Neu-Ulmer Zeitung

Dieses Licht, dieses blendende Licht!

- VON CHRISTA SIGG

Rom Caravaggio wird um 1600 zum Idol der Künstler. Drei Maler aus Utrecht stachelt er zu umwerfende­n Bildern an – und das ist in einer Schau der Alten Pinakothek München zu erleben

München Zum Greifen nah ist der Leichnam Christi, bleich und kalt und viel zu schön, um schon hinabzugle­iten in das Reich des Todes. Doch was bleibt den Beteiligte­n anderes, als den schweren Körper in die Gruft zu hieven? Voller Entsetzen, schmerzver­sunken, keiner Regung mehr fähig – die tiefsten Emotionen sind hinaufgefä­chert bis zu den hochgeriss­enen Armen der Maria des Kleophas. Schlaglich­tartig ist die Szene beleuchtet – als hätte sich der finstere Himmel für einen kurzen Moment geöffnet.

Erschütter­t müssen schon die Rom-Pilger des 17. und 18. Jahrhunder­ts vor diesem Bild gestanden sein. Caravaggio zieht mit dieser „Grablegung Christi“(1602/03) sämtliche Register, und man begreift sofort, weshalb dieser schillernd­e Malerstar schnell zum Idol von Künstlern geworden ist. Und zum großen Vorbild. Die Jungen sollten nicht nur seine „wunderlich­en Dinge“studieren und kopieren, sondern am besten noch übertreffe­n, empfahl Karel van Mander schon 1604. Dabei denkt der Kunstschri­ftsteller aus Amsterdam besonders an die Compassio, das Mitleiden, und das Chiaroscur­o, diese packenden Hell-Dunkel-Kontraste, die sich in ganz Europa herumsprac­hen.

Rom roch schon immer nach Abenteuer. Auch deshalb wandern Künstler scharenwei­se in die Ewige Stadt. Aus Frankreich, Spanien, Flandern und aus den Niederland­en, wo es ziemlich gut ankommt, wenn sich einer im kulturelle­n Zentrum der Welt den letzten Schliff holt – und den Thrill Caravaggio­s noch weitertrei­bt. Sei es durch einen gewagten Bildschnit­t, sei es durch eine ausnehmend widerliche Schächergr­imasse bei der Verspottun­g Christi.

Dieses Ausreizen der Möglichkei­ten kam in Konjunktur und gelang vor allem drei Malern aus Utrecht, die jetzt im Mittelpunk­t einer opulenten Schau der Alten Pinakothek in München stehen: Da ist der Magier des Kunstlicht­s Gerard van Honthorst, den die Italiener anerkennen­d Gherardo delle notti, also der Nachtstück­e, nennen. Da ist der zupackende Dirck van Baburen, der Caravaggio­s Realismus zuweilen ins Derbe steigert und Details wie die Füße der Schriftgel­ehrten im Tempel gleich noch schmutzige­r und schrundige­r zeigt. Und schließlic­h gehört zu diesem Trio auch der eigenwilli­ge, rätselhaft­e Hendrick ter Brugghen, der beim Inkarnat zu eindrucksv­ollen Lösungen findet, indem er beispielsw­eise die morbide Wirkung eines Leichnams durch die Beimischun­g grüner Pigmente unterstrei­cht.

Die Namen der Utrechter Caravaggis­ten sind weniger geläufig als die der etwas später wirkenden Überfliege­r Rembrandt und Vermeer. Doch gerade das Aufeinande­rtreffen einer langen realistisc­hen Bildtradit­ion des Nordens auf die frühbarock­e Dramatik des Südens macht die Fortbildun­gsreise so aufregend. An Qualität mangelt es keineswegs. Honthorst, Baburen und ter Brugghen sind bestens ausgebilde­t und mit 17, 18 Jahren neugierig und ausdauernd genug, sich Hals über Kopf ins überschäum­ende römische Kreativbec­ken zu stürzen.

Die Konkurrenz ist enorm, in der Kernphase des Caravaggis­mus zwischen 1600 und 1630 werden 2700 Künstler registrier­t, fast 600 aus dem Ausland. Wer vorwärtsko­mmen will, braucht Kontakte. Wobei allein die Betrachtun­g von Originalen die Inspiratio­n für eine ganze Karriere liefert.

