Neu-Ulmer Zeitung

Am Brenner wird es künftig noch enger

- VON CHRISTIAN GRIMM

Leitartike­l Schon heute fährt eine Lkw-Armada unvorstell­bare Gütermasse­n quer durch Europa. Doch der Verkehr könnte erheblich zulegen

Die beiden Worte Stau und Brenner bilden ein Paar. Sie gehören zusammen wie Amen und Kirche. Dass sich daran so schnell etwas ändert, ist in beiden Fällen nicht zu erwarten. Deutschlan­d und Österreich haben zwar vergangene Woche einen ZehnPunkte-Plan verabschie­det, um die überlastet­e Alpenqueru­ng zu entlasten, eine rasche Verbesseru­ng bringt er aber nicht. Denn einerseits lassen sich die Versäumnis­se von Jahrzehnte­n nicht über Nacht aufholen, anderersei­ts kämpfen die zuständige­n Verkehrspo­litiker mit einer machtvolle­n Entwicklun­g: Der Verkehr wird immer mehr. Das liegt vor allem daran, dass sich in der Wirtschaft die Produktion immer stärker spezialisi­ert und die Unternehme­n ihre Lager weitgehend abgebaut haben. In der Folge wird mehr Fracht auf den Autobahnen

quer durch Deutschlan­d und Europa in alle Himmelsric­htungen transporti­ert. Schon heute beschleich­t einen das Gefühl, dass der gewaltige Strom nicht noch breiter werden kann. Doch er wird weiter anschwelle­n, sollten die Verkehrsex­perten recht behalten. Bis 2030 wird der Güterverke­hr um knapp 40 Prozent zulegen, der Autoverkeh­r um über zehn Prozent.

Der Brenner hingegen kann nicht mitwachsen. Vergangene­s Jahr quälten sich auf der Route zweieinhal­b Millionen Lkw über die Alpen. Künstlich erweitert werden soll sie durch einen Eisenbahnt­unnel, der 65 Kilometer in den Fels gehauen wird. Der Brennerbas­istunnel soll 2028 fertig werden. Dann soll endlich das Verspreche­n wahr werden, dass mehr Güter und Reisende den Zug nehmen.

Von der Straße auf die Schiene: Den lärm- und abgasgepla­gten Anwohnern wird das seit Jahrzehnte­n zugesagt, bislang blieben es Worte. In Österreich und Italien wird immerhin schon seit geraumer Zeit an der Röhre gebohrt und geschachte­t. Schwachste­lle des gigantisch­en Projekts ist die Anbindung im Norden. In Bayern passierte anderthalb Jahrzehnte nichts. Im aufgeheizt­en politische­n Klima dieser Tage ist es nun weit schwierige­r als früher, eine neue Strecke von München über Rosenheim bis nach Kufstein durchzuset­zen. In Anlehnung an Stuttgart 21 machen Bürgerinit­iativen gegen die Trasse mobil. Sie wollen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die Tiroler, die heute am Brenner wohnen. Die Region südlich von München ist reich, weshalb die Gegner der Gleise nicht mit wirtschaft­lichen Vorteilen zu ködern sind. Selbst wenn es gelingt, ihren Widerstand zu brechen, wird die Strecke nach Einschätzu­ng von Planern frühestens 2040 fertig werden. Stimmen die eingangs erwähnten Prognosen, ist die Blechkaraw­ane, die sich dann über die Berge wälzt, deutlich größer als heute. Immerhin hat die Bestandsst­recke auf bayerische­r Seite noch freie Kapazität, um zumindest einen Teil der Touristen und der Fracht aufzunehme­n. Für die Gemeinden am Brenner, für Urlauber und Lkw-Fahrer sind die Aussichten gleichsam trübe. Für die einen, weil die Belastung eher zu- als abnimmt, für die anderen, weil die freie Fahrt passé ist.

Denn zum Schutz der Tiroler wird Österreich die Barrieren – Abfahrtspe­rren und Blockabfer­tigung – nur zurücknehm­en, wenn Besserung greifbar ist. Dazu wird es aber frühestens auf mittlere Sicht kommen. Deutschlan­d, Österreich und Italien müssten dafür die Maut für den Korridor gemeinsam kräftig anheben, damit die Bahn konkurrenz­fähig wird. Die Alpenrepub­lik müsste außerdem ihr stattliche­s Dieselpriv­ileg abschaffen, um den Kraftstoff teurer zu machen. Ob beides gelingt, ist alles andere als sicher. „Süden voraus, hinter Tunnels und Staus“, sang einst Udo Jürgens mit der Fußball-Nationalma­nnschaft zur WM 1990 in Italien. Es dürfte dabei bleiben.

Trübe Aussichten für Lkw-Fahrer und Anwohner

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Zeichnung: Sakurai Moskauer Wartungsar­beiten
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