Wieder auf Walfang
Umwelt Nach mehr als 30 Jahren macht Japan wieder kommerziell Jagd auf die Meeressäuger. Eine Flotte um die „Nisshin Maru“ist in See gestochen, um bis Dezember mehr als 200 Tiere zu töten. Dabei ist in dem Land die Lust auf Wal so gering wie nie
Walfang-Moratorium. Tokios Delegierte argumentierten, dass das Verbot der kommerziellen Jagd seine Notwendigkeit verloren habe. Brydeund Zwergwale seien nicht mehr vom Aussterben bedroht. Ein „nachhaltiger Fang“, den sich die IWC ohnehin zum Ziel gesetzt hatte, sei damit möglich. International stieß der Schritt auf heftige Kritik, Tier- und Umweltschützer reagierten entsetzt.
Im Tokioter Hafenviertel, wo Konomu Kubo sein Büro hat, klingeln die Telefone ohne Unterlass. Kubo und seine Kollegen führen Gespräche mit potenziellen Abnehmern der Wale und Wal-Nebenerzeugnisse. Es geht um Walöl, Walknochen, vor allem aber um Walfleisch. In der Branche herrscht Aufbruchstimmung. „Ein effizientes Handeln müssen wir erst wieder lernen“, sagt Kubo. „Wir waren ja drei Jahrzehnte aus dem Geschäft.“Er sieht das so: Einige Jahre werde es wohl brauchen, bis man die klügsten Fangtechniken und wirksamsten Marketingstrategien gefunden habe. Dann jedoch würden die Preise fallen und die Qualität steigen. „Wal ist etwas Exquisites“, sagt Kubo. „Das müssen wir den Leuten verständlich machen.“
Es dürfte ein hartes Stück Arbeit werden. Der Konsum des Walfleisches zeigte über die Jahrzehnte in
Zwischen Juli und Dezember 2019 sollen dem Fischereiministerium in Tokio zufolge 150 Brydewale, 52 Zwergwale und 25 Seiwale gefangen werden. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2018 – als Walfang in Japan nur für Forschungszwecke betrieben werden durfte – einen Rückgang. Andererseits: Walfleisch erfreut sich in Japan nicht allzu großer Beliebtheit. Die
Frage für kommerzielle Walfänger und weiterverarbeitende Betriebe lautet daher: Lohnt sich das Geschäft überhaupt? Insofern können die geringeren Fangzahlen als Testlauf gelten.
Bei der nun nach 31 Jahren wieder begonnenen kommerziellen Jagd will sich Japan auf seine territorialen Gewässer und seine Wirtschaftszone beeine Richtung: nach unten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Armut weitverbreitet war, diente Walfleisch als billige Proteinquelle in Schulen und Restaurants. In den 1960er Jahren erreichte der Verzehr mit rund 200000 Tonnen pro Jahr seinen Höchstwert, Walfleisch machte damals knapp die Hälfte des gesamten Fleischkonsums in Japan aus. Es war beliebt. Ein Baseballspitzenteam – sein Name: Yokohama Whales – warb dafür.
Mit zunehmendem Wohlstand und auch zunehmendem Einfluss aus dem Ausland änderte sich das: Japaner aßen lieber Rindersteaks oder Hamburger. Und so fiel allmählich die Nachfrage nach Walfleisch. Heute werden im Land pro Jahr etwa 5000 Tonnen davon verzehrt – selbst Pferdefleisch kommt häufiger auf den Teller. Die meisten jungen Japaner haben Walfleisch nicht einmal probiert. Nicht aus Tierschutzgründen oder gar Ekel; sie verbinden es schlicht mit einer längst vergangenen Zeit der Armut.
Wenige Kilometer von Konomu Kubos Büro entfernt drängeln sich im Hogeisan die Gäste. Es ist eines der bekanntesten Walrestaurants in Tokios Altstadt Asakusa, ein überschaubarer Laden, seit Jahrzehnten gut besucht. Die vollgekritzelten Wände erzählen kleine Geschichten. Lobeshymnen auf Walfleisch. „Saiko“, steht da, was sich mit „das Beste“übersetzen lässt. Oder „oishii“, „köstlich“. Die Speisekarte listet Walfleisch in verschiedenen Zubereitungsweisen auf: als „sashimi“in schränken. Die bisherige Jagd in der Antarktis soll eingestellt werden. Der erste Wal wurde nach offiziellen Angaben bereits kurz nach Auslaufen der Walfang-Flotte am 1. Juli harpuniert. Nach einer feierlichen Zeremonie war die Flotte vom Hafen Kushiro und der Walfangstadt Shimonoseki aus in See gestochen.
