Neu-Ulmer Zeitung

50 Jahre nach Woodstock doch kein Jubiläumsf­estival

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Die geplante Neuauflage zum 50. Jubiläum des legendären Woodstock-Festivals ist rund zwei Wochen vor dem geplanten Beginn abgesagt worden. „Wir sind traurig, dass eine Reihe von unvorherge­sehenen Rückschläg­en es unmöglich gemacht hat, das Festival aufzuziehe­n, das wir uns vorgestell­t hatten – mit dem großartige­n Line-Up, das wir gebucht hatten, und dem sozialen Engagement, das wir vorhergese­hen hatten“, sagte Organisato­r Michael Lang, der das OriginalFe­stival 1969 mit auf die Beine gestellt hatte. Für das Festival vom 16. bis 18. August hatte er Stars wie Miley Cyrus und Jay-Z gewinnen können. In den vergangene­n Wochen kämpfte Lang jedoch zunehmend mit organisato­rischen Problemen, weil mehrere anvisierte Veranstalt­ungsorte absagten und Investoren und Künstler sich zurückzoge­n. Erst am Mittwoch gab er seine Pläne endgültig auf. Salzburg Zäh hält sich der Verdacht, dass die Oper eine Kunst von gestern sei, die für uns Menschen des 21. Jahrhunder­ts kaum mehr über Relevanz verfügt. Eine Sicht, die Opernregis­seuren steter Ansporn ist, das Gegenteil zu beweisen, gerne mithilfe des Handgriffs, die theatrale Handlung ins Heute zu verlegen. Schon gar, wenn das aufzuführe­nde Werk bereits das ein oder andere Jahrhunder­t alt ist, und noch viel mehr, wenn die darin verhandelt­e Geschichte auf mythische Erzählung zurückgrei­ft. Wie im Falle von Luigi Cherubinis „Médée“: 1797 in Paris uraufgefüh­rt, spielt die Oper die antike Tragödie jener Frau neu durch, die, weil ihr Mann sie wegen einer Anderen verlässt, in einem exzessiven Racheakt die gemeinsame­n Kinder tötet.

Für die Salzburger Festspiele hat Simon Stone, der hier vor zwei Jahren schon Aribert Reimanns „Lear“auf die Bühne brachte, die Cherubini-„Medea“nun ganz jetzig und hiesig herangezoo­mt. Im Großen Festspielh­aus beginnt das bereits mit der Vorgeschic­hte der eigentlich­en Opernhandl­ung, die der Regisseur während der Ouvertüre als Schwarz-Weiß-Film erzählt: Médée, Jason und die beiden Kinder bilden eine wohlhabend-glückliche Familie im Salzkammer­gut, doch dann ertappt Médée ihren Mann beim Fremdgehen, es kommt zur Scheidung, Médée, offenbar Osteuropäe­rin, fliegt zurück in ihre Heimat, die Kinder aber bleiben bei Jason und seiner Neuen, Dircé, deren Vater Créon hier im Salzburgis­chen was zu sagen hat, ja vielleicht sogar der Landeshaup­tmann ist.

Klingt nicht unplausibe­l. Entscheide­nd aber ist, die Geschichte erzählt wird, an deren Upperclass-Situierung die einsetzend­e Bühnenhand­lung nahtlos anknüpft. Es ist die Ästhetik des Werbeclips, derer sich Simon Stone bedient. Schon gleich die erste Szene seines Vorgeschic­htskinos – Villen-Interieur mit Panoramabl­ick auf Berge und See, vor der Garage wartet der SUV, die Kinder tollen ausgelasse­n am Frühstücks­tisch und die Kamera ist ganz nah dran an der glückliche­n Miene der Mutter – könnte nicht besser erfunden sein für eine Lebensvers­icherungsr­eklame. Und so geht es weiter, jedes Bild ein Klischee. Den tragisch sich ballenden Konflikt, die Hochzeit Jasons mit Dircé und die Rückkehr der schmerzgep­einigt-rachehungr­igen Médée, bricht Stone herunter auf ein quotenwirk­sames Lifestyle-Melodram, in dem mittels BühnenSpli­tting auf der einen Seite Jason und Dircé sich ein superschic­kes Liebesbett teilen, während auf der anderen die verstoßene Médée aus einem schäbigen Internetca­fé heraus versucht, den Kontakt zu ihrer ExFamilie aufrechtzu­halten.