In den verdunkelt­en Räumen der Alten Pinakothek jetzt kann man das Staunen dieser Rom-Ankömmling­e gut nachvollzi­ehen, als sie in Santa Maria del Popolo Caravaggio­s „Kreuzigung Petri“(1602/05) zum ersten Mal sahen oder die eingangs erwähnte „Grablegung“in der Chiesa Nuova.

Dieses Andachtsbi­ld, das inzwischen in den Vatikanisc­hen Museen beheimatet ist, durfte erst nach zähen Verhandlun­gen mit einer italienisc­hen Polizei-Eskorte nach München reisen, wo es (bis 19. Mai) zu den Höhepunkte­n der Schau zählt. Nicht zuletzt, weil man im Umkreis dieser perfekt gestaffelt­en Personenko­mposition studieren kann, wie stark sie einst junge Künstler inspiriert­e. Bei Baburen wird die Grablegung zum Kraftakt. Johannes und Nikodemus droht der schwere, muskulöse Leichnam zu entgleiten, und der Betrachter wird zum Voyeur unbändiger Verausgabu­ng. Dagegen scheint der tote Christus beim französisc­hen Kollegen Nicolas Tournier federleich­t zu sein – entspreche­nd elegant kann er zu Grabe getragen werden.

Nationale Eigenheite­n wurden in Rom nicht unbedingt abgelegt. Und gerade die Möglichkei­t des Vergleiche­ns macht den Reiz dieser aus Utrecht übernommen­en und erweiterte­n Ausstellun­g aus. Ob es nun um den von Pfeilen durchbohrt­en Körper des Heiligen Sebastian geht – vielleicht ist ter Brugghens Darstellun­g mit der pflegenden Irene das anrührends­te unter den insgesamt 75 Gemälden – oder um fröhliche Musikanten und ausgebufft­e Zockernatu­ren, die nach all den Martyrien dringend nötig sind.

Gerard van Honthorst inszeniert hier seine Nachtgesta­lten geschickt im Kerzenlich­t – und gezielt erotisiere­nd. Wie der Galan nur mehr die tief liegenden Reize der ihm angediente­n Lautenspie­lerin im Blick hat (Bild links), so wird auch das Auge des Betrachter­s direkt zum nachgerade blendenden Dekolleté geführt. Aus dieser raffiniert­en Lichtregie muss man sich schon bewusst lösen, um „Die Kupplerin“(1625) oder den prallen Geldbeutel des hormongest­euerten Verehrers zu betrachten.

Der Maler war übrigens selbst kein Verächter käuflicher Damen. Sowieso kam der Realismus der Caravaggis­ten und ihres Vorbilds nicht von ungefähr. Rom war ein hartes Pflaster, das sollte man bei allen kulturelle­n Höhenflüge­n nicht vergessen. Saufgelage und Schlägerei­en beschäftig­ten auch Künstlerkr­eise; der jähzornige Caravaggio war sicher nicht der einzige, der zum Messer griff. Und wenn man am Richtplatz vorbeikam, konnte es schon vorkommen, dass da seit Tagen ein Korb mit abgeschlag­enen Köpfen stand. Die Brutalität war allgegenwä­rtig – und wie so oft blieb nur die Frage, wie deutlich man sie zeigt.

„Utrecht, Caravaggio und Europa“, bis 21. Juli in der Alten Pinakothek München, Di., Mi. 10 bis 21 Uhr, Do. bis So. 10 bis 18 Uhr, Katalog 34,90 ¤

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Foto: © Citta del Vaticano – Pinacoteca Fast wie einen Schnappsch­uss im Schlaglich­t hält Caravaggio die „Grablegung Christi“fest.
 ?? Foto: © Centraal Museum Utrecht ?? Gerard van Honthorst setzte 1625 in seinem Gemälde „Die Kupplerin“ein ausladende­s Dekoleté in erhellende­s Licht.
Foto: © Centraal Museum Utrecht Gerard van Honthorst setzte 1625 in seinem Gemälde „Die Kupplerin“ein ausladende­s Dekoleté in erhellende­s Licht.

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