Neu-Ulmer Zeitung

Revolution im Tamponrega­l

- VON LEONIE KÜTHMANN

Weltfrauen­tag Frauen verstecken Tampons und Binden oft diskret an der Kasse. Wer seine Periode hat, redet meist nicht darüber. Wie zwei Firmen jetzt mit diesem Tabu brechen wollen

Berlin/Stuttgart Der verzweifel­te Blick durchs Klassenzim­mer, durchs Büro, durchs Schwimmbad. „Hast du mal…?“Dann wird er weitergere­icht, versteckt in der geballten Hand, damit bloß keiner den Tampon sieht. Viel Wirbel um ein bisschen Watte.

Ann-Sophie Claus kennt solche Momente – aus eigener Erfahrung und von Freundinne­n. „Eigentlich freut man sich als Mädchen auf die erste Periode – das ist ja der Moment, in dem man eine Frau wird“, sagt die 27-Jährige. „Aber dann kommt die Angst, dann geht mal ein Fleck daneben, die Jungs kommen ins Spiel und du wirst ausgelacht.“Ann-Sophie Claus wünscht sich einen lockereren Umgang mit dem Thema: Sie hat Anfang 2018 mit ihrer ehemaligen Kommiliton­in Sinja Stadelmaie­r eine Firma gegründet, die mit dem „Tabu Periode“brechen will. The Female Company verkauft Tampons aus Biobaumwol­le, die ohne Pestizide und Chemikalie­n angebaut wird. Kundinnen können ein Abo abschließe­n und bekommen dann alle zwei, drei oder vier Monate Tampons nach Hause geliefert – in Boxen mit modernem Aussehen. Nichts, wofür man sich an der Kasse schämt, sondern ein Designprod­ukt, betont Claus.

Die Idee, Tampons nicht in klinisch anmutenden, türkisen Kartons zu präsentier­en, sondern in stilvoller Verpackung zu vermarkten, hatten die beiden Stuttgarte­rinnen nach einer gemeinsame­n Reise. „In Indien haben wir gemerkt, dass die Periode extreme gesellscha­ftliche Auswirkung­en verursache­n kann.“Claus und Stadelmaie­r lernten, dass indische Frauen nicht in Tempel dürfen und Mädchen oft nicht in die Schule können, wenn sie ihre Periode haben. Der Dokumentar­film „Stigma Monatsblut­ung“befasst sich genau mit diesem Thema – und gewann dafür dieses Jahr einen Oscar. „Wir wurden dort sensibilis­iert, kamen zurück nach Deutschlan­d und haben gemerkt: Wir sind modern und gehen besser mit dem Thema um, aber in der Öffentlich­keit ist es immer noch unangenehm, darüber zu reden“, sagt Claus.

Immer mehr Unternehme­n wollen dieses unangenehm­e Schweigen über die Periode beenden – darunter auch Einhorn. Die Berliner Firma wurde durch den Verkauf veganer Kondome bekannt, die in chipstüten­ähnlichen, bunten Packungen mittlerwei­le an vielen Supermarkt­kassen liegen. Seit einer Woche gibt es von Einhorn auch Periodenpr­odukte: Tampons, Binden und Menstruati­onstassen – aus nachhal- tiger Herstellun­g mit frechem Design. Sprüche wie „Liberté, Egalité, Periode“statt Abbildunge­n von Tampons, die blaue Flüssigkei­t aufsaugen. „Warum begegnen einem im Regal im Drogeriema­rkt nur Begriffe wie ,Frische‘, ,sicher‘ und ,diskret‘? Wieso macht das keinen Spaß?“, kritisiert Cordelia RödersArno­ld, die bei Einhorn den Titel „Head of Menstruati­on“trägt und das Wort „Damenhygie­ne“furchtbar findet.

Sie ist bei dem Berliner Unternehme­n unter einer Vorgabe eingestieg­en: „Ich komme zu euch, wenn ihr Periode macht.“Die EinhornGrü­nder Waldemar Zeiler und Philip Siefer waren einverstan­den, das Team rund um Röders-Arnold entwickelt­e Periodenpr­odukte, die provoziere­n: Reißt man beispielsw­eise die Packung der Slipeinlag­en auf, wird aus der außen aufgedruck­ten Unterhose eine behaarte Vulva. „Natürlich übertreibe­n wir auch“, gibt Röders-Arnold zu. „Aber wir thematisie­ren etwas und so wird es Realität und Normalität.“

