Kalkofe macht den TV-Wahnsinn erträglicher
Interview Seit einem Vierteljahrhundert schaut der Satiriker schlechtes Fernsehen. In den vergangenen Jahren sei vieles schlimmer geworden, sagt er. Was ihn besonders aufregt und warum er „Germany’s Next Topmodel“hasst
Herr Kalkofe, vor 25 Jahren lief Ihre Sendung „Kalkofes Mattscheibe“zum ersten Mal, damals noch auf Premiere. Seit 25 Jahren also befassen Sie sich mit schlechtem Fernsehen. Haben Sie davon denn noch keinen Schaden? Oliver Kalkofe: So langsam fängt es, glaube ich, an. Ich rechne auf jeden Fall mit psychischen Langzeitschäden. Das Schlimme ist ja: Man hat das alles gesehen und manche Bilder kriegt man nie mehr aus dem Kopf.
Welche denn?
Kalkofe: Es gab schon viele wirklich schlimme Momente. Die alle aufzuzählen, würde aber zu weit führen – und das alles noch mal völlig unnötig aufrühren in meinem zarten Gemüt.
Träumen Sie vom Trash-TV? Kalkofe: Zum Glück nicht. Früher habe ich mir oft ausgemalt, was es in ferner Zukunft mal an Trash-TV geben könnte, und fast alles hat sich in der Realität bitter bewahrheitet! Als ich in den 90er Jahren mit der „Mattscheibe“loslegte, da habe ich parallel auch noch Comedy auf ffn gemacht – und ich erinnere mich, dass wir uns damals Dokusoaps ausgedacht haben, in denen Leute ihren Nachbarn vor die Tür kacken, ihren Lümmel in ein Hotdog-Brötchen legen und so weiter. Genau das habe ich dann Jahre später in Scripted-Reality-Serien gesehen, und dort war es nicht als Comedy gemeint. Das ist echt gruselig.
Was regt Sie am meisten auf?
Kalkofe: Wenn Leute in irgendwelchen Dokusoaps oder Castingshows vor der Kamera gnadenlos vorgeführt und gedemütigt werden. Ganz widerlich wird es, wenn wirklich mit Schicksalen gespielt wird. Wie zum Beispiel bei „Temptation Island“, wo es darum geht, Paare auseinanderzubringen. Jetzt kann man natürlich sagen: Selber schuld, wer da mitmacht, hat es auch nicht besser verdient.
Kalkofe: Aber damit macht man es sich zu leicht, denn die Kandidaten rechnen wirklich nicht damit, dass sie im Fernsehen fertiggemacht werden. Sie gehen davon aus, dass sie irgendwie beschützt werden. Aber genau das passiert nicht, die werden in vielen Fällen gnadenlos und völlig amoralisch vorgeführt. In „Naked Attraction“werden Leute wie Zuchtvieh behandelt und für eine Dating-Show nackt in Glascontainer gesteckt, ohne dass der blöde Kopf gezeigt wird. Man entscheidet nach reinem Nettogewicht wie an der Fleischtheke – das ist doch irre.
Welche Sendung verabscheuen Sie besonders?
Kalkofe: „Germany’s Next Topmodel“ist nach wie vor eines meiner absoluten Hass-Formate. Die Sendung hat eine nahezu hypnotische und wirklich ungute Wirkung auf
Karriere Oliver Kalkofe kam 1965 im niedersächsischen Langenhagen zur Welt und machte nach dem Abitur eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondent. Seine Karriere begann er als Radiomoderator, den Durchbruch im Fernsehen schaffte er mit seiner Satiresendung „Kalkofes junge Mädchen. Manche der Kandidatinnen, von denen nicht wenige noch minderjährig sind, werden von Heidi Klum aus der Schule geholt und müssen zwei Dinge lernen. Erstens: begehrenswert für Männer zu sein. Und zweitens: auf Befehle zu hören. Wer nicht funktioniert und gehorcht, ist raus.
Wie werden Sie eigentlich in der Fernsehbranche wahrgenommen?
Kalkofe: Das hat sich im Lauf der Jahre geändert: In den 90ern waren fast alle noch sauer, wenn ich sie in der Sendung verarscht habe. Mittlerweile finden es fast alle toll und begreifen das als Publicity. Viele fühlen sich regelrecht geehrt. Es gibt aber immer noch welche, die stinksauer sind und einfach weggucken, wenn sie mich sehen. Oder sie gehen vorbei und rempeln mich leicht an und gucken ganz böse, ohne Flachs.
