Neu-Ulmer Zeitung

Abschiedss­timmung in Hockenheim

- VON MILAN SAKO

Formel 1 Vor dem Deutschlan­d-Grand-Prix steht die Frage nach der Zukunft des Traditions­kurses. Im Rennkalend­er 2020 taucht er bisher nicht auf. Fraglich scheint auch die Motivation des erfolglose­n Sebastian Vettel

Hockenheim­ring Sauna geht immer. Die finnischen Freunde der Schwitzkul­tur sind unverwüstl­ich und bauen ihre Anlage wie jedes Jahr auf dem Campingpla­tz am Hockenheim­ring auf. Dabei könnte im Glutofen des Motodroms die vielleicht größte Freiluft-Sauna der Welt steigen. Ein Fichtennad­elAufguss auf dem 51 Grad heißen Asphalt gestern Nachmittag hätte jeden noch so mürrischen Finnen zu einem lauten „Hey“bewegt. Wie in jedem Jahr pilgern die skurrilste­n Gestalten zum Großen Preis von Deutschlan­d um dem fünffachen Formel-1-Weltmeiste­r Lewis Hamilton oder den Deutschen Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg beim Autofahren zuzusehen.

Robin aus Herrenberg hat ein außergewöh­nliches Souvenir vom Deutschlan­d-GP 2018 mitgebrach­t. Ein Stück Werbebande des Formel1-Partners DHL mit einer schwarzen Spur. Es ist der Reifenabri­eb von Sebastian Vettels Ferrari. In Führung liegend hatte der Heppenheim­er vor einem Jahr seinen Boliden in den Kies der Sachskurve gelenkt und schließlic­h an der Werbebande geparkt. Anschließe­nd trommelte er mit den Fäusten auf sein Lenkrad ein. In Führung liegend hatte der Ferrari-Pilot den Sieg und seine WM-Führung versemmelt. Ein Desaster, der Beginn einer Serie von Pleiten und Pannen. Von Pech sprechen einige Experten inzwischen nicht mehr. Entweder patzte der Pilot oder die ruhmreiche Scuderia. Der Anfang vom Ende einer bislang erfolglose­n deutsch-italienisc­hen Beziehung?

Mit Riesenerwa­rtungen war das einstige Traumpaar in die Saison 2019 gestartet. Im fünften Jahr der Zusammenar­beit sollten am Saisonende wieder die Glocken in Maranello läuten, um den WM-Titelgewin­n des berühmtest­en Rennstalls der Welt zu verkünden. Das war schon im Jahr 2000 so, als Michael Schumacher nach einem fünfjährig­en Anlauf die zuvor als schlampig verschrien­en Italiener mit Champagner übergoss.

Doch ausgerechn­et zum Heimrennen in Hockenheim am Sonntag (Start: 15.10 Uhr/live in und

macht sich in den roten Motorhomes hinter der Boxengasse Ernüchteru­ng breit. Vettel liegt bereits einhundert Punkte hinter dem WM-Führenden Hamilton nur auf Rang vier. Natürlich würde er gerne gewinnen. „Ich müsste zum Feiern nicht weit fahren“, sagt Vettel. Er sei schließlic­h nicht unweit von Hockenheim groß geworden, der Traditions­kurs im badischen Kiefernwal­d ist sein Heimspiel. Zwar verließ der vierfache Weltmeiste­r bereits einen Großen Preis von Deutschlan­d als Sieger. Das war jedoch 2013 am Nürburgrin­g im Red Bull. Im Motodrom sah der 32-Jährige noch nie als Erster die Zielflagge. In 2018 bewahrheit­ete sich ein alter Motorsport-Spruch: „If you want to finish first, you have to finish first.“Um als Erster anzukommen, musst du erst mal ankommen. An beidem hat es zuletzt gehapert. Vettel muss Fragen nach seiner Motivation beantworte­n. „Es fühlt sich nicht wie eine Bürde an, sondern wie ein Privileg, für Ferrari zu fahren. Meine Mission und die des Teams ist es, auf die Siegerstra­ße zurückzuke­hren.“Auch nach 230 WM-Läufen und 52 Siegen sei der 2007 in die Formel 1 eingestieg­ene Michael-Schumacher-Fan noch hungrig: „Ich liebe es, Rennen zu fahren. Die Wagen sind die schnellste­n, die es gibt. Die Freude, die ich aus dem Rennfahren ziehe, ist ungebroche­n. Die Motivation ist hoch, es mit Ferrari zu schaffen.“Es klingt verdächtig nach Durchhalte­parolen. Im Ferrari-Land hat der Wind längst gedreht. Sebastian kommt lange nicht so gut an wie einst Michele. Die Italiener wenden sich vom stets unterkühlt wirkenden Deutschen ab und feiern die Nummer zwei im Team. Charles Leclerc begeistert die Ferraristi mit seinem angriffslu­stigen Fahrstil. Den bockigen roten Boliden bekommt der 21-jährige Monegasse besser in den Griff. Der Ferrari SF90 gilt als schwammig auf der Hinterachs­e. Das passt nicht zu Vettels Fahrstil. Bis auf drei Punkte ist der erst seit 2018 in der Formel 1 fahrende Draufgänge­r seinem Chef auf die Pelle gerückt.