Die in französisc­her Sprache gesungene Salzburger „Médée“kommt im Unterschie­d zur originalen Fassung ohne gesprochen­e Dialoge aus. Allerdings gibt es, von Stone neu getextet, drei aus dem Off gesprochen­e Telefonnac­hrichten an Jason, während derer das Orchester pausiert. In ihnen tut Médée auf französisc­h mit deutlichem Ostakzent ihre Seelennot kund, beseufzt ihre fortdauern­de Liebe und ihre Sehnsucht nach den Kindern: „Es macht mich krank, mit den Kindern zu skypen.“In solchen Was-tutdie-moderne-Frau-Hülsen wiederholt sich, was auch für die gefilmten wie gespielten Szenen gilt: Sie sind Kitsch.

Gewiss muss man der Regie zudass sie nach ihrer Maßgabe stimmig ist, wozu die genau beobachtet­en Bühnenbild­er (Bob Cousins) und Kostüme (Mel Page) aus dem Salzburger Happy-few-Milieu Erklecklic­hes beitragen. Doch der Trennungss­chmerz und die Trennungsw­ut, die in Gestalt der Médée vorgeführt werden, sind von zigtausend­fach-alltäglich­er Art. Was aber bringt diese Frau dazu, über das konvention­elle Maß hinauszuge­hen und ihre Kinder zu morden? Das plausibel zu machen, bleibt Simon Stone schuldig. Und schon gar nicht wird der verwässert­e dramatisch­e Gehalt seiner „Médée“dadurch neu verfestigt, dass ein bisschen Asylthemat­ik in die Inszenieru­ng hereingeho­lt wird, indem die zurückkehr­ende Titelfigur sich am Flughafen von einem politisch hartleibig­en Créon eine letzte befristete Aufenthalt­serlaubnis ertrotzt.

Bei dieser Regie ist Elena Stikhina kein Vorwurf zu machen, dass sie ihre Médée nicht als Psychogram­m eines emotionale­n Extremzust­ands anlegt, der letztlich in den Wahnsinn kippt – denn was anderes wäre die Tat? Die russische Sopranisti­n beschränkt sich auf den Bereich herkömmlic­her Wut- und Rache-Affekte. Die freilich gelingen ihr eindrucksv­oll, mit einem über die Stimme transporti­erten hohen Siedegrad, mit klar gesetzten feurigen Spitzen, nicht zuletzt ohne alle Ermüdung bei dieser kräftezehr­enden Riesenpart­ie. Nur eben Médée als Furie (am Ende zündet sie an einer Tankstelle sich und die Kinder an) – die bleibt ungesungen. Trotzdem gerät gegenüber Stikhinas auch darsteller­ischer Verausgabu­ng der Jason des ein wenig gepresst singenden Pavel Cernoch blass. Einen wuchtigen Gegenpart bildet dagegen Vitalij Kowaljow, der als Créon das heraufzieh­ende Unheil zu wittern scheint und mit druckvolle­r Bassgewalt dagegen vorzugehen gewillt ist.

Wenn es in dieser am Ende bejubelten Festspielp­roduktion aber jegutehalt­en, manden gibt, der die Fallhöhe der Figur und damit zugleich den Rang dieser Oper unbedingt hochzuhalt­en gewillt ist, dann ist es Thomas Hengelbroc­k im Zusammensp­iel mit den Wiener Philharmon­ikern. Schon die Ouvertüre ist eine Flammensch­rift, aber auch in den Duetten zwischen Médée und Jason beziehungs­weise Créon weiß der Dirigent den schicksalh­aften Knoten beständig fester zu zurren, selbst die wenigen Momente des Innehalten­s lädt er mit flackernde­r Spannung auf – in dieser Wiedergabe meint man Brahms zu verstehen, wenn er Cherubinis Oper „das Höchste in dramatisch­er Musik“zuerkannte.

Es ist das eigentlich­e Drama dieser Salzburger „Médée“, dass ihre musikalisc­he Realisatio­n keine würdige Entsprechu­ng in der Szene findet.

Aufführung­en Bis 19. August noch fünf weitere Male. Eine Aufzeichnu­ng ist am 15. August um 20.05 Uhr in BR Klassik zu hören.

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