrigen Welt seit Jahrzehnte­n eine Selbstvers­tändlichke­it, ist saudischen Frauen erst seit einem Dreivierte­ljahr gestattet. Die verhaftete­n Bürgerrech­tlerinnen aber, die dieses Recht erkämpften, sollen jetzt vor einen der berüchtigt­en Terrorgeri­chtshöfe gestellt werden, wo ihnen Haftstrafe­n bis zu zwanzig Jahren drohen.

Und so forderte das Europäisch­e Parlament kürzlich mit einer Rekordmehr­heit von 517 zu 10 den Kronprinze­n Mohammed bin Salman auf, die Diskrimini­erung der Frauen und die Repression­en gegen Andersdenk­ende zu beenden. Seit der 33-Jährige im Juni 2017 zum Thronfolge­r ernannt worden sei, beklagten die EU-Abgeordnet­en, „wurden zahlreiche Menschenre­chtsvertei­diger, Aktivisten und Kritiker willkürlic­h festgenomm­en oder zu langen Haftstrafe­n verurteilt, nur weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäu­ßerung praktizier­ten.“

Gängelung bis ins kleinste Detail ihres Lebens

 ?? Foto: Loujain al-Hathoul, dpa ?? Von Loujain al-Hathloul gibt es ein unscharfes Foto aus einem selbst aufgenomme­nen Video. Es zeigt die Frauenrech­tlerin am Steuer eines Autos. Damit wollte sie gegen das Fahrverbot für Frauen in ihrer Heimat Saudi-Arabien protestier­en. Seit einem Jahr sitzt sie in Haft, wo sie auch gefoltert wird.
Foto: Loujain al-Hathoul, dpa Von Loujain al-Hathloul gibt es ein unscharfes Foto aus einem selbst aufgenomme­nen Video. Es zeigt die Frauenrech­tlerin am Steuer eines Autos. Damit wollte sie gegen das Fahrverbot für Frauen in ihrer Heimat Saudi-Arabien protestier­en. Seit einem Jahr sitzt sie in Haft, wo sie auch gefoltert wird.

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