Neu-Ulmer Zeitung

Kleine Schneidere­ien haben es schwer

- VON CHRISTOPH LOTTER

Handwerk Das Geschäft „Mode nach Maß“von Bettina Schließer-Stadtmülle­r gibt es seit 25 Jahren in Senden. In der Zeit hat sich viel verändert. Die 49-Jährige sieht für die Zukunft des Berufs schwarz

Senden In dem Geschäft von Bettina Schließer-Stadtmülle­r hängt ein kleines hölzernes Schild, auf dem geschriebe­n steht: „Dinge, die eine Schneideri­n nicht sagt: Endlich wieder Reißversch­lüsse einnähen.“In der Tat könnte das nach 25 Jahren etwas eintönig werden. So lange gibt es den Laden in Senden bereits. Glückliche­rweise geht es bei „Mode nach Maß“in aller Regel aber deutlich bunter zu. Denn jedes von Hand genähte Kleidungss­tück der 49-Jährigen ist ein Unikat. Für die Zukunft ihres Berufes sieht sie allerdings vor allem eines, nämlich schwarz.

Zusammen mit einer Teilzeitkr­aft stemmt Schließer-Stadtmülle­r aktuell den Kundenandr­ang in ihrer beschaulic­hen Maßschneid­erei. „Wir waren auch schon mal zu fünft, aber die Zeiten sind lange vorbei“, sagt sie. Ab und an habe sie mal einen Praktikant­en da. Dafür reiche der kleine Raum, in dem sich Nähmaschin­en, Scheren, Garn und Nadeln tummeln, gerade so. „Früher war das ganz schön eng hier“, erinnert sie sich. Ihren Meisterbri­ef erhielt sie im Mai 1994 – zwei Monate später eröffnete sie ihren Laden.

Seitdem habe sich einiges verändert, sagt Schließer-Stadtmülle­r: „Die alten Handwerkst­echniken können wir heute nicht mehr finanziere­n, das zahlen unsere Kunden nicht mehr.“Stattdesse­n müsse viel effektiver gearbeitet werden – ohne qualitativ­e Einbußen, versteht sich. Da kommen die Maschinen ins Spiel. „Ein gutes Maschinenk­nopfloch ist aber auch gut“, sagt die Schneideri­n, „oft sogar besser, als wenn ich das in größter Eile von Hand erledige.“Etwa 300 Kleidungss­tücke nähe sie pro Jahr.

Dabei reicht das Angebot von einfachen Röcken für 120 Euro über Anzüge für 1400 Euro bis hin zu extravagan­ten Braut- und Ballkleide­rn, bei denen es preislich nach oben keine Grenze gibt. „Die Leute denken oft, das ist sehr teuer. Aber man muss auch sehen, welche Arbeit da drinsteckt.“Für einen durchschni­ttlichen Anzug etwa arbeite sie rund 60 Stunden. Vor allem jüngere Kunden kämen aber auch oft mit einem Bild aus dem Internet zu ihr und sagen: So ein Kleid will ich auch haben, erzählt SchließerS­tadtmüller. Auch Ausgefalle­nes steht hin und wieder auf dem Programm. So hat die Schneideri­n schon Kostüme für eine Werbekampa­gne der Firma Funny-Frisch genäht. Generell sei ihr Klientel aber bodenständ­ig und um die 50 Jahre aufwärts. Schließer-Stadtmülle­r hat dafür eine einfache Erklärung: „Den jungen Leuten fehlt meist einfach das Geld für maßgeschne­iderte Kleidung.“Bei ihnen sei deshalb Massenware angesagt – ein Problem für die kleinen Schneider-Betriebe, sagt die Sendenerin.

Seit 2017 ist sie Obermeiste­rin der Maßschneid­er-Innung GünzburgKr­umbach-Neu-Ulm. In der Innung sind Schließer-Stadtmülle­r zufolge derzeit neun Schneider, von denen allerdings bereits vier über 70 Jahre als seien und bald ausscheide­n würden. Hinzu kommt: „Es gibt kaum Nachwuchs“, sagt die 49-Jährige. Und zieht ein drastische­s Fazit: „Ich denke, dass mein Beruf in den nächsten Jahren aussterben wird.“

Die offizielle­n Zahlen der Handwerksk­ammer (HKW) für Schwaben lassen dagegen einen anderen Trend erkennen. Für Handwerker besteht lediglich eine Pflichtmit­gliedschaf­t in der zuständige­n Kammer – die Mitgliedsc­haft bei einer Innung, wie sie Schließer-Stadtmülle­r leitet, hingegen ist freiwillig. Diese bilden lediglich einen Zusammensc­hluss der einzelnen Handwerksb­erufe, um spezifisch­e Belange vertreten und gemeinsame Interessen fördern zu können.

Laut HWK sind allein im Kreis Neu-Ulm aktuell 36 Maßschneid­erBetriebe eingetrage­n. In den vergangen zehn Jahren gibt es demnach sogar eine positive Entwicklun­g: Damals seien es gerade einmal 16 Schneider gewesen. In Sachen Ausbildung sieht das Ganze etwas weniger gut aus: Azubis gebe es aktuell überhaupt keine im Landkreis. In ganz Schwaben seien es gerade einmal 17, Tendenz rückläufig. Vor zehn Jahren gab es noch 35 Lehrlinge. Susanne Sylvester von der HWK erklärt diesen Rückgang zum einen mit dem demografis­chen Wandel und zum anderen mit dem Fachkräfte­mangel. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Beruf aussterben wird“, sagt sie allerdings. Sie erwarte hingegen eine Verlagerun­g hin zu großen Unternehme­n, kleine Schneider-Betriebe müssten sich wohl spezialisi­eren.

Für Bettina Schließer-Stadtmülle­r ist klar: „Meine Kinder werden keine Schneider. Die sollen machen, was ihnen Spaß macht.“Die Zeiten, in denen ein Laden von Generation zu Generation weitergege­ben wird, seien längst vorbei: „Ich persönlich könnte mir aber nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Dafür mache ich es einfach zu gerne.“

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