Bairisch für den Weltfrieden
Was wäre die Weltgeschichte nur ohne Missverständnisse? Stellen Sie sich vor, Ödipus hätte gewusst, wer seine Eltern sind. Er hätte kaum seinen Vater getötet, seine Mutter geheiratet und mit ihr vier Kinder gezeugt. Die griechische Mythologie wäre eine Sage und Sigmund Freud eine Theorie ärmer. Stellen Sie sich vor, Romeo hätte erkannt, dass seine Julia nur schläft. Sie hätten ein gewöhnlichglückliches Leben geführt und Shakespeare um die berühmteste aller Liebesgeschichten beraubt. Oder stellen Sie sich vor, Schabowski hätte bei Honecker nachgefragt, was es denn genau mit dieser Reisefreiheit auf sich hat...
Jüngst wurde nun auch das Leben eines Elfjährigen durch ein Missverständnis geprägt. Der oberbayerische Bub sprach das „R“nämlich so amerikanisch aus, dass es seiner Lehrerin spanisch vorkam. Weil die Frau dachte, hier handele es sich um einen Sprachfehler, trieb sie dem Kind das „R“alsbald aus. Sie wusste nicht, dass es sich dabei um eine Besonderheit des sogenannten Isarwinkler Dialekts handelte.
Was hätte der Bub nur alles erreichen können, wäre ihm seine Mundart nicht genommen worden? Er wäre dank seines amerikanischen Slangs der deutsche Schauspieler in Hollywood geworden, der die Amis endlich Til Schweiger vergessen lässt. Als Filmstar wäre er in die Politik gegangen und hätte es im österreichisch-erprobten Kalifornien zum ersten bayerischen Gouverneur gebracht. Und später sogar bis ins Weiße Haus. Als Präsident hätte er sich der heroischen Aufgabe verpflichtet, die bayerische Lebensart – zum Beispiel Fingerhakeln als erstes Mittel der Konfliktlösung – in die Welt hinauszutragen und sie zu einem besseren Ort zu machen.
Doch leider, leider ist die Weltgeschichte voller Missverständnisse. Das „R“ist weg – und statt Fingerhakeln setzen wir weiterhin auf Raketenrasseln.