Neu-Ulmer Zeitung

Ein Jahrhunder­t-Talent wie Merckx

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Radsport Jünger als Bernal war bisher kein Tour-de-France-Sieger. Der Kolumbiane­r kann eine neue Ära einleiten. Dabei hatte der 22-Jährige seine Karriere beendet, bevor sie richtig begann

Paris Eddy Merckx ist hellauf begeistert, Bernard Hinault prophezeit eine neue Ära: Für die Größten des Radsports ist klar, dass sich dieser kleine Kletterer Egan Bernal irgendwann zu ihrem elitären Kreis bei der Tour de France gesellen oder die Fünf-Sterne-Champions sogar überholen wird. „Es gibt Eddy Merckx, Jacques Anquetil, mich und Miguel Indurain. Aber wenn man bedenkt, dass Bernal erst 22 Jahre alt ist, dann könnte er es weiterbrin­gen als jeder von uns“, schwärmte Hinault. So weit ist es noch nicht. Historisch­es hat Bernal trotzdem geschafft.

Als erster Kolumbiane­r hat das 60-Kilogramm-Leichtgewi­cht das Gelbe Trikot nach Paris gebracht. Und in der langen Geschichte der Rundfahrt war seit 1935 kein Gesamtsieg­er jünger als Bernal, der zum Tour-Finale exakt 22 Jahre und 196 Tage zählte. „Kolumbien hatte großartige Fahrer, aber wir haben nie die Tour gewonnen. Ich weiß nicht warum“, sagte Bernal, nachdem er in Val Thorens am Samstag das letzte Hindernis auf seiner über 3000 Kilometer langen Reise durch Frankreich bewältigt „Ich bin sehr stolz. Ich kann es kaum erwarten, das Trikot nach Kolumbien zu bringen.“

Genauer gesagt nach Zipaquirá, wo Bernal unweit der Hauptstadt Bogotá entfernt in 2650 Metern Höhe aufgewachs­en ist. In der Nähe lebt er mit seiner Verlobten Xiomy, die er zu Juniorenze­iten im Mountainbi­ke-Nationalte­am kennengele­rnt hat. Dort fährt er dann nach Pacho, in den Geburtsort seiner Mutter Florites, auf 3600 Metern über dem Meeresspie­gel. 23 Kilometer ist der Anstieg lang, im Schnitt 7,5 Prozent. Bernal schafft es unter einer Stunde – stets begleitet von Vater German und einem Polizisten auf dem Motorrad, weil der Verkehr nicht ungefährli­ch ist.

Dabei kennt Bernal eigentlich keine Angst. „Ich liebe das Adrenalin“, sagt er. Von schweren Stürzen lässt er sich nicht beeindruck­en. Im März 2018 zog er sich bei der Katalonien-Rundfahrt Brüche an Schulhat. terblatt und Schlüsselb­ein zu, fünf Monate später erlitt er beim Rennen in San Sebastián eine leichte Hirnblutun­g und schlug sich einige Zähne aus. Schließlic­h platzte im Mai sein Debüt beim Giro d’Italia, nachdem er einen Schlüsselb­einbruch erlitt. Er kam aber immer wieder in Rekordzeit zurück. Vor allem der Ausfall für den Giro erwies sich für Bernal im Nachhinein als glückliche Fügung. „Ich wäre nicht in dieser Position, wenn ich den Giro gefahren wäre“, betonte Bernal.

Das Schicksal positiv beeinfluss­t hat auch Mountainbi­ke-Trainer Pablo Mazuera. Hätte der Coach den Radstar vor fünf Jahren nicht überredet, seine Karriere fortzusetz­en, wäre dem Radsport womöglich ein Jahrhunder­ttalent verwehrt geblieben. Bernal hatte bereits angefangen, Journalism­us zu studieren.

So trat Bernal weiter in die Pedale, ging mit 19 Jahren nach Italien zum zweitklass­igen Team Androni Giocattoli und gewann die prestigetr­ächtige Nachwuchsr­undfahrt Tour de l’Avenir. Ineos-Teamchef Dave Brailsford wurde sogleich auf Bernal aufmerksam und stattete ihn mit einem Fünfjahres­vertrag aus, was eigentlich total unüblich ist. Bei Ineos sind sie seit seiner Ankunft schwer beeindruck­t. „Er ist geboren, um schnell zu fahren. Er hat eine großartige Zukunft vor sich“, sagt der entthronte Champion und Zweitplatz­ierte Geraint Thomas.

Stefan Tabeling und Patrick Reichardt, dpa REGIONALLI­GA, MÄNNER

 ?? Foto: Yorick Jansens, dpa ?? Küsschen links, Küsschen rechts. Erst in der vorletzten Etappe holte sich Egan Bernal das Gelbe Trikot. Als es um den Tour-de-France-Gesamtsieg ging, zeigte der 22-jährige Kolumbiane­r seine außergewöh­nliche Klasse.
Foto: Yorick Jansens, dpa Küsschen links, Küsschen rechts. Erst in der vorletzten Etappe holte sich Egan Bernal das Gelbe Trikot. Als es um den Tour-de-France-Gesamtsieg ging, zeigte der 22-jährige Kolumbiane­r seine außergewöh­nliche Klasse.

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