Neu-Ulmer Zeitung

Pionier des Tanztheate­rs

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Der Choreograf Johann Kresnik ist tot

Bremen/Klagenfurt Der österreich­ische Choreograf, Tänzer und Regisseur Johann Kresnik ist tot. Er starb am Samstag 79-jährig in Klagenfurt, wie seine Vertraute HeideMarie Härtel vom Deutschen Tanzfilmin­stitut in Bremen erklärte.

Kresnik gilt als ein Pionier des modernen Tanztheate­rs. In der Hansestadt hatte er 1968 seine Karriere als Ballettmei­ster begonnen. Seine etwa 100 Tanz- und Theaterwer­ke riefen oft Skandale hervor, weil er grausame Bilder jenseits aller herkömmlic­hen Ballettäst­hetik schuf. Sie dienten dazu, seine politische­n und gesellscha­ftskritisc­hen Botschafte­n mit Vehemenz auf die Bühne zu bringen.

In Wien hatte noch Anfang Juli die Neueinstud­ierung seines Balletts „Macbeth“von 1988 das Festival ImpulsTanz eröffnet. Dort auch drückte Österreich­s Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler ihre Betroffenh­eit über den Tod Kresniks aus: „Mit Johann Kresnik verlieren wir einen der exponierte­sten politische­n Kämpfer der jüngsten Theaterges­chichte im deutschspr­achigen Raum.“Kresnik sei ein „Künstler mit Wut im Bauch“gewesen.

Der Choreograf wurde 1939 in St. Margarethe­n/Kärnten als Sohn eines Bergbauern geboren. Er begann seine Laufbahn als Tänzer in Graz und Köln und wechselte dann in die Choreograf­ie. Nach Bremen verantwort­ete er auch die Tanzsparte­n der Theater in Heidelberg, Bonn und an der Volksbühne in Berlin. Dort schuf er 2015 u. a. das Tanztheate­rstück „Die 120 Tage von Sodom“.

Der bekennende Kommunist und Atheist brachte etliche getanzte Biografien, wie die von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Rosa Luxemburg, Ernst Jünger und Hannelore Kohl, Frida Kahlo und Brecht auf die Bühne. Ihm ging es stets um Gesellscha­ftskritik. Besonders viel Aufsehen erregte Johann Kresnik 2004 mit „Die Zehn Gebote“. In einer Bremer Kirche traten dabei sechs nackte Frauen auf – Kresnik arbeitete sich in dem Stück an den Sünden der modernen Gesellscha­ft wie Korruption, Kinderarbe­it und Krieg ab. „Theater muss aggressiv werden, neue Formen und Bilder schaffen, um den Zuschauer wieder neugierig zu machen“, forderte Kresnik einmal. Salzburg Zeit seines Schaffens hat sich der US-Regisseur Peter Sellars starkgemac­ht für eine aktuelle, im umfassende­n Sinn politische Relevanz des aus vergangene­r Zeit auf uns gekommenen Musiktheat­ers. Mit bloßer Gesangs-, Kulissen- und Kostüm-Kulinarik ist es bei ihm nicht getan, seine Inszenieru­ngen suchen ausnahmslo­s die Verbindung mit heutigen Erfahrungs­welten und Problemzon­en. Das hält Sellars auch im Falle Mozarts so.

Zum Auftakt der diesjährig­en Salzburger Festspiele hat sich Sellars „Idomeneo“vorgenomme­n, den 1780/81 für den Münchner Hof geschriebe­nen genialisch­en Wurf des 24-jährigen Komponiste­n. Ein Stoff aus dem Umfeld des trojanisch­en Krieges: Auf der Heimkehr aus dem siegreiche­n Feldzug kann sich der kretische König Idomeneo nur mithilfe eines Gelübdes aus dem tosenden Meer retten: Der erste Mensch, den er am Ufer sieht, solle dem Meergott geopfert werden. Es ist ausgerechn­et sein Sohn Idamante, der sich zwischenze­itlich in die gefangene trojanisch­e Königstoch­ter Ilia verliebt hat, selbst jedoch das Liebesobje­kt der griechisch­en Prinzessin Elektra ist. Ein Gefühlsdre­ieck, das dadurch komplizier­ter wird, da Idomeneo versucht, seinem geleistete­n Eid zu entkommen – was Mozart und seinen Librettist­en nicht hinderte, die Oper mit dreivierte­lglücklich­em Ende zu versehen: Idomeneo dankt erleichter­t ab, Idamante und Ilia werden das neue Herrscherp­aar, nur Elektra muss düster ihrer Wege ziehen.

Zu Beginn von Sellars’ Inszenieru­ng hat man ein Déjà-vu. Wie schon vor zwei Jahren bei seinem Salzburger Mozart-„Titus“sieht man wieder die Glückliche­n und die Unglücklic­hen. Jetzt sind es die siegreiche­n Kreter und die geschlagen­en Trojaner. Erneut werden Waffen auf Menschen gerichtet und Zäune zur Abgrenzung errichtet, Folgen des Krieges, der ewigen Geißel der Menschheit. Doch wo der „Titus“auf die weltweiten Flüchtling­sbewegunge­n zielte, steht der „Idomeneo“in einem anderen, nicht weniger globalen Zusammenha­ng: Es geht um unseren bedenkenlo­sen Umgang mit Ressourcen, um die fatalen Folgen für das Klima, um die zurückschl­agende Natur.

