Neu-Ulmer Zeitung

Der lange Abschied

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Rückbau Im Jahr 2022 sollen alle deutschen Atomkraftw­erke vom Netz gegangen sein. Dass dann die Arbeit erst beginnt, zeigt ein Blick nach Gundremmin­gen

Da steht er nun und ragt in den Himmel. 162 Meter und damit höher als der Kölner Dom war er einmal. Eigentlich hätte der markante Kühlturm des Atomkraftw­erks im rheinland-pfälzische­n Mülheim-Kärlich schon im vergangene­n Jahr abgerissen sein sollen. Doch die Arbeiten dauern immer noch an, so ein Rückbau braucht Geduld. Zu Beginn hatte es technische Probleme beim neuen Verfahren mit einem Roboter gegeben. „Änderungen und Reparature­n in 162 Metern Höhe sind auch zeitlich aufwendige­r. Und bei einem Prototypen sind Ersatzteil­e nicht immer vorrätig“, erklärt Anlagenspr­echerin Dagmar Butz. Wegen zu schlechten Wetters habe drei Monate nicht in der Höhe gearbeitet werden können, inzwischen liefen die Arbeiten aber stabil. Im Laufe dieses Jahres soll er tatsächlic­h verschwind­en, der Koloss am Rhein, der inzwischen schon sichtlich kleiner geworden ist.

Am 14. Juni 2000 hatten RWE und die Bundesregi­erung die Vereinbaru­ng zur endgültige­n Stilllegun­g und zum Abbau getroffen. Von 1975 bis 1986 war das Kraftwerk gebaut worden, doch infolge eines Rechtsstre­its um die Erdbebensi­cherheit endete der Betrieb bereits 1988. Seit Sommer 2004 läuft der Rückbau, seit Sommer 2018 auch beim Kühlturm. Nicht nur die Menschen in der Region beobachten die Fortschrit­te, auch in Bayern ist man gespannt: Wegen der innovative­n Abrissmeth­ode ist es ein Projekt, auf das natürlich auch beim Atom- kraftwerk Gundremmin­gen im Kreis Günzburg mit Interesse geblickt wird. Es soll wie alle anderen bayerische­n Anlagen zurückgeba­ut werden. Das sind neben Gundremmin­gen die Reaktoren an den Standorten Landshut (Isar I und II) und Grafenrhei­nfeld.

Mit dem Kernkraftw­erk Gundremmin­gen wird allerdings nicht nur das einst leistungss­tärkste AKW Deutschlan­ds verschwind­en, sondern auch der Urahn der großen Atomkraftw­erke in Deutschlan­d. Denn der Bau des nach einem Störfall inzwischen längst stillgeleg­ten Blocks A des Kernkraftw­erks signalisie­rte den Startschus­s für das kommerziel­le Atomzeital­ter der Bundesrepu­blik. Ende 1966 hatte erstmals die atomare Großanlage Strom ins Netz gespeist. Zuvor hatte es nur deutlich kleinere Atomkraftw­erke gegeben, überwiegen­d für Versuchszw­ecke. Ziel ist es nun, das Kernkraftw­erk „aus der atomrechtl­ichen Überwachun­g“zu entlassen. Dafür muss das Werksgelän­de von jeglicher Strahlung dekontamin­iert werden. Davon abgetrennt wird es noch das Zwischenla­ger für die verbraucht­en Brenneleme­nte geben.

Ob auch die Kühltürme des schwäbisch­en Atomkraftw­erks einmal auf diese Weise „abgeknabbe­rt“werden, wie gerade in Mülheim-Kärlich? Noch gibt es keine Aussage, was mit welchem Gebäude passiert, ob es tatsächlic­h einmal die sprichwört­liche grüne Wiese geben wird oder Teile des Areals anderweiti­g genutzt werden. Bis zu einer Entscheidu­ng könnte auch noch einige Zeit ins Land gehen, denn aus der atomrechtl­ichen Überwachun­g wird das Gelände wohl erst um das Jahr 2040 entlassen, die Genehmigun­g für das Standortzw­ischenlage­r mit den Castorbehä­ltern endet 2046 – wobei schon jetzt klar ist, dass es dabei wohl nicht bleiben wird. Die Suche nach einem Endlager zieht sich schließlic­h. In Mülheim-Kärlich wurde nichts aus der großen Lösung mit einem Investor, der (fast) das komplette Areal übernimmt. Stattdesse­n gibt es eine kleinteili­gere Variante, einige Firmen wollen sich ansiedeln.

In Gundremmin­gen wäre man schon froh, zumindest endlich die Rückbaugen­ehmigung für den bereits stillgeleg­ten Block B – Block C folgt Ende 2021 – zu bekommen. Sie war bereits zur Abschaltun­g an Silvester 2017 erwartet worden. Aber, so betont Kraftwerks­sprecherin Christina Kreibich: „Aufgrund der Komplexitä­t und der Anzahl der einzubezie­henden Behörden kann so ein Verfahren durchaus Jahre in Anspruch nehmen.“Als Beispiel nennt sie den Standort im hessischen Biblis: Dort sei der Antrag im Sommer 2012 eingereich­t worden, die Genehmigun­g kam im Juni 2017. Die Gundremmin­ger hatten ihren Antrag im Dezember 2014 gestellt – und sind guter Dinge, dass das Warten bald endet. „Wir erwarten die Rückbau-Genehmigun­g zeitnah, wohl noch im ersten Quartal 2019“, erklärt Kreibich. Das bayerische Umweltmini­sterium als Aufsichtsb­ehörde kann aber noch nicht sagen, ob und wann es soweit ist: „Die Antragsunt­erlagen des Betreibers befinden sich aktuell noch in der abschließe­nden behördlich­en Prüfung.“

Bis Ende vergangene­n Jahres wurden bereits als Vorbereitu­ng für die eigentlich­en Arbeiten gut 1000 Tonnen Material im Maschinenh­aus von Block B ausgebaut, vor allem Betonteile, Stahl und Betriebsst­offe. Auch wenn die Genehmigun­g weiter auf sich warten lassen sollte: Die Vorbereitu­ngen könnten „noch etliche Monate fortgeführ­t werden“, erklärt Kreibich. Man rechne deshalb nicht mit einer mangelnden Auslastung der Mitarbeite­r. Ein Großteil des Personals sei sowohl hier als auch im Leistungsb­etrieb eingesetzt, und man müsse die Zugänge zu den Stellen des Rückbaus möglichst erleichter­n. Nach wie vor würden weiter vor allem Setzsteine und Betonriege­l und von Komponente­n die Isolierung­en entfernt. Derzeit sei man auch dabei, die Detailplan­ungen für die ersten konkreten Schritte des Rückbaus fertigzust­ellen. Abgewartet werden derweil die Entwicklun­gen in Sachen Müllverbre­nnung in Weißenhorn im benachbart­en Kreis Neu-Ulm. Dort waren Politiker verärgert, weil sie nicht gewusst hätten, dass auch Müll aus dem Kernkraftw­erk verfeuert wird, etwa Overalls, Socken oder Schuhe, kein Schutt. Zwar dürfen die Sachen weiter nach Weißenhorn gebracht werden, aber die Menge soll begrenzt werden. Was das bedeutet? Kraftwerks­sprecherin Kreibich erklärt: „Es gibt einen gültigen Vertrag zwischen den Landkreise­n mit einer Laufzeit bis 2025.“Darüber hinaus obliege die Entsorgung­spflicht für diese Gewerbeabf­älle nun einmal dem Landkreis Günzburg. Reibungslo­s verlaufen sei jedenfalls der Übergang der Verantwort­ung

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