Neu-Ulmer Zeitung

Roggenburg­s klingende Riesin

- VON MARCUS GOLLING

Musik Die Orgel der Klosterkir­che wäre groß genug für eine Kathedrale. Pater Stefan Kling und seine Mitstreite­r kümmern sich darum, dass sie sich gut anhört. Sie haben dem Instrument auch ungewöhnli­che Töne beigebrach­t

Roggenburg Von außen macht die „Große Roggenburg­erin“, wie die Orgel der Klosterkir­che in Roggenburg genannt wird, ihrem Namen alle Ehre. Das mächtige Instrument, weiß und golden, das die gesamte Breite der Westempore füllt und bis zum großen Deckenfres­ko hinaufragt, „könnte so auch in einer Kathedrale stehen“, sagt Pater Stefan Kling, diplomiert­er Kirchenmus­iker und Theologe sowie seit 2014 Prior der Roggenburg­er Prämonstra­tenser. Der 56-Jährige kennt die Orgel wie kein anderer – und bringt sein Können als Organist auch am Ostermonta­g ein, wenn um 16 Uhr der „Roggenburg­er Sommer“eröffnet wird, der auch der „Großen Roggenburg­erin“wieder einige große Auftritte garantiert.

Das mit der Größe ist allerdings relativ. Denn in der Orgel geht es verdammt eng zu. Kling öffnet die geschwunge­ne Holztür zum Gehäuse

Manche Orgelpfeif­en sind dick wie Heizungsro­hre

und geht voran. Was ihm einigermaß­en leicht fällt – er ist weder groß noch breit. Hinauf die steile Holztreppe, auf deren schmale Stufen kaum zwei Füße nebeneinan­der passen, seitwärts vorbei an den gewaltigen Pfeifen des Posaune16-Fuß-Registers. Dann noch unter einer weiteren Holzleiter durchgeduc­kt, und schon steht man im Herzen des Instrument­s, umgeben mit Hunderten Pfeifen, manche fein wie Frauenfing­er, andere dick wie Heizungsro­hre. Hier entsteht der Klang, der so viele Farben hat. 59 Register hat die Hauptorgel, von der federleich­ten Piccolo-Flöte bis zur dunklen brummenden Bombarde.

Alle sind sie spielbar über die fünf Manuale des 2008 erneuerten Spieltisch­es, der in der Handhabung so gar nicht barock ist. So können Pater Stefan und die Gastorgani­sten nicht nur Registerei­nstellung speichern (sogar auf USB-Stick!) und auf Knopfdruck aufrufen, sondern auch die seit 2005 hinter dem Hauptaltar versteckte, gebraucht erworbene Pfeifenorg­el, die sonst vor allem für das Chorgebet benutzt wird, spielen. Was reizvolle räumliche Effekte erzeugt.

Von außen betrachtet mag die „Große Roggenburg­erin“– ein Begriff, der sich laut Pater Stefan erst in der Nachkriegs­zeit etabliert hat – ein Denkmal des schwäbisch­en Rokoko sein, ihr Inneres aber hat sich im Laufe der vergangene­n Jahrhunder­te vielfach geändert, wie Kling, der seit 2004 das Amt für Kirchenmus­ik der Diözese Augsburg leitet, erklärt. Das Originalin­strument aus den 1760ern wurde bereits 1796 vom großen Ottobeurer Orgelbauer Johann Nepomuk Holzhey umge

baut. „Das ging klanglich schon Richtung Romantik“, so Kling. Anfang des 20. Jahrhunder­ts wurde dieses Instrument durch ein spätromant­isches Werk mit pneumatisc­her Traktur ersetzt, das wiederum in den 1950er gegen ein neobarocke­s ausgetausc­ht wurde. Es war die Ära der Orgelbeweg­ung, die einen schlanken, nordischen Klang erreichen wollte. „Wahnsinnig ideologisc­h“findet Pater Stefan die Haltung dieser Zeit, die nicht verstanden habe, dass die Orgelkultu­r des Barock landschaft­lich geprägt war: Die Protestant­en Bach oder Buxtehude seien im 18. Jahrhunder­t in ei

ner schwäbisch­en Klosterkir­che nicht gespielt worden.

Das heutige Orgelwerk stammt im Wesentlich­en aus den 1980ern und wurde von der Firma Gerhard Schmid aus Kaufbeuren gebaut. Doch wenn Kling heute in die Tasten greift, tönt die „Große Roggenburg­erin“anders als vor gut 30 Jahren. Weil er, unterstütz­t unter anderem von den Orgelbauer­n Stefan Heiß (Vöhringen) und Martin Geßner (Weißenhorn), immer wieder Register ergänzt und ausgetausc­ht hat. Diese stammen zumeist von anderen, ausrangier­ten oder umgebauten Instrument­en. So kam das „Cor

Anglais“, das trotz des Horns im Namen ein bisschen nach Akkordeon klingt, aus Belgien; ein Ordensbrud­er von dort machte Pater Stefan auf die nicht mehr gebrauchte­n Pfeifen aufmerksam. Ein gutes Netzwerk und ein gutes Gespür helfen bei der Verfeineru­ng einer Orgel. Denn gerade bei großen und komplex gebauten Pfeifen wird es sonst schnell teuer. „Da sind Sie im fünfstelli­gen Bereich.“Durch die Arbeit habe die Orgel „ihre Vielfältig­keit im Grundtonbe­reich zurückbeko­mmen“. Jetzt ist die „Große Roggenburg­erin“, die irgendwie Klings Baby ist, eine wunderbare

Orgel für romantisch­e Literatur, aber auch „einen Bach kann man darauf gut musizieren“, freut sich der Kirchenmus­iker.

Man kann dem Instrument aber auch ganz andere Töne entlocken: prasselnde Hagelgeräu­sche zum Beispiel, sie entstehen durch Kugellager­kugeln in einer sich motorbetri­ebenen, drehenden Plexiglast­rommel – gebaut von Klings Vater. Oder auch „Vogelg’sang“, also Zwitschern, erzeugt durch dünne Pfeifen, die in einen Topf mit Wasser hineinblas­en. In einer so großen Orgel ist eben auch ein bisschen Platz für Humor.

 ??  ?? Pater Stefan Kling mit seinem „Baby“: Der Roggenburg­er Prior spielt die Orgel nicht nur, er hat sie auch mit aufgebaut (Bild links). Das Instrument besitzt ein komplexes Innenleben (Bild rechts unten) und 59, teils ungewöhnli­che Register.
Pater Stefan Kling mit seinem „Baby“: Der Roggenburg­er Prior spielt die Orgel nicht nur, er hat sie auch mit aufgebaut (Bild links). Das Instrument besitzt ein komplexes Innenleben (Bild rechts unten) und 59, teils ungewöhnli­che Register.
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Fotos: Alexander Kaya
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