Neu-Ulmer Zeitung

„Viele Grünen-Wähler fliegen besonders oft“

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Interview Michael Kerkloh ist Chef des Münchner Flughafens. Die Klima-Debatte beschäftig­t ihn enorm. Er wirft Anhängern der Öko-Bewegung vor, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Dennoch kann sich der Manager vorstellen, dass Flugticket­s teurer werden

Michael Kerkloh ist einer der weltweit bekanntest­en Airport-Manager. Nach über 17 Jahren an der Spitze der Flughafen München GmbH geht der Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung Ende 2019 mit 66 in den Ruhestand. Sein Büro gleicht einem Museum für seltene Flugzeugmo­delle. Dort steht auch eine Hammond-Orgel. Kerkloh spielt in einer Band mit Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter. Der Mann hat Humor: Ein Sessel der Sitzgruppe ist mit einen Hirschkopf aus Stoff in Originalgr­öße besetzt. Das Prachtexem­plar reckt den Kopf nach oben. An dem Geweih hat der gebürtige Westfale einen Schal aus dem Champions-League-Endspiel zwischen Bayern und Dortmund aus dem Jahr 2013 aufgehängt, der Embleme beider Vereine zeigt.

Herr Kerkloh, der Hirschkopf wird sicher bei hohem Besuch weggeräumt? Michael Kerkloh: Nein, der Platz ist immer für Erwin reserviert.

Für Erwin?

Kerkloh: Ja, so heißt der Hirsch.

Ist Erwin Bayern- oder DortmundFa­n?

Kerkloh: Er ist wie ich DortmundFa­n.

Sie sind also nach so vielen Jahren in München fußballtec­hnisch nicht konvertier­t?

Kerkloh: Nein. Dortmund ist der Verein meiner Jugend und diesem Verein bleibe ich trotz meiner vielen Jahre hier in München treu.

Westfalen wie Sie gelten als hartnäckig­e Menschen. Doch alle Hartnäckig­keit half nichts: Die von Ihnen herbeigese­hnte dritte Start-und-Lande-Bahn in München scheiterte bisher am Widerstand vieler Bürger. Ist das die größte Niederlage Ihrer Karriere? Kerkloh: Ja. Nach 14 Jahren politische­r Diskussion­en um die dritte Start-und-Lande-Bahn bin ich ernüchtert. Heute setzt sich leider niemand mehr für den notwendige­n Ausbau von Infrastruk­tur ein. Digitale Projekte kommen dagegen voran, aber überfällig­e analoge Investitio­nen wie in eine dritte Startbahn bleiben auf der Strecke. Selbst kleinste Ausbauproj­ekte im Schienenve­rkehr brauchen Jahrzehnte, bis sie genehmigt sind. Was aber das ist: Alle denken sich, das ist halt so. Da kann man nichts dagegen machen. Das darf aber nicht sein. Schließlic­h wollen wir als Gesellscha­ft stärker auf den öffentlich­en Nahverkehr umsteigen. Dann müssen diese Projekte aber auch rascher verwirklic­ht werden.

Das ist interessan­t, der FlughafenC­hef outet sich als Bahn-Fan. Was muss passieren, dass solche Projekte schneller umgesetzt werden können. Kerkloh: Die Genehmigun­gsverfahre­n müssen in Deutschlan­d beschleuni­gt werden. Wenn jeder individuel­le Einwand zu einer Blockade führen kann, dauert es 30 Jahre, bis etwa eine Bahn-Fernstreck­e fertig ist.

Gibt es eine Chance, dass die dritte Startbahn doch noch kommt? Kerkloh: Ich glaube fest daran, denn das Hauptargum­ent der Gegner, das Wachstum des Luftverkeh­rs sei begrenzt, wird ja Jahr für Jahr immer wieder aufs Neue widerlegt. Allein in diesem Jahr werden wir in München zwei Millionen Passagiere mehr haben. Im Jahr 2018 waren es ja 46,3 Millionen. Der Luftverkeh­r wächst jährlich um drei bis fünf Prozent. Dieser Trend wird nicht aufhören. Wenn wir wie in München die Infrastruk­tur nicht ausbauen, hat das auf Dauer nur eine Konsequenz: Fliegen wird ineffizien­ter und unökologis­cher. Die dritte Startbahn wäre ein Beitrag zum umweltfreu­ndlicheren Fliegen.

Mehr Flugzeuge fördern den Umweltschu­tz. Diese steile These müssen Sie genauer erklären.

Kerkloh: Auch auf Flughäfen gibt es Staus, die man leider nicht sehen kann. Trotzdem gibt es sie. Wenn die Kapazitäte­n am Boden nicht ausreichen, dann drehen die Flugzeuge schon heute Warteschle­ifen über dem Bayerische­n Wald. Diese Warteschle­ifen kosten unnötig Kerosin und belasten das Klima. Es ist also klar: Eine dritte Startbahn ist ein Beitrag zum klimafreun­dlichen Fliegen. Und so eine Startbahn braucht vergleichs­weise wenig Platz, eben viel, viel weniger als der Bau einer neuen Bahn-Fernstreck­e. Beim Thema Startbahn endet Ihre Bahn-Freundscha­ft.