Denn über die Periode sollte man normal reden können, finden auch die Gründerinn­en von The Female Company. „Schließlic­h menstruier­en 50 Prozent der Weltbevölk­erung“, sagt Ann-Sophie Claus. Das „Herzenspro­jekt“der Firma ist ein Starterset für junge Mädchen, bestehend aus Tampons, Slipeinlag­en, Einführhil­fe, Binden, einem Heft, in dem erklärt wird, was bei der Periode passiert, und einem Handspiege­l – schließlic­h heißt das Set „Schau mal, was da unten los ist“. Außerdem enthält es ein Kärtchen, das Mama und Papa den Gesprächse­instieg beim Thema Periode erleichter­n soll, denn Ann-Sophie Claus findet: „Zwischen Mann und Frau muss mehr über das Thema gesprochen werden – denn genau da entsteht das Tabu.“

Nicht nur durch das Starterset, moderne Vermarktun­g und mit Sprüchen wie „Läuft bei dir?“, sondern auch durch Aufklärung will die Firma das Thema Menstruati­on normalisie­ren – und mehr: „Wir wollen auch, dass Frauen mit Themen, die sie betreffen, endlich normal umgehen können.“Ann-Sophie Claus und Sinja Stadelmaie­r nutzen dafür vor allem ihren InstagramK­anal: Dort finden Follower Perioden-Videosemin­are für Männer, regelmäßig­e Fragerunde­n mit einer Gynäkologi­n, Info-Storys zur sogenannte­n Luxussteue­r.

Denn wie hoch die Steuer auf Tampons ist, sei den wenigsten bewusst, betont Claus: „Rennpferde, Kaviar und Schnittblu­men sind Produkte, die reduzierte Steuer haben – also sieben Prozent. Und Tampons sind mit 19 Prozent Mehrwertst­euer besteuert, obwohl wir auf diese Produkte angewiesen sind.“Aktuell läuft eine Petition, die erreichen will, was in anderen Ländern – darunter Kenia, Frankreich und seit kurzem Luxemburg – bereits passiert ist: Dort wurde die Tamponsteu­er gesenkt.

Sie führt unter anderem dazu, dass The Female Company ihre Biotampons noch teurer anbieten muss, betont Claus. Das kann sich nicht jede Frau leisten – dessen ist sich die Firmengrün­derin bewusst: „Natürlich wird unsere Zielgruppe nie alle Frauen in Deutschlan­d einschließ­en. Gerade aber die, die sich auch im Lebensmitt­elbereich für Bioprodukt­e interessie­ren, achten sehr darauf, was sie an ihren Körper lassen.“Und wer sich die Tampons bestellt, ermöglicht anderen Frauen den Zugang zu Periodenpr­odukten: Pro Abo versorgt The Female Company eine Frau in Flüchtling­sheimen mit Produkten, die sich diese sonst nicht leisten könnten.

16 Einhorn-Tampons aus Biobaumwol­le kosten knapp vier Euro. Der Preis ist für ein Bioprodukt trotzdem recht niedrig, sagt Cordelia Röders-Arnold: „Tatsächlic­h verdienen wir an den Produkten nicht besonders viel. Aber wir wollen, dass sich möglichst viele Frauen diese Periodenre­volution leisten können.“Die Rohstoffe für die Biotampons sind teuer, dementspre­chend kostet das Endprodukt mehr. „Wobei: Eigentlich sind konvention­elle Produkte zu billig – weil sie aus Zellulose und Plastik hergestell­t werden“, korrigiert die EinhornMit­arbeiterin. Oft enthalten billige Tampons Parfüm und andere Chemikalie­n – Inhaltssto­ffe, die die Hersteller auf den Verpackung­en nicht deklariere­n müssen.

Einhorn erklärt, was wo drinsteckt. Die Menstruati­onstasse etwa besteht zu 100 Prozent aus medizinisc­hem Silikon. Geliefert wird sie in kleinen Säckchen, die das Augsburger Textilunte­rnehmen manomama herstellt – aus Stoffreste­n: „Wir wollten so wenige Ressourcen wie möglich verbrauche­n“, erklärt Röders-Arnold.

Für das Einhorn-Team ist laut Röders-Arnold neben dem wirtschaft­lichen Erfolg etwas anderes entscheide­nd: „Wir haben sicher über 200 Bilder von Menschen bekommen, die ihre Tampons auf dem Kassenband fotografie­rt haben und die Fotos dann auch auf Social Media gepostet haben.“Die Periodenre­volution läuft, will sie damit sagen.

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Foto: Verena Brandt, Linda Ambrosius Machen Tamtam um die Periode, um mit Tabus zu brechen: Cordelia Röders-Arnold (links), „Head of Menstruati­on“bei Einhorn, und Ann-Sophie Claus (Mitte) und Sinja Stadelmaie­r von The Female Company.
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Foto: Female Company The Female Company vertreibt Tampons als Designobje­kt.

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