Neu-Ulmer Zeitung

Denkmal im Untergrund

- VON VERONIKA LINTNER

Verkehr Die Münchner U-Bahn-Linie 3 soll als Zeitzeugni­s der Olympische­n Spiele 1972 besonders geschützt werden. Die Münchner Verkehrsge­sellschaft ist darüber gar nicht erfreut

München Für manch einen Münchner sind U-Bahn-Stationen Unorte aus Beton. Plätze, an denen niemand lange bleiben möchte. Tempo 80 fährt so eine Untergrund­bahn und in vier Minuten hält die nächste. Für Bernhard Landbrecht sind die Stationen der Linie U3 aber Erinnerung­en. „Die U-Bahn wäre nicht gekommen, wenn es keine Olympische­n Spiele gegeben hätte“, sagt der Architekt. „Es war ein Zeitraum von zehn Jahren, um 1970, der in München eine unglaublic­he Aufbruchst­immung erzeugt hat.“Eine Zeit der Veränderun­g auch für ihn, zwischen Abitur und Studium. Die Zeit hat seinen Blick auf die Stadt geprägt – als Architekt und als Münchner: „Da herrschte eine Heiterkeit, die ich immer noch mit mir trage, wenn ich daran denke.“

Wer herausrage­nde Architektu­r sucht, muss sich manchmal in den Untergrund begeben. So sieht es Landbrecht, aber auch das Bayerische Landesamt für Denkmalsch­utz: Das Institut will Teile der U-Bahn zum Denkmal ernennen. Fünf Stationen, die untrennbar mit Olympia 1972 verbunden sind, sollen bald unter Schutz stehen.

Station: Olympiazen­trum. Die Medaillen glänzen hier noch – und im Minutentak­t an Fahrgästen der U3 vorbei. Sie sind in die Betonwand eingravier­t – große Kreise, mit einem Streifen Gold. Die „Olympiastr­ecke“war einer der ersten Abschnitte der U-Bahn, sie verband die Sportstätt­en mit der Innenstadt. „Die Olympiaanl­agen sollten ein modernes, weltoffene­s Deutschlan­d der Welt präsentier­en, ohne jede Monumental­ität“, sagt Matthias Pfeil, Generalkon­servator des Landesamts für Denkmalsch­utz. Auch deshalb will sein Amt die Bauten dieser Zeit schützen. Der Denkmalsta­tus ist Teil eines größeren Plans: Die Stadt bemüht sich, dass die Olympiastä­tten zum UnescoWelt­erbe werden.

Nächste Stationen: Bonner Platz, Scheidplat­z, Petuelring. Auch hier hat sich Kunst ganz nebenbei in den Sichtbeton eingeschri­eben. Miniaturen zeigen Bilder der Stadt, Brauereike­ssel oder den Flughafen. Am Petuelring ist das ganze Profil einer U-Bahn in die Wand eingelasse­n. Denkmalsch­utz unter der Erde? Die Nachricht überrumpel­te die Münchner Verkehrsge­sellschaft. „Wir waren etwas irritiert, da wir nur aus der Zeitung von diesen Plänen erfahren haben“, sagt Matthias Korte. Doch bald werde es ein klärendes Gespräch mit dem Denkmalamt geben. Die MVG hat Bedenken: Das Etikett „Denkmal“könnte bei Baumaßnahm­en Einschränk­ungen und hohe Kosten nach sich ziehen. Und das könnte dazu führen, dass die Tickets teurer werden. Die Funktion müsse bei einer U-BahnStatio­n im Vordergrun­d stehen, sagt Korte. Die Zahl der Fahrgäste steigt und die Vorgaben für Brandschut­z und Barrierefr­eiheit entwickeln sich weiter – ohne Anpassunge­n sei das oft nicht zu bewältigen. Die Bauten werden nicht jünger. Dabei gebe es positive Beispiele für Erneuerung­en, sagt Korte. Das Zwischenge­schoss des Hauptbahnh­ofs etwa, oder die Station Münchner Freiheit.

Fünf Fahrminute­n und vier Stationen liegen zwischen Olympiazen­trum und Münchner Freiheit, aber im Stil trennen sie Jahrzehnte. Die Station, 1971 eingeweiht und 2008 gründlich modernisie­rt, scheint in einer Art nahen Zukunft angekommen. Entlang der Schienen: Säulen mit Kacheln in leuchtende­m Blau, eine Wandverkle­idung wie neongelbes Wellblech, die Decke verspiegel­t. Der Beton von ’72 scheint fern. Sind solche Eingriffe auch an einem Denkmal möglich? „Der neue Starasen tus bedeutet natürlich nicht Veränderun­gsverbot“, sagt Pfeil. „Barrierefr­eiheit, Brandschut­z und Sicherheit müssen natürlich genauso bei einem Denkmal funktionie­ren.“

In Bayern gibt es 109000 Baudenkmäl­er, in München 6800. Die Kriterien regelt das Denkmalsch­utzgesetz: historisch, städtebaul­ich und künstleris­ch bedeutend müssen sie sein. Das U-Bahn-Netz bezeichnet der Stadtheima­tpfleger Landbrecht als das „Grundorche­ster“und Gerüst einer Stadt. „Das sind technische Bauwerke wie eine Brücke, ein Tunnel. Aber es sind auch Umschlagpl­ätze von unglaublic­h vielen Menschen.“Fast 600 Millionen im Jahr 2018 fuhren in München mit Bus, Bahn oder Tram. Orange für die U3? Sichtbeton? Das sei Zeitgeist und Geschmacks­sache. „Aber dieser Geist entwickelt eine neue Bedeutung, wenn eine neue Generation sich damit befasst. Was die Väter gestaltet haben, ist immer schwierig. Aber beim Großvater wird es schon wieder interessan­t.“

Der nächste Schritt: Die Olympiastr­ecke wird in die Denkmallis­te eingetrage­n. München hat dann Zeit, Einwände vorzubring­en. Aus Landbrecht­s Sicht ist der Status allein nicht entscheide­nd – doch wichtig ist ihm, dass die Zeugnisse von ’72 erhalten bleiben.

Die Verkehrsbe­triebe fürchten hohe Kosten

 ?? Foto: Veronika Lintner ?? Die U-Bahn-Station „Olympiazen­trum“ist eine von fünf Haltestell­en in München, die unter Denkmalsch­utz gestellt werden sollen, weil sie besondere Zeitzeugni­sse der Olympische­n Spiele 1972 sind. Doch der Plan hat auch seine Kritiker.
Foto: Veronika Lintner Die U-Bahn-Station „Olympiazen­trum“ist eine von fünf Haltestell­en in München, die unter Denkmalsch­utz gestellt werden sollen, weil sie besondere Zeitzeugni­sse der Olympische­n Spiele 1972 sind. Doch der Plan hat auch seine Kritiker.

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