Erdogan droht mit Einmarsch
Hintergrund Der türkische Präsident will mit Soldaten die kurdischen Autonomiegebiete in Syrien zerschlagen. Ein riskantes Vorhaben
Istanbul Die türkische Armee hat Artillerie, Bodentruppen sowie verbündete Milizen an der Grenze zu Syrien zusammengezogen, um in das Nachbarland einzumarschieren. Präsident Recep Tayyip Erdogan droht seit mehr als einem halben Jahr mit der Invasion, doch jetzt könnte es so weit sein. Bei Gesprächen in Ankara bemühten sich türkische und amerikanische Experten am Montag erneut um eine gemeinsame Linie, doch ein völliger Verzicht der Türkei auf einen Einmarsch erscheint unwahrscheinlich. Der Konflikt erhöht die Gefahr, dass islamistische Extremisten aus Nord-Syrien nach Europa heimkehren. Ein Blick auf die wichtigsten Akteure und ihre Motive. Allerdings ist das Vorhaben für die Türkei riskant. Ihre Armee ist durch Einsätze in anderen Teilen Syriens und im Irak bereits stark gefordert. Den Soldaten stehen im Nordosten Syriens zudem gut ausgebildete und ausgerüstete Kämpfer gegenüber. Das Kurdengebiet in Syrien wird von den YPG beherrscht, einem Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK. Die YPG bildet das Rückgrat der Demokratischen Kräfte Syriens (SDA), einer 60000 Mann starken Miliz, die von den USA unterstützt und bewaffnet wird. Die SDA hatte mithilfe der amerikanischen Luftwaffe in den vergangenen Jahren den Islamischen Staat (IS) in Syrien besiegt. Einige Experten rechnen daher lediglich mit einer sehr eng begrenzten Intervention der Türkei.
Das Bündnis zwischen Washington und der YPG belastet das türkisch-amerikanische Verhältnis seit Jahren. Die Kurden, die ihre Autonomie behalten wollen, befürchten deshalb, im Falle eines neuen türkischen Einmarsches von den USA im Stich gelassen zu werden. Zur Vorbereitung auf eine Verteidigungsschlacht haben die kurdischen Kämpfer laut Medienberichten Tunnel und unterirdische Lazarette angelegt. Zudem kündigen sie an, dass sie bei einer türkischen Invasion die Inhaftierungslager für mehrere zehntausend IS-Kämpfer und deren Familienangehörige in ihrem Machtbereich nicht mehr bewachen werden. Einige tausend ausländische Dschihadisten könnten in diesem Fall versuchen, nach Europa zurückzukehren.
Angesichts der prekären Lage bemühen sich die USA, den NatoPartner Türkei zur Zurückhaltung zu bewegen. Nach Medienberichten bietet Washington die Einrichtung einer schmalen Sicherheitszone von wenigen Kilometern Tiefe in Nordost-Syrien an, die nach einem Abzug der YPG von türkischen und amerikanischen Truppen gemeinsam patrouilliert werden soll. Eine solche Regelung könnte dazu dienen, die Kurden vor der Türkei zu schützen.
Bisher will sich die türkische Seite aber nicht darauf einlassen: Erdogan hat angekündigt, notfalls auch ohne Einigung mit den USA seine Soldaten über die Grenze zu schicken. Der Streit verstärkt die Spannungen zwischen der Türkei und den USA, die sich auch um den Kauf eines russischen Systems für die türkische Flugabwehr streiten.
US-Präsident Donald Trump hatte voriges Jahr zwar den Rückzug der rund 2000 amerikanischen Soldaten aus Syrien angekündigt, doch inzwischen besteht die US-Regierung auf einem Verbleib von amerikanischen Truppen in dem Gebiet. Damit will Washington gegenüber dem Iran und Russland den Verbündeten des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad - zeigen, dass die USA in Syrien weiter mitmischen wollen. In der amerikanischen Einflusszone östlich des Euphrat befinden sich einige der besten Ackerflächen und Ölquellen Syriens. Washington will diese Landesteile nicht der syrischen Regierung und damit dem russisch-iranischen Einfluss überlassen.