Hatten Sie auch schon mal das Gefühl, zu weit gegangen zu sein?
Kalkofe: Nein, weil ich nie Personen als solche angreife, sondern immer nur das, was sie im Fernsehen machen oder wie sie sich selbst in den Medien darstellen. Das Privatleben bleibt bei meinen Parodien außen Mattscheibe“1994. Der Grimme-PreisTräger arbeitet auch als Drehbuchautor, Schauspieler („Der Wixxer“), Kolumnist und Synchronsprecher. Mit
Frau und Stieftochter lebt er in Berlin.
TV-Tipp Tele5 ehrt Kalkofe von diesem Donnerstagabend an – und zwar gleich 25 Stunden lang. Ab 22.10 vor, es geht um die Auftritte in der Öffentlichkeit. Es gab natürlich immer mal wieder Beschwerden von Promis und auch mal das ein oder andere juristische Scharmützel, aber das waren Ausnahmen. Es gibt allerdings sogar ein höchstrichterliches Urteil vom Bundesgerichtshof, das nach mir benannt ist, das so genannte Kalkofe-Urteil. Aber da ging es nicht um Beleidigung, sondern darum, dass wir für unsere Satiren Schnipsel aus anderen Sendungen nutzen dürfen.
Ist im Fernsehen alles schlimmer geworden in den vergangenen 25 Jahren? Kalkofe: Vieles ist in der Tat schlimmer geworden, das Medium hat sich in keine positive Richtung entwickelt. Das hängt in erster Linie mit dem starken Aufkommen von Dokusoaps und Scripted-Reality-Formaten um die Jahrtausendwende zusammen. Das ist billigstes und inhaltlich oft widerwärtiges Fernsehen, ohne Herz, Können oder moralische Verantwortung, purer Zynismus dem Publikum gegenüber. So führt sich das Medium langsam selbst in die Bedeutungslosigkeit. Aber es gibt natürlich auch positive Entwicklungen. Uhr zeigt der Privatsender mit Sitz in Grünwald bei München „25 Jahre Kalkofes Mattscheibe“. Am Karfreitag kommt um 20.15 Uhr dann „Die große Jubiläumsgala“mit Promi-Gästen und schließlich, in der Nacht auf Samstag, um 0.10 Uhr die Doku „Hinter den Kulissen des Wahnsinns“. (webe) Woran denken Sie da?
Kalkofe: Die erhöhte Nutzung der Streamingdienste, bei denen anspruchsvolle Serien und gute Filme laufen. Deren Erfolg und hohe Nutzung haben das alte Vorurteil vieler Fernsehverantwortlicher, dass die Zuschauer für intelligente Unterhaltung eh zu dumm sind und gar nichts Anspruchsvolles sehen wollen, glasklar widerlegt. Gutes Fernsehen funktioniert, Inhalte sind und bleiben das Wichtigste – die Sender müssen nur wieder lernen, ihr Publikum ernst zu nehmen und ihr eigenes Medium zu lieben. Es ist einfach traurig, wenn heute gerade die Menschen, die das Fernsehen im Grunde lieben, zu einem sagen: „Ich schau gar kein Fernsehen mehr.“
Gibt es wenigstens bei den öffentlichrechtlichen Sendern Hoffnung auf Besserung?
Kalkofe: Leider hat sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen jahrzehntelang in gemütlichem Tiefschlaf eingemummelt, einfach so weitergemacht wie immer und dem wachsenden Wahnsinn nichts Relevantes entgegengesetzt. Inzwischen traut man sich endlich mal zaghaft was und bemüht sich beispielsweise um interessante Serien-Co-Produktionen. Aber im Großen und Ganzen sind die Sender immer noch in ihrer eigenen Bräsigkeit gefangen und bieten kaum etwas Neues außer immer mehr Trödelshows, in denen Leute ihren alten Gammel aus dem Keller verkaufen. Ist nett und tut nicht weh, ist aber auch das Gegenteil von innovativem und kreativem Fernsehen – wofür wir ja eigentlich unsere Gebühren zahlen.
Interview: Martin Weber
Kalkofes Welt: Tele5 zeigt 25 Stunden „Mattscheibe“am Stück