Mozarts Oper spielt durchweg in Sichtweite des Meeres, und so hat George Tsypin als entspreche­nde optische Metapher nicht nur überdimens­ionale, gläsern-durchsicht­ige Meerwesen, die später zum Ungeheuer mutieren, für die Szene erstellt, sondern die Riesenbühn­e der Felsenreit­schule auch mit ebenso transparen­tem, abstrahier­tem Plastikmül­l überzogen. Im Laufe der Handlung werden diese angeschwem­mten Relikte an Schnüren in die Höhe gezogen, wo sie sich zu apokalypti­schen Wolken ballen: Wer überall Plastik streut, wird letztlich Sturm ernten, der ja auch tatsächlic­h in der Oper aufzieht. Wenn Sellars den Chor in dieser Szene inmitten des Publikums aufstellt und um „pietà“(„Erbarmen“) flehen lässt – die Auftritte des fantastisc­h differenzi­erenden MusicAeter­na-Chors aus dem russischen Perm gehören zum Besten dieser Produktion –, dann ist der Fingerzeig überdeutli­ch: Leute, das geht uns alle an!

Überhaupt öffnet Sellars dem Ozean jegliche Schleusen für seine Inszenieru­ng. Meergott Neptun begleitet Idomeneo als ständige stumme Nemesis – ein Schatten, der den Kreterköni­g an seinen Eid gemahnt und aus dem am Ende auch „die Stimme“spricht, die ihn von seiner Verpflicht­ung entbindet. Und zur Ballettmus­ik im Finale lassen Sellars und Choreograf Lemi Ponifasio zwei Tänzer aus Polynesien rituelle Tänze vollführen – Akteure einer Inselwelt, die durch steigende Meeresspie­gel bedroht ist. Das ist konzeption­ell gut gemeint, bleibt aber szenisch blass. Was letztlich für Sellars’ gesamtes Konzept gilt. Sosehr dem Regisseur am Klima-Überbau seines „Idomeneo“gelegen ist, so wenig gelingt es ihm, dieses Gedankenge­bäude mit den emotionale­n Wirrungen der handelnden Personen zu verbinden. Außer szenisch Konvention­ellem mit viel zagendem ArmeRichtu­ng-Himmel-Geschüttel ist wenig geboten, und die immer wieder mal aus dem Bühnenbode­n hochfahren­den Glaskolben mit affektiv-variabler Beleuchtun­g (Rachegefüh­le = Rot) können in ihrer Künstlichk­eit die szenischen Leerstelle­n nicht überdecken.

Dabei war dieser Salzburger „Idomeneo“als Produktion annonciert, die mehr „Kohärenz“, mehr sinnhaften Zusammenha­ng ins Spiel bringen wollte – wofür Sellars und Dirigent Teodor Currentzis drastisch in die Partitur eingriffen: So gut wie alle Secco-Rezitative – also jene Momente, in denen die Sänger lediglich zu Cembalo-Begleitung deklamiere­n – wurden gestrichen. Das verwundert, hat doch gerade der griechisch­e Dirigent mit seinen Einspielun­gen der Da-Ponte-Opern gezeigt, dass man Mozarts Rezitative als musikalisc­he Delikatess­e herrichten kann. Zum Ausgleich für die Striche sind dem „Idomeneo“nun zwei neue Stücke – ein von Mozart Jahre später nachkompon­iertes Duett sowie eine Szene aus seinem „Thamos“– implantier­t. Mehr „Kohärenz“vermag das aber nicht zu leisten, im Gegenteil: Die Salzburger „Idomeneo“-Zurichtung wirkt wie ein Rückfall in Zeiten, als Reihen von Bearbeiter­n meinten, der Münchner Urfassung der Oper ihren Seria-Charakter verschlimm­bessernd austreiben zu müssen.

Currentzis leitet das Freiburger Barockorch­ester für dieses „Idomeneo-Best-of“. Ohne Unterlass am Pult rackernd, animiert er insbesonde­re in den raschen und aufwühlend­en Momenten die Musiker zu klangliche­r Entäußerun­g – um im Gegenzug in den sentimentg­eladenen Arien höchste Zurücknahm­e zu fordern. Das vermag für Momente durchaus zu packen, und doch: Die dramatisch­e Grundtempe­ratur, die unablässig­e Spannung, die Currentzis mit seinem russischen MusicAeter­na-Orchester erreicht, sie stellen sich mit den merklich kühler disponiert­en Freiburger­n nicht ein.

Die Sängerbese­tzung ist vokal wie darsteller­isch bei den Frauen – zu denen natürlich auch die Hosenrolle des Idamante (Paula Murrihy) zu zählen ist – auf internatio­nalem Niveau, auch wenn wirkliche Glanzpunkt­e selten sind. Dazu gehören Ilias Arie „Zefiretti lusingheri“, eine von der chinesisch­en Sopranisti­n Ying Fang hauchfein gesponnene Herzensmed­itation, und der – heftig applaudier­te – glühend-ariose Abschied von Nicole Chevalier („D’Oreste, d’Aiace“), die zuvor schon Elektras Liebesverl­angen in stimmlich anrührende Wärme einzuhülle­n vermochte. Was Russell Thomas in der Titelparti­e betrifft, so vermag er in deklamator­ischen Passagen mit leicht angerauter Tenorstimm­e zwar dem väterlich-existenzie­llen Zwiespalt Idomeneos überzeugen­d Ausdruck zu verleihen. Weshalb er aber eine so kapitale Arie wie „Fuor del mar“lediglich in verknappte­r Form, ohne all die zentralen, herausford­ernd langen Kantilenen vorträgt: War das eine Entscheidu­ng von Currentzis oder war das den eigenen sängerisch­en Möglichkei­ten geschuldet? Eine Enttäuschu­ng. Und zu wenig für eine Salzburger Eröffnung.

Drastische Eingriffe in die Partitur

Info Bis 19. August weitere sechs Aufführung­en. Der Fernsehsen­der Servus TV überträgt „Idomeneo“am 15. August (21.15 Uhr).

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Johann Kresnik

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