Nach Ansicht von Tierschützern und Walforschern trieb der kommerzielle Walfang einige Arten an den Rand der Ausrottung. Noch bedrohlicher für die Säugetiere sei jedoch, dass sie als Beifang in Fischernetzen verenden. Zu den Walen zählt mit dem Blauwal das schwerste Tier der Welt – er kann bis zu 200 Tonnen wiegen und mehr als 30 Meter lang werden. Scheibchen, als „karaage“in frittierten Stückchen oder als Eintopf mit Gemüse. Die Besucher des Restaurants sind allesamt höheren Alters. „Meine Generation ist mit Walfleisch aufgewachsen“, sagt Michio Kono, der Besitzer. 73 Jahre alt ist er, Nachkriegsgeneration. Hört man ihn reden, klingt er wie Konomu Kubo vom Walfangunternehmen Kyodo Senpaku. „Wir wollen jetzt versuchen, dass wir auch die jungen Leute dafür begeistern. Aber das wird schon!“Der Geschmack von Walfleisch lasse sich wie eine Art „Wild aus dem Wasser“beschreiben, schwärmt Michio Kono. Zugleich habe es Ähnlichkeiten zu Meeresfrüchten. „Walfleisch ist in Wahrheit was ganz Edles!“
Seit Jahrzehnten, es sind fünf, führt er das Hogeisan. Seine Kundschaft ist mit ihm gealtert. Walfleisch war in Japan immer erhältlich – trotz des Walfangmoratoriums. Denn als das Land in den 80er Jahren der Internationalen Walfangkommission beitrat, wurde auch beschlossen, dass man zum Schutz des kulturellen Erbes ein wissenschaftliches Programm zur Erforschung der Wale aufnehmen sollte. So stachen weiterhin jedes Jahr Schiffe in See, die offiziell Wissenschaft betrieben, jedoch mit gefangenen Walen zurückkehrten, deren Fleisch auf den Tischen von Restaurants wie dem von Michio Kono landete. Die Säugetiere sollten „weitestmöglich“verwertet werden.
Tierschützer hielten die Fangerlaubnis für Forschungszwecke stets für einen Vorwand. Im Jahr 2014 erklärte der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Praxis für illegal – und die japanische Regierung hatte es plötzlich eilig, das Walfangmoratorium entweder aufzuheben oder eben aus der Internationalen Walfangkommission auszusteigen.
Walfänger und Restaurantbesitzer freuen sich darüber. Für die Walfänger bedeutet die neue Freiheit allerdings auch Ungewissheit. Und keineswegs ein lukratives Geschäft. 2013 dokumentierte die Nichtregierungsorganisation International Fund for Animal Welfare auf der Basis japanischer Regierungsdaten, wie über die Zeit die Subventionen für den Walfang gestiegen waren, die Nachfrage aber fiel. Trotz nachlassender Fangvolumen nahmen die Fleischvorräte zu. Allein im vergangenen Jahr lagen die Verluste bei mehr als zehn Millionen Euro. Nun, da der Walfang offiziell keine Forschung mehr ist, sondern ein Geschäft, entfallen demnächst die staatlichen Zuschüsse. Für die verbliebenen Walfangunternehmen stellt sich die Frage: Werden wir überleben, wenn wir unser Produkt, den Wal, auf dem freien Markt anbieten müssen?
Konomu Kubo und seine Kollegen im Tokioter Hafenviertel stellen sich diese Frage seit Ende des vergangenen Jahres, als Japan der Inrohen ternationalen Walfangkommission den Rücken kehrte. „Wir haben zum Glück noch drei Jahre Zeit“, sagt er. „So lange wird uns der Staat noch weiterhin unterstützen.“Kubo hat inzwischen die Konservendosen mit Walhack auf einem Tisch drapiert. „Wir brauchen jetzt eine gute Marketingstrategie. Wir müssen erklären, dass Walfleisch in Japan ein kulturelles Erbe hat mit jahrhundertelanger Geschichte. Auch, weil es sehr gesund ist.“
Der nationale Walfangverband, der in den vergangenen drei Jahrzehnten auch die jagenden Forschungsexpeditionen durchführte, hat Flugblätter und Gratisausgaben seines Branchenmagazins verteilt. In Zeitungen schaltet er Anzeigen, in sozialen Medien sollen Fotos der Fangexpeditionen für Aufmerksamkeit sorgen. Bisher aber, und das merkt Kubo, lässt die Vorfreude der allermeisten Japaner auf Walfleisch auf sich warten. Die Anrufe potenzieller Abnehmer können darüber nicht hinwegtäuschen. Weder haben Supermärkte bislang Walfleischkampagnen angekündigt noch ist von vielen Schulen bekannt, dass es in ihren Kantinen tatsächlich bald wieder Wal zu Mittag geben wird.
„Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, sagt Konomu Kubo, kurz bevor er sich aufmacht in eine Besprechung. Es ist ein Weg, von dem selbst die optimistischsten Walfänger nicht wissen, ob er den Anfang eines neuen Aufschwungs bedeutet oder aber das Ende einer ohnehin sterbenden Tradition.
Die Walfang-Branche setzt auf Werbekampagnen Wie viele Wale in diesem Jahr gefangen werden sollen – und was Tierschützer dazu sagen Junge Japaner wollen von Walfleisch wenig wissen