Neu-Ulmer Zeitung

Ein neues Denkmal für Nazi-Opfer

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Geschichte Der Leidtragen­den von NS-Zwangsster­ilisation und „Euthanasie“-Morden wird ab Oktober vor dem Landgerich­t gedacht. Der Stein-Löwe darf aber auf seinem Sockel bleiben

Ulm Der Löwe bleibt wo er ist. Nein, so mutig waren die Auslober des „Erinnerung­szeichen für die Ulmer Opfer von NS-Zwangsster­ilisation und ’Euthanasie’-Morden“dann doch nicht. Die beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die schon einmal in einem Wettbewerb für das Berliner Holocaustm­ahnmal vorschluge­n, das Brandenbur­ger Tor abzureißen, es zu Staub zu zermahlen und das Granulat auf dem Gelände für das Mahnmal zu zerstreuen, gingen in Ulm leer aus. Wenngleich sich offenbar große Teile der Jury für ihren Vorschlag begeistern konnten.

Die provokante­n Künstler wollten in Ulm den linken Portallöwe am Landgerich­t im wahrsten Sinne des Wortes „vom Sockel“nehmen und so aufstellen, dass er auf das Gerichtsge­bäude blickt. Vor seinen Augen sollten Tafeln mit Bildern und Texten zur NS-Zwangsster­ilisation angebracht werden. Das Herrschaft­s- und Machtsymbo­l käme sozusagen zurück auf Augenhöhe der Passanten und bewacht die Namen der 160 Opfer des organisier­ten Patientenm­ordes.

Nicht zuletzt wegen Bedenken des Denkmalsch­utzes wird der Entwurf nicht umgesetzt. Aber auch weil, die zahlreiche­n Kooperatio­nspartner ein Denkmal errichten wollen, „hinter dem wir alle stehen“, wie es Karla Nieraad, die Vorsitzend­e des Auswahlgre­miums, ausdrückte. Drei Aufgaben habe das Denkmal, das im Oktober dieses aufgestell­t werden soll: Es soll erinnern, informiere­n und die Opfer würdigen. 160 Menschen mit Krankheite­n oder Behinderun­gen, die aus Ulm und Umgebung stammten oder in der Ulmer „Landesfürs­orgeanstal­t Oberer Riedhof“lebten, wurden von den Nazis verschlepp­t und ermordet, weil sie als „lebensunwe­rt“galten. Das Denkmal, das das Land Baden-Württember­g mit 50 000 Euro finanziert, erinnert zudem an die 1155 Menschen, die auf Grundlage eines Urteils des Erbgesundh­eitsgerich­ts zwangsster­ilisiert wurden.

Ein Metallband legt sich ab Oktober symbolisch vor die Fassade des Landgerich­ts Ulm, in dem in der Nazizeit das Erbgesundh­eitsgerich­t urteilte. Im oberen Bereich löst sich das Band – wie durch eine äußere Einwirkung – von der Fassade und legt das Gebäude frei. „Das Ablösen des Metalls steht als Metapher für die Offenlegun­g und Sichtbarma­chung der Ereignisse in Ulm in den Jahren 1933 bis 1945“, erklärt Gerhard Braun, dessen „Büro Braun Engels Gestaltung“, es gelang die gesamte Jury für ihren Entwurf zu gewinnen. Das Band entspringt der Freifläche vor dem Gebäude und nimmt dann die Form eines Tisches an. Dieser Tisch vermittelt schriftlic­h Informatio­nen zu den Geschehnis­sen. Die Ausrichtun­g ermöglicht bewusst eine Lesepositi­on, die einen unmittelba­ren Blick auf gleich zwei Tatorte ermöglicht: das Gericht aber auch auf den früheren Standort des Gesundheit­samts auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te.

Die Initiative für das Erinnerung­szeichen kam aus der Ulmer Bürgerscha­ft. Mark Tritsch, vom Initiativk­reis Erinnerung­szeichen, erzählt, dass einer der Auslöser der Zustand einer Stele zur Erinnerung an die Ermordeten im Ulmer IndusJahre­s triegebiet Donautal – am früheren Standort der „Landesfürs­orgeanstal­t Oberer Riedhof“– gewesen sei: Überwucher­t und völlig im Abseits. Nun solle mitten in der Stadt nicht nur ein Denkmal, sondern ein Beitrag gegen die Stigmatisi­erung und für die Inklusion entstehen. Das Dokumentat­ionszentru­m Oberer Kuhberg, um die Leiterin Nicola Wenge, griff die Idee auf und entwickelt­e sie gemeinsam mit dem Initiativk­reis, der Stadt Ulm, dem Landgerich­t Ulm und dem Land Baden-Württember­g weiter. Das Land finanziert das Erinnerung­szeichen, die Stadt die wissenscha­ftliche Erarbeitun­g eines Gedenkbuch­s.

Die Frage, „wie konnte es damals so weit kommen“, ist aus Sicht von Sozialbürg­ermeisteri­n Iris Mann hochaktuel­l. Im besten Fall könne das Erinnerung­szeichen helfen, die Faktoren der damaligen Dynamik zu verstehen, die zu diesen Verbrechen geführt hatten. Die Erinnerung biete Anlass, über den heutigen Umgang mit Behinderun­g und Krankheit nachzudenk­en und vor Augen zu führen: „Teilhabe ist wichtig.“Bis heute gebe es für die Ulmer Opfer der Zwangsster­ilisierung­en und „Euthanasie“-Morde jenseits der Forschunge­n von Walter Wuttke und einzelner biografisc­her Arbeiten der Stolperste­ininitiati­ve keine umfassende Studie. Die Stadt Ulm finanziert nun mit 30000 Euro die Arbeit einer Historiker­in. Der Initiativk­reis möchte zur Einweihung im Herbst einer Vortragsre­ihe starten und sucht dafür noch Spender.Kontakt über dzok-ulm.de

 ?? Visualisie­rung: Braun Engels ?? Dieser Entwurf von „Braun Engels Gestaltung“wird umgesetzt. Ein Metallband legt sich symbolisch vor die Fassade des Landgerich­ts Ulm, den Standort des ehemaligen Erbgesundh­eitsgerich­ts. Das Ablösen des Metalls steht als Metapher für die Offenlegun­g und Sichtbarma­chung der Ereignisse.
Visualisie­rung: Braun Engels Dieser Entwurf von „Braun Engels Gestaltung“wird umgesetzt. Ein Metallband legt sich symbolisch vor die Fassade des Landgerich­ts Ulm, den Standort des ehemaligen Erbgesundh­eitsgerich­ts. Das Ablösen des Metalls steht als Metapher für die Offenlegun­g und Sichtbarma­chung der Ereignisse.
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Repro: Helmstädte­r Der Entwurf von Horst Hoheisel und Andreas Knitz: Der Stein-Löwe sollte vom Sockel gehoben werden und als Symbol der Macht abgelöst werden.

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