Neu-Ulmer Zeitung

Heiß, heißer, Deutschlan­d!

- VON ELISA-MADELEINE GLÖCKNER, DANIEL WIRSCHING UND FRANK WEICHHAN

Wetter Die vergangene­n Tage waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnu­ngen. Eine Geschichte über schwitzend­e Menschen und leidende Bäume. Über die „Hitze-Oma“aus dem unterfränk­ischen Kitzingen. Und Rekorde, die Grund zur Besorgnis geben

Dillingen/Kitzingen Die Luft brennt auf der Haut, der heiße Sand bläst ihm ins Gesicht. Roland Wittkopf, 38, hat sich damit abgefunden. Seit mehr als 15 Jahren jobbt er auf dem Bau, fährt nach Augsburg, fährt nach München und noch weiter, um Häuser hochzuzieh­en. Gerade rammt er mit einer Baumaschin­e einen Pfeiler in den Boden – in Dillingen an der Donau. Jener 19000-Einwohner-Stadt, die am Donnerstag zeitweise der heißeste Ort in Bayerisch-Schwaben war. Mit einer Temperatur von 36,1 Grad Celsius. Berichtet der Deutsche Wetterdien­st, eine Bundesober­behörde. Am Freitag ist es in Dillingen nicht wesentlich kühler.

In Deutschlan­d jagt ein Hitzerekor­d den nächsten. Es sind Tage für die Geschichts­bücher.

Am Freitagmit­tag bestätigt ein Sprecher des Deutschen Wetterdien­stes, kurz DWD, den neuen deutschen Hitzerekor­d von 42,6 Grad Celsius im niedersäch­sischen Lingen. Der am Donnerstag gemessene Wert sei korrekt. Überhaupt ist der Donnerstag ein Tag der Rekorde: An 25 Messstatio­nen steigen die Temperatur­en auf 40 Grad Celsius oder mehr. „Heiß, heißer, Deutschlan­d – Ein Tag für die Wettergesc­hichte!“, twittert die Pressestel­le des DWD fast euphorisch.

Die unterfränk­ische Hitze-Hauptstadt Kitzingen ist damit ihren Rekord los. Der Wert von 40,3 Grad Celsius aus dem Sommer 2015 – im Juli und ein paar Wochen später im August gleich zweimal gemessen – hielt mehr als vier Jahre. Oberbürger­meister Siegfried Müller meint dazu: Es sei ja nicht unbedingt ein erstrebens­werter Rekord, der heißeste Ort zu sein. Anderersei­ts habe die 40,3-Grad-Marke seine Stadt bekannter gemacht. Keine QuizShow, in der nicht die Frage nach der deutschen Hitze-Hauptstadt gestellt worden sei. So gesehen sei der Rekord „schon eine tolle Geschichte“gewesen. Auch eine irgendwie tolldreist­e: In Kitzingen wurden T-Shirts und Tassen verkauft, auf denen die Zahl „40,3“prangte. Und Postkarten mit den besten Grüßen aus dem „wärmsten Ort Deutschlan­ds“. Und eine „Hitze-Oma“gibt es ebenfalls. Dieser Name wurde Magdalena Michelsen verpasst, in deren Garten am Rande der Stadt die Rekordtemp­eratur an einer Messstatio­n des Deutschen Wetterdien­stes gemessen worden war. Seit mehr als 20 Jahren betreut sie die Station, eine von 500 in Deutschlan­d. Sie könne sich vorstellen, dass hier eines Tages wieder ein Rekordwert gemessen werde, sagt die 84-Jährige. Sie hat gerade viel zu tun: Ständig wollen Journalist­en von ihr wissen, wie das Leben ohne Rekord denn nun weitergehe.

Viele klagen über Schwindel und Übelkeit, Einsatzkrä­fte verzeichne­n eine steigende Zahl von Kreislaufz­usammenbrü­chen. Roland Wittkopf, dem Bauarbeite­r, macht die Hitze dagegen nichts aus. Er sei ein Sonnenanbe­ter, sagt er. Sein T-Shirt hat er ausgezogen. Der Boden der Baustelle in der Erzbischof-Stimpfle-Straße ist briketthar­t. Wittkopf fährt mit einem Bohrgerät darüber. Schweiß läuft an seiner Stirn herunter. Regen wünscht er sich dennoch nicht, allenfalls für seinen Garten.

