Neu-Ulmer Zeitung

Ermittlung­en gegen die Ermittler

- VON MANFRED SCHWEIDLER

Kriminalit­ät Die Suche nach dem Mörder der vor 18 Jahren verschwund­enen Peggy wird immer seltsamer. Nun sollen unterfränk­ische Beamte ihre oberfränki­schen Kollegen einbremsen

Würzburg Die seit 18 Jahren laufende Suche nach dem Mörder der neunjährig­en Peggy wird immer makaberer: Nun sollen Würzburger Ermittler gegen ihre oberfränki­schen Kollegen von der Soko Peggy in Bayreuth ermitteln. Denn die gingen jetzt mit der Aufnahme eines 2001 heimlich abgehörten Gespräches zwischen dem geistig behinderte­n Ulvi K. und seinem Vater bei Zeugen hausieren.

Pleiten, Pech und Pannen ziehen sich wie ein roter Faden durch die bundesweit beachteten Ermittlung­en: Ulvi K. gestand 2002 den Mord – unter zweifelhaf­ten Begleit-Umständen und erhebliche­m Druck der damaligen Soko um ihren Chef Wolfgang Geier aus Würzburg. Ulvi K. wurde 2004 wegen des Mordes verurteilt, 2014 freigespro­chen und steht jetzt wieder unter Verdacht.

Nach dem Fund von Peggys Leiche 2016 gestand sein Kumpel Manuel S. 2018, den Körper des Mädchens weggeschaf­ft zu haben. Auch das wurde prompt zurückgezo­gen, Manuel S. kam wieder frei. Ein Tonband der Polizei funktionie­rte in einem wichtigen Verhör nicht. Verdächtig­e wurden wiederholt ohne Verteidige­r vernommen. Am Fundort von Peggys Leiche schickte die Spurensich­erung mit einem verunreini­gten DNA-Fund die Ermittler auf die falsche Fährte.

Nun sind Kripo-Beamte der Soko sowie ein Bayreuther Staatsanwa­lt selbst ins Visier von Ermittlung­en geraten. Denn sie sollen heimlich mitgeschni­ttene Aufnahmen von einem alten Gespräch zwischen Ulvi K. und seinem Vater Zeugen aus dem Bekanntenk­reis Ulvis vorgespiel­t haben. „Sie wollten wissen, ob ich für plausibel halte, was Ulvi K. da seinem Vater erzählt“, berichtete einer der Befragten der

Die Aufnahme entstand am 24. Juli 2002. Da saß Ulvis Vater im Gefängnis, weil sein Sohn in einem seiner variantenr­eichen Geständnis­se ihn beschuldig­t hatte, Peggys Leiche weggeschaf­ft zu haben. Der von Innenminis­ter Günter Beckstein eingesetzt­e Soko-Chef Geier bot dem Vater ein Gespräch mit seinem Sohn an.

Was der frühere Würzburger Kripo-Chef Vater und Sohn nicht sagte: Geier hatte beim zuständige­n Richter längst die Erlaubnis eingeholt, das vermeintli­che Vier-AugenGespr­äch abhören zu dürfen – keine so ungewöhnli­che Maßnahme bei Tatverdäch­tigen in einem Mordfall.

Der Erfolg schien ihm recht zu geben. In dem 47 Minuten langen Mitschnitt von 2002 beteuert Ulvi K. seinem Vater unter Tränen: „Der Manuel S. hat mir geholfen, der war dabei, das kann ich beschwören.“Ulvi K. soll Manuel erzählt haben, er habe Peggy vergewalti­gt. Der habe geantworte­t: „Des mechert ich a gern amol mochen.“Als Peggy drei Tage später die beiden Männer am 7. Mai 2001 in Lichtenber­g traf, habe sie befürchtet, „dass noch mal was passiert“, so Ulvi K. im Gespräch mit seinem Vater. Sie sei geflohen. Die zwei Männer hätten sie eingeholt und hinund hergeschub­st. Manuel S. habe dann Ulvi K. aufgeforde­rt, dem schreiende­n Kind den Mund zuzuhalten. Als sie tot gewesen sei, habe Manuel sein Auto geholt, sie hätten das Kind in den Kofferraum geladen und sich gegenseiti­g versichert, nie mit jemandem darüber zu sprechen.

