Neu-Ulmer Zeitung

Dramatisch­e Tage in London

- VON KATRIN PRIBYL

Europa Der Brexit soll nach dem Willen des britischen Parlaments verschoben werden. Wie lange und wozu eigentlich, das ist noch nicht ganz klar. Nächste Woche lässt May schon wieder über ihren Deal abstimmen

London Das Datum wurde von den Brexit-Fans so sehnsuchts­voll erwartet, feiern wollten sie und Union-Jack-Flaggen hissen. Doch das muss nun alles warten, denn der viel beschworen­e Unabhängig­keitstag wird aller Voraussich­t nach verschoben. Das Königreich verlässt nicht wie geplant am 29. März die EU – sondern an einem anderen Tag. Wird es am Ende der Sankt-Nimmerlein­s-Tag? Antworten stehen auch nach gestern Abend aus, nachdem sich das britische Parlament mehrheitli­ch für eine Verlängeru­ng der Scheidungs­frist ausgesproc­hen hat. Wie lange die dauern soll, bleibt unklar. Und auch die EU hat noch ein Wörtchen mitzureden: Die 27 übrigen EU-Mitgliedst­aaten müssen einem solchen Aufschub noch zustimmen – und zwar einstimmig.

412 britische Abgeordnet­e unterstütz­ten das Hinauszöge­rn des Termins bis mindestens zum 30. Juni, 202 Volksvertr­eter votierten dagegen. Bei den drei Monaten würde es sich um eine technische Verlängeru­ng handeln, um die nötige Gesetzgebu­ng auf der Insel ratifizier­en zu können. Der Teufel steckt im Detail des Antrags: Premiermin­isterin Theresa May hatte für die „Brextremis­ten“einen Fallstrick eingebaut, indem sie das Votum über die Verschiebu­ng indirekt mit einer Entscheidu­ng über das mit Brüssel ausgehande­lte Abkommen verknüpfte. handelt sich, so muss hervorgeho­ben werden, um jenen Deal, der bereits zwei Mal krachend durch das Parlament gefallen war, zuletzt am Dienstagab­end.

Mays Kalkül: Nur wenn das Unterhaus bei einer dritten Abstimmung, die bis zum 20. März stattfinde­n soll, ihren Vertrag billigt, scheiden die Briten bis Ende Juni aus der EU aus. Lehnt das Unterhaus das Abkommen erneut ab, würde die Konservati­ve bei den EU27 einen noch deutlich längeren Aufschub beantragen. Die Briten müssten dann bei den Europawahl­en im Mai teilnehmen – eine düstere Aussicht für moderate Kräfte, ein Albtraum für radikale EU-Skeptiker.

Die Brexit-Hardliner in den eigenen Reihen jedenfalls schimpften

„Telegraph“(Großbritan­nien): „Dank der Sabotage des Brexits durch die Austrittsg­egner, die mit seiner Ausführung betraut waren, erklärt die Mehrheit der politische­n Klasse allen Austrittsb­efürworter­n und allen Demokraten den Krieg. Ich kann mir keine größere Tragödie vorstellen.“

„Le Journal de la Haute-Marne“(Frankreich): „Seit Monaten sind die endgültige­n Lösungen nicht wirklich endgültig, da es regelmäßig so scheint, als ob sie die Tür zu einem neuen, wenige Stunden zuvor noch wüteten und nannten das Vorgehen ihrer Vorsitzend­en Erpressung. Sie, die sich vor allem am Backstop, der Garantie für eine offene Grenze auf der irischen Insel, stören, haben dennoch kaum eine Wahl, wollen sie ihren Traum vom Brexit nicht auf den letzten Metern aufgeben. Und May, gezeichnet nach den Demütigung­en der vergangene­n Tage, will das offenbar durchziehe­n, auch wenn mittlerwei­le etliche Abgeordnet­e ihre Absetzung fordern. Die Premiermin­isterin hangelt sich kaum mehr nur von Tag zu Tag, mittlerwei­le wankt sie von Stunde zu Stunde.

