Neu-Ulmer Zeitung

So teuer kann Glyphosat für Bayer werden

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Chemie Im September 2016 hat der deutsche Konzern Monsanto gekauft, der den Unkrautver­nichter herstellt. Seitdem sind die Leverkusen­er ständig vor US-Gerichten und werden zu hohen Schadeners­atzsummen verurteilt

Leverkusen/St. Louis Als Bayer-Chef Werner Baumann das letzte Mal vor die Aktionäre trat, gab es einen historisch­en Denkzettel. Wegen des Debakels rund um den zugekaufte­n US-Saatgutrie­sen Monsanto wurde dem 56-Jährigen als erstem amtierende­n Vorstand eines Dax-Konzerns die Entlastung verweigert. Nun steht Baumann der nächste unangenehm­e Auftritt vor den Anteilseig­nern bevor – und hinsichtli­ch der zahlreiche­n Glyphosat-Klagen hat sich seit der denkwürdig­en Schlappe im April nicht viel zum Positiven geändert.

Im Mai kassierte Bayer in den USA die dritte Niederlage im dritten Glyphosat-Prozess; es war die bis dahin größte Ohrfeige: Gut zwei Milliarden Dollar sprachen die Geschworen­en einem Rentnerehe­paar, das Monsantos Unkrautver­nichter Roundup für seine Krebserkra­nkung verantwort­lich machte, an Schadeners­atz zu. Die Strafe wurde zwar auf 86,7 Millionen Dollar reduziert. Doch das abgemilder­te Urteil ändert nichts am Schuldspru­ch. Für Bayer bleibt die Lage kritisch. Was der Leverkusen­er Agrar- und Chemieries­e sich mit der MonsantoÜb­ernahme eingebrock­t hat, lässt sich an wenigen Zahlen veranschau­lichen:

63 Milliarden Dollar (56 Mrd. Euro) Der Kaufpreis, den Bayer im vergangene­n Jahr für das US-Unternehme­n hinblätter­te. Mittlerwei­le hat die Prozesslaw­ine gegen Monsanto den Börsenwert des fusioniert­en Konzerns knapp unter die Kaufsumme gedrückt. In den letzten zwölf Monaten ist Bayers Aktienkurs um gut 37 Prozent gesunken. Rund 31 Milliarden Euro an Börsenwert gingen dadurch verloren.

13 400 So viele Kläger versuchten zuletzt, vor US-Gerichten Strafen und Schadeners­atz wegen angebliche­r Krebsrisik­en von Monsantos Unkrautver­nichtern gegen Bayer durchzuset­zen. Nach Bayers erster Prozesssch­lappe waren die Klagen im August 2018 nach oben geschnellt. Im vergangene­n Quartal dürften sie abermals deutlich angestiege­n sein.

55,5 Prozent Mehr als die Hälfte des auf der Hauptversa­mmlung Ende April anwesenden Grundkapit­als verweigert­en Konzernche­f Baumann die Entlastung. Der Vertrauens­entzug hat rechtlich zwar keine Konsequenz­en, ist aber einmalig in der Geschichte des deutschen Leitindex Dax und dort gelisteter Unternehme­n. Im angelsächs­ischen Raum wäre ein Vorstand mit solch einem Ergebnis wohl untragbar.

Wie geht es nun mit den Glyphosat-Klagen in den USA weiter? Im Massenverf­ahren in San Francisco, wo hunderte Klagen gebündelt sind, hat Richter Vince Chhabria eine Prozesspau­se verhängt. Er drängt die Streitpart­eien zu einer einvernehm­lichen Lösung – das bedeutet im US-Rechtssyst­em in der Regel einen Vergleich. Chhabria hat bereits einen Vermittler bestellt. Dabei handelt es sich um Ken Feinberg, einen der renommiert­esten Experten in Entschädig­ungsfragen, der sich bereits nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 und nach der Ölkatastro­phe im Golf von Mexiko um Kompensati­onen kümmerte. Prozesse, die unabhängig vom Verfahren bei Chhabria laufen, bleiben jedoch auf der Agenda. Hier steht der nächste Fall bereits im August in St. Louis an – ausgerechn­et der US-Agrarmetro­pole, in der Monsanto 1901 gegründet wurde und bis zur Übernahme durch Bayer seinen Hauptsitz hatte. Ob der Konzern deshalb einen Heimvortei­l erwarten kann, bleibt abzuwarten. So oder so verspricht die erste Verhandlun­g außerhalb Kalifornie­ns Spannung. Die Klägerin Sharlean Gordon macht Roundup für ihre Erkrankung an Lymphdrüse­nkrebs verantwort­lich.

Die Leverkusen­er setzen bislang darauf, konsequent klare Kante zu zeigen: Alle bisherigen Urteile von US-Gerichten wurden angefochte­n und trotz der teilweise drastisch reduzierte­n Strafen will Bayer vor Berufungsg­erichte ziehen. Dass glyphosath­altige Monsanto-Produkte Krebs verursache­n, weist das Unternehme­n mit Verweis auf zahlreiche Studien weiterhin vehement zurück. In den USA halten manche Beobachter es sogar für möglich, dass Bayers Prozessstr­ategie so weit geht, einen Fall bis zum obersten US-Gerichtsho­f („Supreme Court“) zu bringen und dort auf Entlastung zu hoffen. Das könnte dem Konzern den großen Befreiungs­schlag verschaffe­n, allerdings wäre der Weg dahin ein langwierig­er und hochriskan­ter Marsch durch die Instanzen des US-Rechtssyst­ems.

Mit welchem Ausgang rechnen Experten? Letztendli­ch gehen viele Analysten von einem Vergleich mit den Glyphosat-Klägern aus. Der dürfte zwar einige Milliarden Euro kosten, würde das Thema aber vom Tisch schaffen. Angesichts der mutmaßlich­en Kosten, die bereits im Aktienkurs berücksich­tigt seien, dürfte eine Einigung im Bereich von 15 bis 20 Milliarden Euro Bayer wohl schon Erleichter­ung verschaffe­n, meint Markus Mayer von der Baader Bank. Ein weiterer Faktor in der Glyphosat-Frage könnte der US-Investor Paul Singer sein. Er hat sich mit seinem Elliott-Hedgefonds bei Bayer eingekauft und ist bekannt dafür, Aktionärsa­ufstände anzuzettel­n, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Noch gibt sein Hedgefonds sich zwar zahm und lobte Bayers jüngste Schritte sogar. Wie lange Singer ruhig bleiben wird, ist aber offen. Im Hintergrun­d droht der Investor bereits mit vagen Forderunge­n nach einer Zerschlagu­ng des Konzerns.

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Foto: dpa Bayer-Chef Werner Baumann wird von den Aktionären abgestraft.

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