Was – separat betrachtet – wie ein Geständnis klingt, ist aber nur eine der vielen Variatione­n aus der Gedankenwe­lt des behinderte­n Ulvi, die er seinerzeit der Soko erzählte, um sie wenig später durch eine ganz andere zu ersetzen. Die Anwältin von Ulvi K., Hanna Henning, hat nun Strafantra­g bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg gestellt. Diese hat die Staatsanwa­ltschaft Würzburg mit Ermittlung­en beauftragt, wie ihr Pressespre­cher Boris Raufeisen bestätigt.

Ermittelt wird wegen des Verdachts einer Verletzung der Vertraulic­hkeit des Wortes. Amtsträger, die ein nicht öffentlich gesprochen­es Wort eines anderen aufnehmen und Dritten zugänglich machen, können mit Freiheitss­trafen bis zu fünf Jahren bestraft werden.

Die Reporter Otto Lapp Kurier) und Jörg Völkerling (Bild-Zeitung) verfolgen den Fall seit Jahren, kennen alle Beteiligte­n einschließ­lich Peggys Mutter. Weil beide aus dem Gespräch zwischen Ulvi K. und dessen Vater zitiert hatten, prüft man zudem, ob wegen der Verletzung von Dienstgehe­imnissen offiziell ermittelt werden muss.

Ulvis K. Anwältin sieht die Rechte ihres Mandanten verletzt: Das Tonband sei im Gerichtsve­rfahren zwar in einem Gutachten erwähnt, aber weder eingeführt noch vorgespiel­t worden. Somit handele es sich nicht um eine Aufzeichnu­ng, die bereits in öffentlich­er Verhandlun­g allen zugänglich gemacht wurde. Da Ulvi K. freigespro­chen wurde, hätte das Band keinesfall­s Dritten vorgespiel­t werden dürfen. Darüber hinaus verstoße ein heimlich aufgezeich­netes Gespräch zwischen Vater und Sohn gegen das Grundgeset­z. Bayreuths Leitender Oberstaats­anwalt Herbert Potzel wehrt sich gegen den Vorwurf. Für die Aufnahme habe eine richterlic­he Genehmigun­g vorgelegen. Auch habe es durch das Vorspielen des Bandes an Dritte seiner Überzeugun­g nach „keine Verstöße“gegeben. Beweismitt­el für Ermittlung­en zu verwenden, sei zulässig.

Überdies müssen sich die Unterstütz­er des Verdächtig­en Ulvi K. die Frage gefallen lassen, ob ihre Aufregung darüber glaubhaft wirkt, dass Details des Gespräches öffentlich bekannt werden. Seine Betreuerin Gudrun Rödel zitiert selbst ungehemmt aus dem Mitschnitt für die Öffentlich­keit. Dies zeigt ihre Facebook-Seite. Sie teilt aller Welt mit: Ulvis Vater widersprec­he auf der Aufnahme immer der Version seines Sohnes, der Manuel S. könne es gar nicht gewesen sein. Wörtlich sagt er: „Der S. hat ein Alibi, der war nicht dabei.“Irritiert ist über das Ganze auch die Mutter der toten Peggy. „Ich habe das Gefühl, die wollen nicht die ganze Wahrheit herausfind­en, sondern seit Jahren nur der Polizei irgendwelc­he Skandale und Fehlverhal­ten nachweisen“, sagt ihre Anwältin Ramona Hoyer. „Was das mit der Mutter macht oder dem Vertrauen in die polizeilic­he Ermittlung­sarbeit, das hinterfrag­t keiner.“

Ob es zulässig war, das Band vorzuspiel­en, soll demnächst das Amtsgerich­t Bayreuth entscheide­n. Verteidige­rin Henning kündigt an, in der Angelegenh­eit notfalls bis vors Bundesverf­assungsger­icht zu ziehen.

Tonband funktionie­rte bei wichtigem Verhör nicht

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Archivfoto: Holger Sabinsky-Wolf Seit 18 Jahren sucht die Polizei nach dem Mörder der kleinen Peggy. Dieses Foto ist an einem Gedenkstei­n angebracht.

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