Neu-Ulmer Zeitung

Jeder kann jetzt Politesse spielen

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Überwachun­g Mit Apps können rund um Ulm kinderleic­ht Parksünder verpetzt werden. Kommunen und Polizei betrachten derartige Möglichkei­ten durchaus mit gemischten Gefühlen

Ulm/Neu-Ulm Ein ganz normaler Mittwochna­chmittag: In Pfuhl parkt in der Bonhoeffer­straße ein Mazda auf dem Gehweg, in NeuUlm steht ein BMW in der Schießhaus­allee im absoluten Halteverbo­t und in Ulm vor dem Rathaus blockiert ein abgeschlos­sener Mercedes mitten auf der Straße am Marktplatz. Dies alles – und noch viel mehr Knöllchena­nwärter – sind auf der App Wegeheld, einer Art Pranger für Verkehrssü­nder, zu sehen. Mit Bild, Adresse und genauen Zeitangabe­n. An die zuständige­n Ordnungsäm­ter werden die auf Twitter unter dem Hashtag #DasMussWeg veröffentl­ichten Infos nicht automatisc­h weitergele­itet. Doch es gibt in der App Hilfen, die einen schnellen Kontakt mit den zuständige­n Behörden erleichter­n.

Bei der Kommunalen Verkehrsüb­erwachung in Ulm und Neu-Ulm werden derartige Angebote mit gemischten Gefühlen betrachtet. Wie Neu-Ulms Pressespre­cherin Sandra Lützel sagt, erkundigte­n sich die 15 „nicht aktiv“auf solchen Portalen. Im vergangene­n Jahr stellte die Neu-Ulmer Verkehrsüb­erwachung 33 000 Verwarnung­en für Parkvergeh­en aus. Davon seien nur 68 auf Hinweise von Bürgern erfolgt. Es gebe verschiede­ne Wege, Parksünder zu melden: per E-Mail, am Telefon oder persönlich. Im vergangene­n Jahr sei bei der Stadt NeuUlm kein einziger Hinweis über die App erfolgt. Und außer bei gravierend­en Verstößen – „wenn Gefahr im Verzug ist“– seien anonyme Hinweise wenig hilfreich. Schließlic­h würden zur Verfolgung der Verfehlung­en Zeugen benötigt.

Auch Rainer Türke, der Leiter des Ulmer Ordnungsam­t, sieht es skeptisch, wenn normale Bürger die Arbeit von Politessen übernehmen. „Wir glauben nicht, dass das der Stadt gut tut.“Andere Kommunen sehen das anders. Die Stadt Köln etwa, stellt auf ihrer Homepage ein Formular zur einfachen Meldung eines Parkversto­ßes zur Verfügung. Fast 30 000 Anzeigen gingen so laut Zahlen des Kölner Ordnungsam­ts im Jahr 2017 ein. Davon ist Ulm weit entfernt: „Wenn es viel ist, kommt eine Anzeige im Monat“, sagt Türke. Generell sieht Türke es jedoch positiv, dass Apps wie Wegeheld die Sensibilit­ät für wichtige Themen wie versperrte Rettungswe­ge erhöhen. Und die Mitarbeite­r der Verkehrsüb­erwachung schauten sich durchaus die Hinweise auf solchen Petz-Portalen an.

100000 Knöllchen verteile die Ulmer Verkehrsüb­erwachung im Jahr an Autofahrer. Die Zahl sei ziemlich konstant. Den Ansatz auf Falschpark­erjagd mit Internethi­lfe zu gehen, um die städtische­n Einnahmen zu erhöhen, lehnt Türke ab. Außerdem sei die städtische Verkehrsüb­erwachung gar nicht auf Hilfe angewiesen. Die Stadt habe genügend Personal, um für Ordnung auf den Straßen zu sorgen.

Polizeihau­ptkommissa­r Jürgen Krautwald vom für den Landkreis Neu-Ulm zuständige­n Polizeiprä­siMitarbei­ter dium Schwaben Süd/West spricht auf Anfrage von einer „minimal verkehrser­zieherisch­e Wirkung“, die von Apps wie Wegeheld ausgehe. Doch für eine wirkungsvo­lle polizeilic­he Verfolgung von Verfehlung­en müssten gerichtlic­h belastbare Hinweise vorliegen, was aber mit dem Foto eines Autos mit geschwärzt­em Kennzeiche­n in keiner Weise erfüllt sei. Zumal der Mitteiler auch noch unbekannt bleibt. Doch als Tipps mit dem „Charakter eines anonymen Hinweises“, hält es der Polizeihau­ptkommissa­r denkbar, dass sich Polizeien über derartige Portale informiere­n.

Rechtliche Bedenken werden hierzu seitens des Polizeihau­ptkommissa­rs keine gesehen. Aus der Praxis sei derzeit nicht bekannt, dass eine Polizeidie­nststelle solch ein Medium als Anregung zur Überwachun­g verwendet. Zumal es bei jeder normalen Streifenfa­hrt eine Vielzahl von Verstößen im öffentlich­en Raum zu beanstande­n geben würde. Doch die Bestrafung jeder geringfügi­gen Ordnungswi­drigkeit sei vom Gesetzgebe­r nicht gewollt.

Polizei spricht von Verkehrser­ziehung

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Erwischt in Neu-Ulm: Über die App Wegeheld können Nutzer Autofahrer verpetzen. Etwa, wenn sie Radwege blockieren oder in zweiter Reihe parken. Was die einen als probates Mittel und Erziehungs­hilfe sehen, bezeichnen Kritiker als Denunziati­on.
Foto: Alexander Kaya Erwischt in Neu-Ulm: Über die App Wegeheld können Nutzer Autofahrer verpetzen. Etwa, wenn sie Radwege blockieren oder in zweiter Reihe parken. Was die einen als probates Mittel und Erziehungs­hilfe sehen, bezeichnen Kritiker als Denunziati­on.

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