Roggenburgs klingende Riesin
Musik Die Orgel der Klosterkirche wäre groß genug für eine Kathedrale. Pater Stefan Kling und seine Mitstreiter kümmern sich darum, dass sie sich gut anhört. Sie haben dem Instrument auch ungewöhnliche Töne beigebracht
Roggenburg Von außen macht die „Große Roggenburgerin“, wie die Orgel der Klosterkirche in Roggenburg genannt wird, ihrem Namen alle Ehre. Das mächtige Instrument, weiß und golden, das die gesamte Breite der Westempore füllt und bis zum großen Deckenfresko hinaufragt, „könnte so auch in einer Kathedrale stehen“, sagt Pater Stefan Kling, diplomierter Kirchenmusiker und Theologe sowie seit 2014 Prior der Roggenburger Prämonstratenser. Der 56-Jährige kennt die Orgel wie kein anderer – und bringt sein Können als Organist auch am Ostermontag ein, wenn um 16 Uhr der „Roggenburger Sommer“eröffnet wird, der auch der „Großen Roggenburgerin“wieder einige große Auftritte garantiert.
Das mit der Größe ist allerdings relativ. Denn in der Orgel geht es verdammt eng zu. Kling öffnet die geschwungene Holztür zum Gehäuse
Manche Orgelpfeifen sind dick wie Heizungsrohre
und geht voran. Was ihm einigermaßen leicht fällt – er ist weder groß noch breit. Hinauf die steile Holztreppe, auf deren schmale Stufen kaum zwei Füße nebeneinander passen, seitwärts vorbei an den gewaltigen Pfeifen des Posaune16-Fuß-Registers. Dann noch unter einer weiteren Holzleiter durchgeduckt, und schon steht man im Herzen des Instruments, umgeben mit Hunderten Pfeifen, manche fein wie Frauenfinger, andere dick wie Heizungsrohre. Hier entsteht der Klang, der so viele Farben hat. 59 Register hat die Hauptorgel, von der federleichten Piccolo-Flöte bis zur dunklen brummenden Bombarde.
Alle sind sie spielbar über die fünf Manuale des 2008 erneuerten Spieltisches, der in der Handhabung so gar nicht barock ist. So können Pater Stefan und die Gastorganisten nicht nur Registereinstellung speichern (sogar auf USB-Stick!) und auf Knopfdruck aufrufen, sondern auch die seit 2005 hinter dem Hauptaltar versteckte, gebraucht erworbene Pfeifenorgel, die sonst vor allem für das Chorgebet benutzt wird, spielen. Was reizvolle räumliche Effekte erzeugt.
Von außen betrachtet mag die „Große Roggenburgerin“– ein Begriff, der sich laut Pater Stefan erst in der Nachkriegszeit etabliert hat – ein Denkmal des schwäbischen Rokoko sein, ihr Inneres aber hat sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte vielfach geändert, wie Kling, der seit 2004 das Amt für Kirchenmusik der Diözese Augsburg leitet, erklärt. Das Originalinstrument aus den 1760ern wurde bereits 1796 vom großen Ottobeurer Orgelbauer Johann Nepomuk Holzhey umge
baut. „Das ging klanglich schon Richtung Romantik“, so Kling. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses Instrument durch ein spätromantisches Werk mit pneumatischer Traktur ersetzt, das wiederum in den 1950er gegen ein neobarockes ausgetauscht wurde. Es war die Ära der Orgelbewegung, die einen schlanken, nordischen Klang erreichen wollte. „Wahnsinnig ideologisch“findet Pater Stefan die Haltung dieser Zeit, die nicht verstanden habe, dass die Orgelkultur des Barock landschaftlich geprägt war: Die Protestanten Bach oder Buxtehude seien im 18. Jahrhundert in ei
ner schwäbischen Klosterkirche nicht gespielt worden.
Das heutige Orgelwerk stammt im Wesentlichen aus den 1980ern und wurde von der Firma Gerhard Schmid aus Kaufbeuren gebaut. Doch wenn Kling heute in die Tasten greift, tönt die „Große Roggenburgerin“anders als vor gut 30 Jahren. Weil er, unterstützt unter anderem von den Orgelbauern Stefan Heiß (Vöhringen) und Martin Geßner (Weißenhorn), immer wieder Register ergänzt und ausgetauscht hat. Diese stammen zumeist von anderen, ausrangierten oder umgebauten Instrumenten. So kam das „Cor
Anglais“, das trotz des Horns im Namen ein bisschen nach Akkordeon klingt, aus Belgien; ein Ordensbruder von dort machte Pater Stefan auf die nicht mehr gebrauchten Pfeifen aufmerksam. Ein gutes Netzwerk und ein gutes Gespür helfen bei der Verfeinerung einer Orgel. Denn gerade bei großen und komplex gebauten Pfeifen wird es sonst schnell teuer. „Da sind Sie im fünfstelligen Bereich.“Durch die Arbeit habe die Orgel „ihre Vielfältigkeit im Grundtonbereich zurückbekommen“. Jetzt ist die „Große Roggenburgerin“, die irgendwie Klings Baby ist, eine wunderbare
Orgel für romantische Literatur, aber auch „einen Bach kann man darauf gut musizieren“, freut sich der Kirchenmusiker.
Man kann dem Instrument aber auch ganz andere Töne entlocken: prasselnde Hagelgeräusche zum Beispiel, sie entstehen durch Kugellagerkugeln in einer sich motorbetriebenen, drehenden Plexiglastrommel – gebaut von Klings Vater. Oder auch „Vogelg’sang“, also Zwitschern, erzeugt durch dünne Pfeifen, die in einen Topf mit Wasser hineinblasen. In einer so großen Orgel ist eben auch ein bisschen Platz für Humor.