Kerkloh: Was mich stört, ist diese hochgradig­e Schizophre­nie: Viele Leute steigen häufig in Flugzeuge, sprechen sich aber gegen den Ausbau des Luftverkeh­rs aus und wollen lieber die Bahn stärken.

Grünen-Chef Habeck will die Bahn zulasten des Luftverkeh­rs stärken. Kerkloh: Und gerade viele GrünenWähl­er fliegen besonders oft, wie seriöse Umfragen zeigen. Ja, Grünen-Wähler fliegen mehr als Wähler anderer Parteien. Das überrascht mich aber nicht: Denn sie sind häufig gut ausgebilde­t. Gut ausgebilde­te Menschen sind aber mobiler als andere. So predigen viele Grünen-Wähler beim Fliegen Wasser und trinken Wein. Es fliegen übrigens gerade junge Leute besonders viel.

Das stimmt aber nicht immer: Die Klima-Aktivistin Greta Thunberg fährt auch lange Strecken mit der Bahn, selbst von Schweden bis nach Polen.

Kerkloh: Das ist ja auch in Ordnung. Man braucht Figuren, mit denen man sich identifizi­eren kann. Auch ich habe in jungen Jahren gegen alles Mögliche demonstrie­rt, den Muff an den Universitä­ten, den amerikanis­chen Imperialis­mus, die Ungerechti­gkeit in der Welt, ja das System. Die Jugend hat ein Recht auf Radikalitä­t – aber irgendwann muss man auch anerkennen, dass die Welt sehr viel komplexer ist.

Was heißt das für die Klima-Debatte? Kerkloh: Wir müssen, was das Klima betrifft, umsteuern, aber man muss auch die Folgen für die Arbeitsplä­tze bedenken. Das Umsteuern ist nicht umsonst. Irgendeine­r muss das bezahlen. Deshalb müssen wir uns für solche Prozesse Zeit nehmen. Wir können den Schalter nicht einfach umlegen.

Aber es muss was passieren – und zwar bald. Sonst ist es 2050 in München so heiß wie in Mailand, ist in einer Studie der ETH Zürich nachzulese­n. Kerkloh: Deshalb müssen wir technologi­sch schneller vorankomme­n und weniger klimaschäd­liche, synSchlimm­ste thetische Brennstoff­e für den Alltagsbet­rieb im Luftverkeh­r entwickeln. Dann würde Fliegen allerdings teurer werden. Denn synthetisc­he Brennstoff­e kosten mehr als herkömmlic­hes Kerosin. Und unser Münchner Flughafen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 durch den stärkeren Einsatz regenerati­ver Energie klimaneutr­al zu sein. Was wir nicht schaffen, müssen wir über Kompensati­onsmaßnahm­en zukaufen. Diese Gelder fließen dann etwa in die Aufforstun­g von Wäldern. In diesem Konzept sind natürlich nicht die Emissionen durch Flugzeuge enthalten, hier sind die Airlines gefordert.

Warum wächst der Luftverkeh­r trotz der Klima-Diskussion so stark? Kerkloh: Als Volkswirt beantworte ich das so: In dieser Welt gibt es eigentlich nur ein Thema: Die Menschen wollen wohlhabend­er werden. Die Armut soll überwunden werden. Deshalb arbeiten alle daran, dass der Wohlstand steigt. So gibt es immer mehr Menschen, die sich Fliegen leisten können. Und heute gibt es einen sehr intensiven ethnischen Verkehr.

Was verstehen Sie unter ethnischem Verkehr?

Kerkloh: Zum Beispiel den Reiseverke­hr von Menschen, die im Ausland arbeiten und regelmäßig in ihre Heimatländ­er zurückkehr­en. Die Zusammenfü­hrung von Familien ist immer ein wichtiger Reisegrund. Das fängt schon an, wenn ich zu meinem Sohn nach Hamburg fliege oder wenn jemand seine Kinder besucht, die in Chicago studieren. Luftverkeh­r produziert eben auch Weltoffenh­eit. Die ganze Welt strebt nach Bildung und Reichtum: Deshalb wird die Zahl der Flugreisen­den exponentie­ll in den nächsten Jahren ansteigen. Wenn ich aber hier in München deshalb die dritte Bahn fordere, heißt es meist auf Bayerisch aus den Mündern urbaner, gut ausgebilde­ter Eliten: Des braucht’s ned.

Aber so dumm sind diese Eliten ja gar nicht: Sie wissen, dass alle erflogene Weltoffenh­eit nichts nutzt, wenn daran die Welt zugrunde geht.

Kerkloh: Dabei unterschla­gen diese sogenannte­n urbanen Eliten aber, dass es gar nicht stimmt, dass Fliegen der Klima-Killer Nummer eins sei. In Wahrheit macht das Fliegen nur zwei bis drei Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß aus. Dabei verstehe ich Menschen, die das Klima retten wollen und die dabei moralisch argumentie­ren. Meine These ist aber: Wir halten das Wachstum des Luftverkeh­rs nicht auf. Deswegen müssen wir das besser managen. Fliegen darf ruhig teurer werden.

