Ingolstadts Ex-OB beteuert Unschuld
Korruption Alfred Lehmann muss sich wegen Bestechlichkeit und Untreue vor Gericht verantworten. Er soll sich finanzielle Vorteile in Höhe von 750 000 Euro verschafft haben. Was er bestreitet
Ingolstadt Es gibt Angeklagte, die unbedingt reden wollen. Die lange gewartet haben, bis sie sich endlich öffentlich verteidigen können. Alfred Lehmann, Ingolstadts früherer Oberbürgermeister, ist ein solcher Angeklagter. Er habe diesem Termin „entgegengefiebert“, sagt einer seiner beiden Verteidiger nach Prozessauftakt vor dem Landgericht Ingolstadt.
Es ist nicht irgendein Prozess, der am Donnerstag begonnen hat, sondern Prozess des Jahres. Auf der Anklagebank sitzt nicht irgendein Rathauschef, sondern ein extrem erfolgreicher. Als Lehmann 2014 nach 12 Jahren im Amt ging, verabschiedete der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer „einen der besten Oberbürgermeister, den Bayern vorweisen kann“. Und die beiden hatten durchaus ihre Differenzen. Der 68-jährige Lehmann steht – wie Audi – für den Boom Ingolstadts der vergangenen Jahre. Im Zuge der Ermittlungen zur Klinikumsaffäre um Mauscheleien und undurchsichtige Auftragsvergaben geriet allerdings auch er ins Zwielicht. Seit Herbst 2016 treibt dieser Skandal die Stadt um. Lehmann wurde als Beschuldigter geführt, seine Wohnung wurde durchsucht, es wurde lange ermittelt und im März 2018 Anklage erhoben. Im August ließ das Gericht zu. Am Donnerstag nun der Prozessauftakt.
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt wirft Lehmann Bestechlichkeit und Untreue vor. Es geht um den Verkauf von Grundstücken und Wohnungen, die in öffentlicher Hand waren. Im ersten Fall sind es insgesamt 16 Studentenappartements in einem Mannschaftsgebäude auf dem Gelände der früheren Pionierkaserne. Lehmann und sein inzwischen verstorbener Vater hatten diese im Juni 2011 gekauft. Lehmann ein Dutzend, der Vater vier weitere. Zu diesem Zeitpunkt war Lehmann nicht nur OB, sondern auch Verwaltungsratsvorsitzender der städtischen Industriefördergesellschaft (IFG). Er soll sich in dieser Funktion persönlich dafür eingesetzt haben, dass ein bestimmter Bauunternehmer den Zuschlag für die Immobilie erhält. Im Gegenzug habe Lehmann danach bei diesem günstig die Appartements erstanden und diese von ihm billiger ausgebaut bekommen.
Im zweiten Fall geht es um den Verkauf des Areals Altstadtkrankenhaus im Jahr 2012. Eine Immobilie in bester Innenstadtlage. Damit befasst war der Krankenhauszweckverband, dessen Vorsitzender ExOB-Lehmann damals qua Amt war. Er soll hier laut Anklage dafür gesorgt haben, dass ein bestimmter Bauträger zum Zuge kommt. Ob- wohl dieser 600000 Euro weniger als die Konkurrenz geboten habe. Lehmann wiederum soll dafür später eine Wohnung in dem Areal günstiger bekommen haben. Ferner habe er nach Darstellung der Staatsanwaltschaft mit dem Bauträger einen Rohbauvertrag abgeschlossen, obwohl der Bauträger das Appartement dann doch innen hergerichtet habe.
Insgesamt habe Lehmann sich so finanzielle Vorteile in Höhe von rund 750000 Euro verschafft. Dem Krankenhauszweckverband seien zusätzlich ein Schaden von rund 1,2 Millionen Euro entstanden: Nicht nur, weil 600000 Euro weniger für das Krankenhaus-Areal gezahlt wurden als möglich gewesen wären, sondern auch weil – nachträglich – die Geschossflächenzahl erhöht worden sei. Dafür hätte der Bauträger nach Überzeugung der Anklage nochmals rund 660 000 Euro zahlen müssen. Mit Lehmann sind jeweils ein Vertreter des Bauträgers sowie des Bauunternehmers angeklagt.
Der Ex-OB war, wie stets, vollendet elegant gekleidet vor Gericht erschienen. Er hörte aufmerksam zu, als Staatsanwalt Gerhard Reicherl die Anklage verlas, machte sich Notizen, blickte einmal skeptisch bis empört in den komplett gefüllten Sitzungssaal und ergriff dann, als er an der Reihe war, das Wort: Er wies die gegen ihn erhobediese nen Vorwürfe einen nach dem anderen vehement und rhetorisch geschliffen zurück. Er betonte: „Es gab keine Bestechung und keine Untreue.“Er habe stets im Interesse der Stadt und ihrer Bürger gehandelt. In seinem ganzen Leben habe es noch keinen Versuch gegeben, ihn zu bestechen: „Ich habe mich immer an die Regeln gehalten.“Der Auftritt vor Gericht falle ihm auch deshalb besonders schwer, weil er zeit seines Lebens nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sei und sich über 20 Jahre für diese Stadt und diesen Staat „wie kaum jemand sonst“eingesetzt habe.
Lehmann hat viel zu verlieren. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft, weil jeweils „besonders schwere Fälle“angeklagt sind. Hinzu kämen gegebenenfalls zivilrechtliche Ansprüche und disziplinarrechtliche Konsequenzen. Das aber ist nicht alles: Laut Landgerichtssprecherin Heike Linz-Höhne sieht das Gesetz im Falle eines rechtskräftigen Urteils „die Einziehung der durch die Straftat erlangten Vermögenswerte vor“. Und wie sich aus der Anklageund der entsprechenden Antragsschrift ergibt, droht daher gegebenenfalls auch der Verlust der Immobilien samt der Mieteinnahmen.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Es folgen vierzehn weitere Verhandlungstage. Es gibt vieles zu bereden.