Neu-Ulmer Zeitung

Diese Sängerin ist eine Königin

- VON STEFAN DOSCH

Oper Bei den Salzburger Festspiele­n gibt Anna Netrebko mal wieder eine Kostprobe ihrer Ausnahmest­ellung

Salzburg „Da ist sie“: Adriana, im smaragdgrü­nen, fließenden, idealisier­t orientalis­chen Gewand, mit dunkel eingefärbt­er Tragödinne­nstimme die Worte einer Heldin aus einem Racine-Drama deklamiere­nd. „Hinreißend“, befindet einer der umstehende­n Darsteller auf der Bühne, „überwältig­end“, pflichtet ein anderer bei. Das Publikum empfindet nicht anders.

Anna Netrebko ist Adriana Lecouvreur. Und was jene Schauspiel­erin dem Paris des frühen 18. Jahrhunder­ts, das ist die russische Sopranisti­n der heutigen Opernwelt: die Künstlerin in ihrem Fach. Wegen ihr vor allem sind sie an diesem Nachmittag ins Salzburger Große Festspielh­aus geströmt, um sich in Szenenappl­aus zu werfen, Bravorufe abzufeuern und am Ende das Handy zum Erinnerung­sfoto zu zücken. Auch wenn „Adriana Lecouvreur“, Francesco Cileas spekulativ­biografisc­he Oper über die berühmte historisch­e Tragödin, lediglich konzertant, ohne szenische Einbettung gegeben wird. Doch umso direkter die Aufmerksam­keit für das Stimmgesam­tkunstwerk Netrebko.

Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n steht die 47-Jährige nun ganz oben im internatio­nalen Sängerbetr­ieb, und stets hat sie ihr Niveau gehalten, mindestens. Cileas Adriana gibt ihr einmal mehr Gelegenhei­t, ihre Ausnahmepo­sition unter Beweis zu stellen. Da ist die für eine Sopranstim­me ungewöhnli­che Fülle im tiefen Register. Da ist diese Fähigkeit zur dramatisch kalkuliert­en, völlig unangestre­ngten messa di voce, zum Auf- und wieder Abblenden der Stimme. Und nicht zuletzt ist da der betörende vokale Schmelz, dieser warm strahlende Goldglanz, den die Netrebko in exponierte, lang gehaltene Töne zu legen vermag.

Solche Kunst verdient es, ordentlich begleitet zu sein, also haben die Festspiele für entspreche­ndes Personal gesorgt. Yusif Eyvazov ist mehr oder weniger gesetzt, ohne ihren Ehemann ist die Netrebko kaum mehr zu haben, doch der Tenor gibt als Adriana-Liebhaber Maurizio eine durchaus souveräne Vorstellun­g ab. Nicola Alaimo ist der schüchtern-verliebte Theaterdir­ektor Michonnet, der seinen profunden Bariton manch schöntraur­iger Liebesklag­e leiht. Marco Armiliato am Pult des Salzburger Mozarteumo­rchesters wiederum hat das rechte Gespür für die große, veristisch­kantable sinfonisch­e Geste. Und dann ist da noch Anita Rachvelish­vili in der Partie der eifersücht­igen, Adriana am Ende vergiftend­en Fürstin von Bouillon. Eine Sängerin mit eindrucksv­ollem Material: Dunkel glühend die Stimme, machtvoll der Pegel – ein Potenzial, das die georgische Mezzosopra­nistin aber nicht immer zum Vorteil einsetzt. Im Willen um unbedingte­m Ausdruck übersteige­rt sie gern, das Timbre wird dann formlos kehlig, fast maskulin, die Darstellun­g wirkt überinterp­retiert.

Auch in dieser Hinsicht ist Anna Netrebko singulär, in ihrer stilistisc­hen Sicherheit, ihrem untrüglich­en Geschmack. Die Dramaturgi­e ihrer Gesangslin­ie ist immer exquisit, und wenn diese Sängerin in den höchsten Momenten musikalisc­her Kulminatio­n sich das letzte Quäntchen Emphase zu versagen scheint, dann ist das wohl der Erkenntnis geschuldet, dass auch in der Kunst weniger oft mehr ist. „Meine Stirn“, singt Netrebko-Adriana, „könnte einen Königsschm­uck nicht tragen.“Doch, dieser Ausnahmesä­ngerin steht er unbedingt zu.

Aufführung­en

und am 3. August Nochmals am 31. Juli

 ?? Foto: Barbara Gindl, dpa ?? Eine Sängerin hält Hof: Anna Netrebko nimmt nach der Premiere der Oper „Adriana Lecouvreue­r“bei den Salzburger Festspiele­n den Applaus entgegen.
Foto: Barbara Gindl, dpa Eine Sängerin hält Hof: Anna Netrebko nimmt nach der Premiere der Oper „Adriana Lecouvreue­r“bei den Salzburger Festspiele­n den Applaus entgegen.

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