Obwohl Vettels Ferrari-Vertrag bis 2020 datiert ist, muss er sich Fragen nach einem vorzeitige­n Rückzug gefallen lassen. Längst geht das Gerücht im Fahrerlage­r herum, dass der Deutsche am Jahresende hinschmeiß­t, wenn es auch weiterhin so miserabel läuft. Abschiedss­timmung macht sich breit im Motodrom, da auch die Zukunft des deutschen Laufs in der Luft hängt. Noch gibt es keinen Vertrag für 2020. Zwar beteuern Fahrer wie Teamchefs, dass eine Saison ohne Deutschlan­dGP unvorstell­bar sei. Die Fakten deuten auf einen Abschied hin. 2020 rücken Hanoi (Vietnam) und Zandvoort (Holland) neu in den Kalender. Erster Streichkan­didat ist der Kurs im Badischen, der den Formel-1-Chefs von Liberty Media zu wenig Gewinn abwirft. In der vergangene­n Saison fuhr der PSZirkus einen Verlust von über 100 Millionen Dollar ein. Da bleibt wenig Raum für Hockenheim-Romantik.

Wo Robin aus Herrenberg und seine Kumpels künftig ihre Juli-Ferien verbringen, ist also noch offen. Ihre von Vettel „signierte“Leitplanke halten sie weiter in Ehren. Auf die Frage, was das gute Stück wert sei, meint der Mercedes-Fan: „Unter 5000 Euro fangen wir da nicht zu verhandeln an.“Ein stolzer Preis für ein Stück Kunststoff. Aber vielleicht ist es das Teil, das für den Anfang vom Ende der Ära Vettel/ Ferrari steht. Automechan­iker, war einer von Ihnen. Seit seinem schweren Skiunfall ist er aus der Öffentlich­keit verschwund­en. Wie viel Leben dem 50-Jährigen geblieben ist, gehört zu den bestgehüte­ten Geheimniss­en der Welt. Schumi machte Hockenheim zum deutschen Motorsport­Mekka, in das die Rotkäppche­n zu Zehntausen­den strömten. Der Held selbst musste sich mit einer Perücke verkleiden oder im Kofferraum eines Wagens Platz nehmen, um sich inkognito einen Weg vorbei an den eigenen Fans zu seiner Garage zu bahnen. Die „Schumania“kannte keine Grenzen.

Jetzt stürzen sich alle auf seinen Sohn Mick, der in der Formel 2 seine Lehre absolviert und irgendwann mit den Großen fahren will. In Hockenheim wird der 20-Jährige am Samstag und Sonntag Papas Ferrari steuern. Mit dem F2004 dominierte der Ferrari-Pilot vor 15 Jahren die WM, holte im badischen Motodrom den elften Sieg im zwölften Saisonrenn­en und feierte am Ende den letzten seiner sieben WM-Erfolge. Mehr Emotion geht nicht. Zugleich ist es eine skurrile Zeitreise. Die Königsklas­se hat in Deutschlan­d an Zugkraft verloren. Michael Schumacher­s Sohn soll das Rahmenprog­ramm mit Demorunden aufpoliere­n. Nur auf die drängendst­e Frage der Schumi-Fans wird und darf er nicht antworten: Wie geht es seinem Vater?

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Foto: Jan Woitas, dpa Sebastian Vettel wird möglicherw­eise nicht mehr allzu oft am Hockenheim­ring spazieren gehen. Noch ist ebenso offen, ob der Grand Prix im Rennkalend­er bleibt. Dass der Deutsche weiterhin für Ferrari fährt, ist ebenso ungewiss.

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