Diese Sängerin ist eine Königin
Oper Bei den Salzburger Festspielen gibt Anna Netrebko mal wieder eine Kostprobe ihrer Ausnahmestellung
Salzburg „Da ist sie“: Adriana, im smaragdgrünen, fließenden, idealisiert orientalischen Gewand, mit dunkel eingefärbter Tragödinnenstimme die Worte einer Heldin aus einem Racine-Drama deklamierend. „Hinreißend“, befindet einer der umstehenden Darsteller auf der Bühne, „überwältigend“, pflichtet ein anderer bei. Das Publikum empfindet nicht anders.
Anna Netrebko ist Adriana Lecouvreur. Und was jene Schauspielerin dem Paris des frühen 18. Jahrhunderts, das ist die russische Sopranistin der heutigen Opernwelt: die Künstlerin in ihrem Fach. Wegen ihr vor allem sind sie an diesem Nachmittag ins Salzburger Große Festspielhaus geströmt, um sich in Szenenapplaus zu werfen, Bravorufe abzufeuern und am Ende das Handy zum Erinnerungsfoto zu zücken. Auch wenn „Adriana Lecouvreur“, Francesco Cileas spekulativbiografische Oper über die berühmte historische Tragödin, lediglich konzertant, ohne szenische Einbettung gegeben wird. Doch umso direkter die Aufmerksamkeit für das Stimmgesamtkunstwerk Netrebko.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten steht die 47-Jährige nun ganz oben im internationalen Sängerbetrieb, und stets hat sie ihr Niveau gehalten, mindestens. Cileas Adriana gibt ihr einmal mehr Gelegenheit, ihre Ausnahmeposition unter Beweis zu stellen. Da ist die für eine Sopranstimme ungewöhnliche Fülle im tiefen Register. Da ist diese Fähigkeit zur dramatisch kalkulierten, völlig unangestrengten messa di voce, zum Auf- und wieder Abblenden der Stimme. Und nicht zuletzt ist da der betörende vokale Schmelz, dieser warm strahlende Goldglanz, den die Netrebko in exponierte, lang gehaltene Töne zu legen vermag.
Solche Kunst verdient es, ordentlich begleitet zu sein, also haben die Festspiele für entsprechendes Personal gesorgt. Yusif Eyvazov ist mehr oder weniger gesetzt, ohne ihren Ehemann ist die Netrebko kaum mehr zu haben, doch der Tenor gibt als Adriana-Liebhaber Maurizio eine durchaus souveräne Vorstellung ab. Nicola Alaimo ist der schüchtern-verliebte Theaterdirektor Michonnet, der seinen profunden Bariton manch schöntrauriger Liebesklage leiht. Marco Armiliato am Pult des Salzburger Mozarteumorchesters wiederum hat das rechte Gespür für die große, veristischkantable sinfonische Geste. Und dann ist da noch Anita Rachvelishvili in der Partie der eifersüchtigen, Adriana am Ende vergiftenden Fürstin von Bouillon. Eine Sängerin mit eindrucksvollem Material: Dunkel glühend die Stimme, machtvoll der Pegel – ein Potenzial, das die georgische Mezzosopranistin aber nicht immer zum Vorteil einsetzt. Im Willen um unbedingtem Ausdruck übersteigert sie gern, das Timbre wird dann formlos kehlig, fast maskulin, die Darstellung wirkt überinterpretiert.
Auch in dieser Hinsicht ist Anna Netrebko singulär, in ihrer stilistischen Sicherheit, ihrem untrüglichen Geschmack. Die Dramaturgie ihrer Gesangslinie ist immer exquisit, und wenn diese Sängerin in den höchsten Momenten musikalischer Kulmination sich das letzte Quäntchen Emphase zu versagen scheint, dann ist das wohl der Erkenntnis geschuldet, dass auch in der Kunst weniger oft mehr ist. „Meine Stirn“, singt Netrebko-Adriana, „könnte einen Königsschmuck nicht tragen.“Doch, dieser Ausnahmesängerin steht er unbedingt zu.
Aufführungen
und am 3. August Nochmals am 31. Juli