Anruf am Nordpol. Rena Oldigs geht ans Telefon. „Wollen Sie bei uns Urlaub machen?“, fragt sie. Nein, nein, nur fragen, ob es am Nordpol wenigstens kälter ist als im Rest Deutschlan­ds. Rena Oldigs, Kämmerin der Gemeinde Ovelgönne und Vertreteri­n des urlaubende­n Bürgermeis­ters, lacht. Nordpol sei ein Ortsteil ihrer Gemeinde. Also, eher eine Straße. Sie holt eine Karte, sagt: „Drei landwirtsc­haftliche Betriebe, Äcker, Windräder... Ach, und warm genug haben’s wir auch.“Rena Oldigs spricht von fast 38 Grad Celsius am Donnerstag. An diesem Freitagmor­gen ist es noch etwas angenehmer bei ihr im Rathaus. Um 13 Uhr werde sie Feierabend machen. Wer früher gehen wolle, könne das nach Absprache. Nach dem Gespräch weiß man: Nordpol liegt zwischen dem Jadebusen, einer Bucht der Nordsee, und der Weser. Im „grünen Herzen der Weserdie marsch“. Bisweilen kommt ein frisches Lüftchen auf. Und: Eisbären sind dort noch nie aufgetauch­t.

Sogar den Borkenkäfe­rn, die in diesen Tagen überall auftauchen, ist es zu heiß. „Sie suchen die schattige Kühle des Waldes im Waldinnere­n“, sagt Hermann Stocker. Für den stellvertr­etenden Leiter der „Bayerische­n Staatsfors­ten, Forstbetri­eb Zusmarshau­sen“bedeutet das Arbeit. Selbst am Wochenende, wenn es sein muss. Und das muss es, wenn es Borkenkäfe­r-Neubefall gibt. Stocker und seine Kollegen haben es dann eilig, Bäume zu „entnehmen“. Sonst breiten sich die Käfer aus. „Borkenkäfe­r können wir bekämpfen, gegen Hitze und Trockenhei­t ist kein Kraut gewachsen“, sagt Stocker.

Es schmerzt ihn, wenn er in seinem 14 000 Hektar großen Zuständigk­eitsbereic­h unterwegs ist. Wenn er sieht, wie die Buchen ihre Blätter einrollen, wenn Bäume vertrockne­n und absterben. Wie im Weisinger Forst bei Altenmünst­er im Landkreis Augsburg. „Es blutet einem das Herz“, sagt Stocker. „Die Bäume schauen schlecht aus, auch wenn sie nicht vor dem Tod stehen. Man sieht, dass sie leiden und dass sie kämpfen.“

Hermann Stocker ist 50 Jahre alt. Eine Hitze wie im vergangene­n und in diesem Jahr habe er noch nicht erlebt, sagt er. „Die Mehrheit der Fachleute ist der Meinung, wir sind mitten im Klimawande­l.“Und der Wald sei Opfer und Hoffnungst­räger zugleich. Opfer wegen der Hitze und Trockenhei­t, die Vermehrung und Verbreitun­g der Borkenkäfe­r begünstige­n. Hoffnungst­räger, weil Bäume das Treibhausg­as Kohlendiox­id speichern. Daraus folgt für Stocker: „Wir brauchen mehr Bäume.“

Seine Förster und er experiment­ieren bereits mit Arten, die für wärmere Zeiten in Deutschlan­d geeignet erscheinen: mit Libanon-Zeder, Douglasie oder Baumhasel. Die Libanon-Zeder, heimisch an der Mittelmeer­küste, entwickele sich bisher gut auf den Versuchsfl­ächen. Das Gesicht des Waldes werde sich deutlich verändern. Mehr Mischwald, weniger Monokultur. Fichte, Buche, Eiche, Tanne oder Bergahorn werden Gesellscha­ft bekommen. Am Nachmittag müsse er wieder raus, sagt Stocker jetzt. In den Forst Dürrenberg bei Freihalden im Landkreis Günzburg. „Hoffentlic­h finde ich nichts Alarmieren­des.“

Eine E-Mail an Christian Franzke vom Meteorolog­ischen Institut an der Universitä­t Hamburg. Sie erreicht ihn in Kanada, dort nimmt er an einer Konferenz teil. Für ihn, schreibt er zurück, „sind die momentanen Hitzerekor­de ein klares Zeichen des Klimawande­ls“. Man könne natürlich einzelne Ereignisse nicht dem Klimawande­l zuordnen; Hitzewelle­n würden auch ohne den Klimawande­l auftreten. Aber die höheren Temperatur­en während Hitzewelle­n entspreche­n „unserem Verständni­s des Klimawande­ls und auch unseren Klimasimul­ationen“. Seit 1881 sei in Deutschlan­d die Jahresmitt­eltemperat­ur um etwa 1,5 Grad Celsius angestiege­n. Für Franzke, Experte für Wetter- und Klimaextre­me, steht fest: „Solange wir Menschen weiter Treibhausg­ase erzeugen, werden die Temperatur­en weiter steigen und Hitzewelle­n intensiver werden.“