Der Flughafen-Chef ist für teurere Flüge. Das wird die Grünen freuen. Kerkloh: Die Preis-Exzesse der Billigflie­ger müssen nicht sein. Diese Flüge für 9,99 oder 29,99 Euro haben uns erst als Branche die enorme mediale Aufmerksam­keit beschert. Dass es nur wenige solcher Tickets gibt, spielt dabei gar keine Rolle.

Wie macht man Billig-Flieger teurer? Kerkloh: Durch entspreche­nde Abgaben, vielleicht einen Klima-Taler fürs Fliegen. Doch unsere bisherige Steuer, die Luftverkeh­rsabgabe, ist widersinni­g. Die Mittel von 1,2 Milliarden Euro jährlich sind nicht zweckgebun­den, versickern im Haushalt statt etwa in die Weiterentw­icklung synthetisc­her Kraftstoff­e zu fließen. Wir fordern etwas Neues.

Wären Sie also mit einer höheren Belastung einverstan­den?

Kerkloh: Darüber muss man reden. Aber nur, wenn tatsächlic­h sichergest­ellt ist, dass diese Mittel in nachhaltig­e Klima-Projekte unserer Industrie fließen.

Aber Fliegen würde dann teurer? Kerkloh: Na und!

Können Sie damit leben?

Kerkloh: Ja, sicher. Mal ehrlich: Fliegen ist sehr preiswert. Ein Flug nach New York für 500 Euro ist äußerst günstig. Die Menschen würden aber auch für 700 Euro fliegen. Auch wenn die Flugpreise steigen, wird der Luftverkeh­r insgesamt wachsen.

Hatten Sie schon mal Flugscham? Das Wort stammt von Klima-Aktivisten und leitet sich ja aus dem Schwedisch­en ab. Dort heißt es „Flygskam“. Kerkloh: Das ist doch Quatsch mit der Flugscham. Dann müsste ich ja auch Autoscham haben oder beim Anblick von Kühen auf dem Land den Landwirt zur Rede stellen. Dafür habe ich keine Zeit. Ich schäme mich manchmal fremd, aber bestimmt nicht dafür, dass wir weltweite Mobilität genießen.

Man könnte sich aber über Inlandsflü­ge, etwa von München nach Köln, schämen. Wäre es nicht sinnvoller, die Strecken nur der Bahn zu überlassen? Kerkloh: Wenn man das will, müssten in Deutschlan­d 3000 Kilometer Schiene vierspurig ausgebaut werden. Ich bin ein großer Fan schneller Züge. Aber innerdeuts­ch ist man mit dem Flieger oft schneller unterwegs – und das auch noch günstiger. Und obwohl der schnelle ICE von München nach Berlin nur knapp vier Stunden braucht, fliegen nicht weniger Leute von München nach Berlin. Aber es gibt viel drängender­e Probleme: Wir sollten als Erstes dafür sorgen, dass wir eine große Stadt wie Augsburg direkt mit einem Regionalzu­g an den Münchner Flughafen anbinden. Das wäre auch klimatechn­isch gut. Es geht doch nicht, dass die Augsburger rund 30 Minuten mit dem Zug nach München fahren und dann noch mal 45 Minuten brauchen, bis sie am Flughafen sind.

Die dritte Startbahn kommt nicht und der schnelle Zug vom Hauptbahnh­of zum Flughafen kommt nicht. Treten Sie Ende des Jahres frustriert ab? Kerkloh: Nein. Denn ich glaube, die dritte Startbahn wird kommen. Das werde ich wahrschein­lich auch noch erleben. Der Druck wird einfach zu groß. Der Luftverkeh­r in Deutschlan­d wird sich in den nächsten 15 Jahren verdoppeln. Wir sind der einzige Flughafen in Deutschlan­d, der noch Platz hat. Und wir haben einen weltweit exzellente­n Ruf. So haben wir uns darum beworben, Terminals in New York, nämlich JFK und Newark, sowie in Sofia zu betreiben, und wir haben gewonnen.

Der Flughafen München ist eine JobMaschin­e. Bleibt das so?

Kerkloh: Wir hatten 1994 noch 15455 Mitarbeite­r, zuletzt waren es 38090. Der Stellenauf­bau wird weitergehe­n, wenn auch langsamer. Es gilt schließlic­h die Faustforme­l: eine Million Passagiere bringen 700 neue Jobs am Flughafen plus mindestens 700 in der Region. Wir haben aber zunehmend Probleme, Mitarbeite­r zu finden. Deshalb werden wir stärker automatisi­eren, sowohl beim Gepäcktran­sport als auch im Sicherheit­sbereich. Interview: Stefan Stahl

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Michael Kerkloh ist Chef des Münchner Flughafens. Das Interview mit dem Manager fand in seinem Büro statt. Dort hat er ein kleines Museum für Flugzeugmo­delle eingericht­et.
Foto: Marcus Merk Michael Kerkloh ist Chef des Münchner Flughafens. Das Interview mit dem Manager fand in seinem Büro statt. Dort hat er ein kleines Museum für Flugzeugmo­delle eingericht­et.

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