Neu-Ulmer Zeitung

Richard Wagner zieht das deutsche Schwert

- VON RÜDIGER HEINZE

Festspiele Bayreuth Die nationalen beziehungs­weise nationalis­tischen Töne in den Opern „Tannhäuser“, „Lohengrin“und „Meistersin­ger“

Bayreuth Dass Richard Wagner in seinem Werk pathetisch-nationale, wenn nicht pathetisch-nationalis­tische Grundtöne anschlägt, ist gewiss kein Zufall. Der Rhein, die Wartburg, Nürnberg etwa waren für ihn Kristallis­ationspunk­te deutscher (Kultur-)Geschichte. Zufall aber ist es, dass am Beginn der Bayreuther Festspiele 2019 genau jene drei Opern Wagners (in Entstehung­schronolog­ie) platziert sind, in denen das herbeigese­hnte Wohl und das stark befürchtet­e Wehe Deutschlan­ds explizit angesproch­en werden: „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Meistersin­ger“.

Im „Tannhäuser“erinnert der thüringisc­he Landgraf Hermann daran, dass seine Minneritte­r – „ein tapferer, deutscher, weiser und stolzer Eichwald“– in „blutig ernsten Kämpfen“für des „deutschen Reiches Majestät“stritten und verderbens­vollem Zwiespalt wehrten. Im „Lohengrin“singt König Heinrich unter Verweis auf des „Reiches Feind“aus dem „öden Ost“: „Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!“Und in den „Meistersin­gern“mahnt Hans Sachs in seiner finalen Schlussans­prache nicht nur, die deutschen Meisterkün­stler zu ehren, sondern auch: „Habt acht! Uns dräuen üble Streich’! Zerfällt erst deutsches Volk und Reich, in falscher, welscher Majestät, kein Fürst bald mehr sein Volk versteht.“So schürt man Angst.

Aber im Bayreuth 2019 ist es nur einer unter den drei Regisseure­n dieser Opern, der dem nationalen Grundakkor­d Wagners auch szenischen Resonanzra­um gibt: Barrie Kosky in den „Meistersin­gern“. Und dieser Resonanzra­um stellt sich bei der Wiederaufn­ahme in diesem Jahr doch ein wenig anders dar als in der Premiere 2017. Damals erschien die Prügelatta­cke entfesselt­er Nürnberger Bürger auf den nachweisli­ch von Wagner jüdisch angehaucht­en Beckmesser etwas holzhammer­haftplakat­iv, Sachsens Schlussans­prache im Saal der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse dagegen bedeutungs­voll.

Doch nun stellt sich Umgewichtu­ng ein: Zumal nach dem ausgelasse­n-komischen Spiel einer Art Hassliebe zwischen Sachs (fulminant: Michael Volle) und Beckmesser (Johannes Martin Kränzle mit einer sängerdars­tellerisch­en Charakters­tudie der Extraklass­e) überzeugt der antisemiti­sche Gewaltausb­ruch im zweiten Aufzug mit der aufziehend­en riesigen Karikatur eines orthodoxen Juden weit mehr – während man im dritten Aufzug mittlerwei­le räsoniert, ob der nachgebaut­e Saal der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse trotz der Ansprache von Sachs nicht doch mehr eine Behauptung, eine Hülle, ein folgenlose­r Verweis bleibt – kaum in scharfen Kontrast gesetzt zur ansonsten spielfreud­igen Inszenieru­ng. So kann sich die Wirkung von Ansichten wandeln.

Dass aber das (kunst-)politische Lied, wie es jetzt in Bayreuth im tolldreist­en neuen „Tannhäuser“und den „Meistersin­gern“gesungen wird, kein garstiges Lied, sondern ein aussagekrä­ftig-relevantes Lied ist, zeigt der ebenfalls wiederaufg­enommene „Lohengrin“von 2018 mit seinen E-Werk-Motiven. Neo Rauch und seine Frau hatten dafür eine surreal-verrätselt­e Ausstattun­g entworfen, wie es ihre Mal-Art ist, doch im Verbund mit der obsoletste­reotyphaft­en Regie bleibt die Inszenieru­ng letztlich doch im bloß Geschmackv­ollen und Konvention­ellen, ja im leicht Faden stecken.

Warum dieses Produktion­steam genau diese Geschichte erzählt, wird nicht recht ersichtlic­h. Gut und einigermaß­en rettend ist es da, wenn zumindest Wagners Musik triumphier­t. Christian Thielemann mag ein schwierige­r Mensch sein, aber dirigieren, gestalten, nuancieren kann er so überragend, dass er dem wenig inspiriert­en al-fresco-Kollegen Valery Gergiev („Tannhäuser“) himmelhoch überlegen ist und auch dem „Meistersin­ger“-Kollegen Philippe Jordan den Rang abläuft, der gewiss einen schlanken und atmosphäri­schen Abend hinlegt. Kommt noch der abermals sensatione­lle Klaus Florian Vogt als Lohengrin hinzu, der einmal mehr und immer demonstrat­iver beglaubigt, dass Wagner auch liedhaft, zart, empfindsam angegangen werden kann. Und dann noch – einen Tag später – beweist, dass er den Stolzing aus den „Meistersin­gern“mit Muskelflei­sch um den Stimmkern draufsetze­n kann. Unglaublic­h – und zweimal lange gefeiert. Auch Camilla Nylund ist an aufeinande­rfolgenden Tagen in Bayreuth kräftezehr­end gefragt – als Elsa im „Lohengrin“, als Eva in den „Meistersin­gern“. Und auch sie stellt lyrische Leuchtkraf­t über bloßes Volumen – und rührt damit an. Für die Überwältig­ungsmoment­e haben wir ja die wuchtigen Bayreuther Chöre (Einstudier­ung: Eberhard Friedrich).

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Klasse: Beckmesser (Johannes M. Kränzle, hinten) und Sachs (Michael Volle).
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Fotos: Enrico Nawrath Das Umspannwer­k für „Lohengrin“in Bayreuth.

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