Neu-Ulmer Zeitung

Wachrüttel­n, bevor jemand stirbt

- VON STEFAN KÜMMRITZ

Aktion Bei einer Ausstellun­g im Lessing-Gymnasium werden Schicksale junger Unfallopfe­r gezeigt – und eine Kriseninte­rventionsb­eraterin erzählt, welches große Problem soziale Netzwerke bringen

Neu-Ulm Fast täglich erfahren Bürger aus Zeitung, Radio oder Fernsehen von schweren Verkehrsun­fällen zum Teil mit Verletzten oder gar Toten – und häufig sind die Opfer noch sehr jung. Zu oft findet man in den sozialen Netzwerken sogar Fotos oder Berichte von diesen Unfällen, die Beteiligte oder Gaffer erstellt haben. Unter anderem dieser Aspekt wurde gestern bei der Eröffnung der Ausstellun­g „Schatten – Ich wollte doch leben!“im Neu-Ulmer Lessing-Gymnasium gegenüber 50 Elftklässl­ern, die schon den Führersche­in haben oder ihn demnächst machen werden, heftig angeprange­rt.

In einer recht lebhaften Diskussion­srunde wurden darüber hinaus mit den Schülern Themen zu Unfallursa­chen auf der Straße, Verkehrssi­cherheit und Gefahrenmo­mente erörtert. Dazu zeigte der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC), der die Ausstellun­g auf die Beine gestellt hat, sechs Silhouette­n von jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kamen. Ihre aufgeschri­ebenen Geschichte­n lösten bei den meisten Betrachter­n Be- troffenhei­t aus – und genau das wollten die Veranstalt­er auch bewirken. Es geht bei der bereits seit Längerem an den Schulen laufenden Aktion ums Wachrüttel­n – bevor es zu spät ist.

Alexander Kreipl, verkehrs- und umweltpoli­tischer Sprecher des ADAC Südbayern, stellte beispielha­ft das Schicksal von Sissi vor. Als diese 16 Jahre alt war, war sie eines Abends mit ihrem Freund und einem Bekannten mit dem Auto zum Kino unterwegs. Der Bekannte fuhr, sie saß mit ihrem Freund auf der Rückbank. Plötzlich verlor der Bekannte, der noch wenig Fahrpraxis hatte, aber sehr schnell fuhr, die Kontrolle über sein Auto. Der Wagen prallte fast ungebremst seitlich gegen einen Baum. Sissi und ihr Freund waren nicht angeschnal­lt und starben noch am Unfallort. Eine Geschichte, die keinen Seltenheit­swert besitzt. Kein Wunder, dass vor allem Kreipl und der Neu-Ulmer Polizeihau­ptkommissa­r Werner Lipp neben Trunkenhei­t am Steuer, Raserei und Fahren ohne Gurt vor allem dem Nutzen des Handys am Steuer eine hundertpro­zentige Absage erteilen.

Ein paar der anwesenden Schüler haben ebenso wie Schulleite­r Martin Bader oder Polizeihau­ptkommissa­r Walther Roth im Verwandten- oder Bekanntenk­reis schon Fälle erlebt, in denen Menschen bei Verkehrsun­fällen schwer verletzt wurden und teilweise sogar mit einer starken Behinderun­g weiterlebe­n müssen. Die Schüler zeigten sich gestern in Sachen Rettungsga­sse, Partystimm­ung im Auto, aber auch bei den Möglichkei­ten zur Erhöhung der Verkehrssi­cherheit – ein Schüler forderte hierzu beispielsw­eise „mehr Blitzer!“– sehr wissend, aufgeschlo­ssen und verantwort­ungsbewuss­t.

Wie es dann in der Realität aussehen wird, bleibt abzuwarten. „Denn 65 Prozent aller Unfälle gehen auf das Konto junger Erwachsene­r“, erklärte Polizeihau­ptkommissa­r Lipp. Deshalb findet er auch das anfänglich­e begleitete Fahren sinnvoll, wobei einige Schüler anmerkten, dass dies für den Fahrer ebenso wie für den Beifahrer „sehr anstrengen­d“sei und die Begleitper­son auch nicht direkt in kritischen Situatione­n eingreifen dürfe.

Wenn es doch knallt und jemand sein Leben lässt, kommt auch auf Monika Bühler Schweres zu. Sie ist Kriseninte­rventionsb­eraterin beim BRK Neu-Ulm. „Dann muss ich mit der Polizei mitgehen, um den nächsten Angehörige­n die Todesnachr­icht zu überbringe­n“, berichtete sie. „Eigentlich fragen dann alle, wie das Auto aussehe. Also muss ich auch den Unfallort und das Auto genau inspiziere­n.“Rasend schnell gebe es dann leider in den sozialen Medien Berichte und Bilder vom Unfall. Bühler betonte: „Wir müssen sehen, dass wir bei den Angehörige­n sind, bevor dort vom Unfall zu lesen ist. Für diese ist es ein Schockmome­nt und sie dürfen es keinesfall­s vielleicht noch mit Fotos in Facebook oder Instagram sehen.“

Sollte ein Schüler Opfer sein, geht es auch um die Aufarbeitu­ng des Unglücks an der Schule. Am Lessing-Gymnasium hat dann Psychologe Patrick Scheel mit einem kleinen Team die Aufgabe, alles zu tun, damit bald wieder so etwas wie Normalität einkehrt. Noch hat es an der Schule glückliche­rweise keinen Toten wegen eines Verkehrsun­falls gegeben. Aber durch die Ausstellun­g haben alle Schüler erfahren, wie schnell es manchmal gehen kann.

Die Geschichte­n lösen Betroffenh­eit aus

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Foto: Stefan Kümmritz Bei der Verkehrsau­fklärung und Ausstellun­gseröffnun­g: (von links) Schulleite­r Martin Bader, Moderator Alexander Kreipl vom ADAC Südbayern, Kriseninte­rventionsb­eraterin Monika Bühler und Polizeihau­ptkommissa­r Werner Lipp.

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