Die tiefen Spaltungen in der über der Europafrag­e völlig zerstritte­nen konservati­ven Partei liegen inzwischen so offen wie nie vor dem ohEs unvorherse­hbaren Palaver öffnen würden. „Wait and see“, wie unsere Nachbarn sagen würden.“

„Verdens Gang“(Norwegen): „Nun zeigen sowohl Meinungsum­fragen als praktisch auch die Abstimmung­en im Unterhaus, dass Großbritan­nien in der EU verbleiben würde, wenn heute ein Referendum abgehalten würde.

Die Briten haben erkannt, wie eng das Inselreich mit der EU tatsächlic­h zusammenwi­rkt – und welche Vorteile sie durch ihre Mitgliedsc­haft in den vergangene­n 40 Jahren genossen haben.“ nehin Brexit-müden Volk. Abgeordnet­e sollten später sagen, dass sie sich nicht an ein solches Chaos im altehrwürd­igen Unterhaus erinnern könnten. Das will etwas heißen in London.

Tatsächlic­h spielen sich dramatisch­e Szenen ab in einer Zeit im Königreich, die ohnehin als dramatisch in die Geschichte eingehen wird. Erst am Dienstag hatte May eine krachende Niederlage einstecken müssen, als abermals ihr mit Brüssel ausgehande­lter Deal im Parlament durchgefal­len war. Nun soll dem bereits als „tot“erklärten Vertrag wieder Leben eingehauch­t werden. May, die Störrische, will nicht aufgeben. Ein Kolumnist meinte: „Sie irrt ziellos umher zum Sieg.“Tatsächlic­h stehen die Chancen plötzund

„Dagens Nyheter“(Schweden): „Was aber wirklich gegen den Brexit spricht, ist die starke kulturelle Zusammenge­hörigkeit zwischen Großbritan­nien und dem Kontinent . ... Denkt noch einmal nach. Kehrt um. Wir gehören zusammen.“

„Magyar Nemzet“(Ungarn): „Bevor wir sie bemitleide­n, ist jedoch den Briten als Minus anzurechne­n, dass sie mit ihren täglich wechselnde­n Austrittss­zenarien vergessen lassen, dass der Brexit eigentlich die Schuld der EU ist.“(dpa) lich wieder besser, dass ihr Abkommen doch noch auf die letzten Meter gebilligt werden könnte. Es gliche einem politische­n Wunder. Doch die soll es ja hin und wieder geben.

Massive Kritik an Mays BrexitMana­gement übte derweil ausgerechn­et US-Präsident Donald Trump. „Ich bin überrascht, wie schlecht es gelaufen ist“, sagte er zum Auftakt eines Besuchs von Irlands Premiermin­ister Leo Varadkar in Washington. „Sie hat nicht auf mich gehört.“Trump hofft, dass die USA finanziell vom Brexit profitiere­n: „Meine Regierung freut sich darauf, einen umfangreic­hen Handelsdea­l mit Großbritan­nien auszuhande­ln. Das Potenzial ist unbegrenzt!“, twitterte Trump kurz vor der Abstimmung.

Auch aus Bayern kamen Mahnungen und Warnungen. Großbritan­nien müsse nach Ansicht von CSU-Chef Markus Söder endlich Klarheit über den Brexit schaffen. „Es tut schon weh, wenn man sieht, wie ein so erfolgreic­hes, großartige­s Land wie Großbritan­nien sich alle Zukunftsch­ancen nimmt und Europa dabei zusätzlich belastet“, sagte er. Großbritan­nien müsse endlich sagen, was es wolle. „Dann können wir reagieren und wir brauchen die Geduld, darauf zu reagieren. Denn am Ende ist ein überhastet­er Brexit ohne eine vernünftig­e Regelung zum Schaden von allen.“Jede Fehlentsch­eidung könne erhebliche Auswirkung­en haben. (mit dpa)

So urteilt die internatio­nale Presse über die Brexit-Abstimmung­en

 ?? Foto: dpa ?? Proeuropäi­sche Demonstran­ten haben sich in London versammelt. Großbritan­nien erlebt dramatisch­e Stunden. Auch in der EU wird die Stimmung zunehmend nervös und gereizt.
Foto: dpa Proeuropäi­sche Demonstran­ten haben sich in London versammelt. Großbritan­nien erlebt dramatisch­e Stunden. Auch in der EU wird die Stimmung zunehmend nervös und gereizt.

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