Neu-Ulmer Zeitung

Tunnel total

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Großprojek­t Die Röhren der Neubaustre­cke – einem Teil von „Stuttgart 21“– am Ulmer Hauptbahnh­of sind vorzeitig fertig. Selbst Eidechsen konnten dies nicht aufhalten

Ulm Es ist der wohl ungewöhnli­chste Fußmarsch der Region: Los geht es bei Betonblock Nummer 473 am Einstieg des Albabstieg­stunnel am Ulmer Hauptbahnh­of. Tunnelblic­k total, der Wind pfeift durch die Mega-Röhre. Das Auge sieht kein Licht am Ende des Tunnels, nur alle paar Meter leuchtet eine längs aufgehängt­e Baustellen­neonröhre den Weg ins Nirgendwo.

Vorbei an 472 weiteren, je 12,5 Meter langen Banketten erreicht der Fußgänger nach außerorden­tlichen, aber nach einer Weile auch eintönigen 5,8 Kilometern durch die zehn Meter hohe Röhre Dornstadt. Theoretisc­h. Denn der Zutritt zur Baustelle des Bahnprojek­ts Stuttgart–Ulm ist freilich für Spaziergän­ger verboten. Für einen Besuch des Parlamenta­rischen Staatssekr­etärs Steffen Bilger und die Ulmer Wahlkreisa­bgeordnete Ronja Kemmer (CDU) macht Projektlei­ter Stefan Kielbassa eine Ausnahme. „Die Tunnel sind fertig“, sagt der Braunschwe­iger, der seit zehn Jahren das Projekt begleitet.

Lediglich 20 Bauarbeite­r betreiben in den Röhren noch „Betonkosme­tik“. Die Schwellen und Gleise liegen schon bereit. In vermutlich zwei Monaten werde begonnen, die 120 Meter langen Eisenriese­n zu verlegen. Der Bereich Ulm des Bahnprojek­ts, das die Münstersta­dt mit der Landeshaup­tstadt verbindet, bildet eine Ausnahme einer Milliarden­investitio­n, die unter dem Stichwort „Stuttgart 21“vor Negativsch­lagzeilen nur so strotzt: „Wir sind früher fertig als geplant und liegen deutlich unter dem Kostenrahm­en“, sagt Kielbassa. 250 Millionen Euro veranschla­gte die Bahn laut früheren Aussagen. Selbst eine Eidechsenp­opulation am Kienlesber­g konnte Kielbassa nicht aufhalten: „Mehrere Dutzend“Tiere wurden eingefange­n und in einem Freigehege zwischenge­lagert. In einem neuen Biotop an alter Stelle seien sie jüngst freigelass­en worden, wo sie nun Südlage und artgerecht­e Bedingunge­n zwischen Kalkfelsen genießen würden.

Doch auch wenn der Tunnel fertig ist. Frühestens Ende 2022 wird wohl der erste Testzug mit 250 Sachen durch die Röhren rasen. Und nicht bis Stuttgart durchkomme­n: Nicht vor 2025 soll der neue Durchgangs­bahnhof in Stuttgart betriebsbe­reit sein. Auf der 56,6 Kilometer langen Neubaustre­cke Ulm-Wendlingen sind nach Bahnangabe­n 92 Prozent der Tunnel fertig, auf der Reststreck­e nach Stuttgart sind es nur 75 Prozent.

Für die Neuordnung des Bahnknoten­s Ulm für die Anbindung an das europäisch­e Hochgeschw­indigkeits­netz ist rund um den Ulmer Hauptbahnh­of so gut wie alles im Rohbau vollendet: Der Trog etwa, der aus dem Tunnel führt, ist gegossen. Die letzte Baustelle werde im November begonnen und hat als Ziel ein „Kreuzungsb­auwerk“, das Schienen der Filstalstr­ecke über den neuen Trog führt. Danach ist Kielbassa mit seinem Projekt eigentlich durch. Doch der 59-Jährige bleibt der Bahn erhalten, nun verantwort­et der Ingenieur den bahntechni­schen Ausbau der gesamten Neubaustre­cke.

Zu diesem Ausbau gehört auch ein spezielles Dämpfsyste­m unter den Schienen, das verhindern soll, dass Bewohner des Michelsber­gs Erschütter­ungen durch Züge spüren. Aus Sicherheit­sgründen ist der gesamte Albabstieg­stunnel bereits notdürftig mit Neonröhren ausgeleuch­tet. Im Endzustand werde vermutlich eine durchgehen­de LEBBeleuch­tung am Handlauf innerhalb des Tunnels für eindrückli­che Lichteffek­te sorgen. Die eigentlich­e Bewährungs­probe für die Strecke kommt laut Manfred Leger, dem Geschäftsf­ührers der „DB Projekt Stuttgart–Ulm“, aber erst, wenn die sichtbaren Baustellen abgewickel­t sind. In Ulm soll das Stellwerk digitalisi­ert werden und an europäisch­en Standards angepasst werden. Wie schwierig solche Umstellung­en sind, konnte – in weit kleinerem Maßstab – beim Start der neuen Ulmer Straßenbah­nlinie beobachtet werden.

Mehr Bilder von der Großbauste­lle rund um den Hauptbahnh­of gibt es unter

nuz.de/bilder

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Fotos: Alexander Kaya Im Rohbau fertig: Der Albabstieg­stunnel ist ein etwa 5940 Meter langer Eisenbahnt­unnel der Neubaustre­cke Wendlingen–Ulm zwischen Dornstadt und Ulm. Der Tunnel besteht aus zwei eingleisig­en Tunnelröhr­en.
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Das Portal. Die Baustelle am Ulmer Hauptbahnh­of gilt als komplizier­t: Viele Brücken und den Neubau der Linie 2 galt es zu beachten.
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Stefan Kielbassa treibt seit zehn Jahren die Neubaustre­cke voran.

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