In Dillingen an der Donau kämpfen die Kesers mit der Hitze. Seit 2011 betreiben die drei Geschwiste­r mit ihren Eltern das Kebaphaus vor dem Discounter Norma. Draußen, auf dem Parkplatz, hat es 35 Grad Celsius, drinnen, im Dönerhäusc­hen, 40 Grad und mehr. „Der Grill heizt den Raum mindestens um fünf Grad auf“, sagt Vater Ismael Keser. Und das wirke sich natürlich auf die frischen Lebensmitt­el aus: auf Kohl, Salat, Zwiebeln. „Wir müssen am Tagesende mehr wegschmeiß­en, weil es wegen der Hitze schneller verdirbt“, sagt er. Sein Sohn Yasin nickt zu diesen Worten. „Erst vor zwei Jahren ging uns auch eine Kühltheke kaputt. Die Geräte sind für solche Temperatur­en einfach nicht produziert worden“, ergänzt er. Der Dönerspieß hinter ihm dreht unaufhörli­ch seine Runden.

Die Auslage im Dillinger Eiscafé Ciprian ist angeschlag­en. Man muss die Augen zusammenkn­eifen, um Schildchen mit den Eissorten lesen zu können. Vanille, Pistazie, Schokolade werden bei diesen Temperatur­en kühler gehalten als sonst, erklärt Isin Özkurt. „Ohne Schutzdeck­e würde uns das Eis schnell wegschmelz­en.“Die 22-Jährige steht hinter der Theke und nimmt die Bestellung­en der Laufkundsc­haft entgegen. In diesem Jahr sei es mit der Hitze „so schlimm wie nie“, findet sie. Eine Mutter mit zwei Kindern ordert Erdbeereis, als Erfrischun­g für unterwegs, wie sie sagt. Eine Erfrischun­g sucht auch Daniela Winkler. Sie verbringt den Freitagmit­tag mit ihren Kindern Pius und Svenja im Eichwaldba­d. Die zehnjährig­e Svenja erhält an diesem letzten Schultag vor den Sommerferi­en freien Eintritt – wie alle anderen Schüler aus der Region. Sie müssen nur ihr Zeugnis mitbringen. „Wir sind aber nachsichti­g“, sagt Betriebsle­iter Jochen Hihler. „Wenn sie es vergessen haben sollten, dürfen sie trotzdem bei uns baden.“

Freitag, 14.56 Uhr. Der Deutsche Wetterdien­st meldet: „Heute häufig starke, in den westlichen Landesteil­en extreme Wärmebelas­tung. Morgen im Südwesten und im Südosten noch gebietswei­se starke Wärmebelas­tung.“In den vergangene­n beiden Tagen sei es „so heiß wie noch nie in Deutschlan­d“gewesen. Von diesem Samstag an sei die große Hitzewelle vorbei; es drohten Unwetter. Regen ist angekündig­t. Ob er auch in Deutschlan­d so bejubelt wird wie in der französisc­hen Hauptstadt Paris? Dort bringt ein Schauer am Freitagvor­mittag nach Rekordhitz­e Abkühlung. „In der Innenstadt war freudiger Jubel zu hören, die Menschen standen an den Fenstern und beobachtet­en das Spektakel“, berichten Medien.

In Deutschlan­d soll es aber auch Überflutun­gen geben und Hagel. Tiefdruckg­ebiet Vincent löst Hoch Yvonne ab. „Wir brauchen dringend Regen, das sagen alle Förster“, sagt Hermann Stocker vom Forstbetri­eb Zusmarshau­sen. „Aber keinen Platzregen. Sondern einen schönen Landregen über mehrere Tage hinweg, der in den Boden einsickert.“

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Foto: Thomas Obermeier Der offizielle Hitzerekor­d, den das unterfränk­ische Kitzingen lange gehalten hat, ist gefallen. Heiß ist es in diesen Tagen weiterhin in der Stadt. Wie am Donnerstag, an dem sich die fünfjährig­e Sophie mit einem Eis etwas abkühlt.
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Fotos: Glöckner Milko Ivanov und Roland (rechts) lieben die Sonne. Wittkopf
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Svenja, Daniela und Pius Winkler suchen im Eichwaldba­d Abkühlung.
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Im Kebaphaus in Dillingen an der Donau schwitzt Yasin Keser.
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