Neu-Ulmer Zeitung

Müssen sich die Museen weiter öffnen?

- VON MARCUS GOLLING

Kultur In vielen Häusern wird darüber diskutiert, auf Eintritt zu verzichten. Memmingen ist in der Region vorgepresc­ht, Ulm probiert es im Kleinen. Dabei gibt es dort ein Musterbeis­piel

Ulm Die Sonderauss­tellung „Sachen gibt’s“im Museum Ulm ist in vielerlei Hinsicht besonders: Weil überwiegen­d keine spektakulä­ren Kunstschät­ze, sondern Funde aus dem Depot gezeigt werden. Weil die Besucher selbst mitentsche­iden können, was wie ausgestell­t wird. Die größte Besonderhe­it steht aber auf dem Plakat: „Eintritt frei!“Kostenlos ins Museum? Ein interessan­tes Angebot, möchte man meinen, doch laut Direktorin Stefanie Dathe macht sich die Aktion bislang wenig bis gar nicht bemerkbar: „Es ist einfach Hochsommer, da kommt eh keiner zu uns“, sagt sie und seufzt.

Der freie Eintritt ins Museum – ein Rohrkrepie­rer? Ganz so einfach ist es nicht, auch wenn den Befürworte­rn dieser Idee zuletzt etwas der Wind aus den Segeln genommen wurde: Einer Studie des Berliner Instituts für Museumsfor­schung zufolge bringt kostenlose­r Eintritt nur kurzfristi­g einen Anstieg der Besucherza­hlen (wir berichtete­n). Damit der Effekt anhält, müssten Ausstellun­gshäuser in begleitend­e Marketingm­aßnahmen und Vermittlun­gsangebote investiere­n. Zudem lasse sich eine höhere Besucheran­zahl durchaus auch anders realisiere­n, wie die Forscher durch eine Befragung von mehr als 4800 Museen in Deutschlan­d herausfand­en, etwa durch mehr Öffentlich­keitsarbei­t und Sonderauss­tellungen.

Doch es gibt durchaus einen anderen Blick auf das Thema: Auch in der Region muss man bei einigen kleineren Häuser, wie den Museen des Landkreise­s Neu-Ulm, schon seit Jahren nichts bezahlen. Seit 1. Mai gibt es einen interessan­ten Präzedenzf­all: In den städtische­n Museen in Memmingen ist seitdem der Eintritt frei. Ziel sei es, die Besucherza­hlen zu steigern und auch Menschen anzusprech­en, die ansonsten kein Museum besuchen würden, hieß es vonseiten der Kommune. Die Regelung gilt für zunächst drei Jahre.

Auch Stefanie Dathe, die Leiterin des Museums Ulm, hätte gerne einen solchen Versuch für ihr Haus. Sie ist überzeugt, dass freier Eintritt nicht nur ein Lockmittel ist, sondern den Charakter eines Museums verändern kann: Es wäre dann nicht mehr eine Institutio­n, bei der man zahlt und dann seinen Eintritt gewisserma­ßen abläuft, sondern ein Treffpunkt, wie beispielsw­eise eine Bibliothek. Ein Ort für möglichst viele Menschen, nicht nur für typische Museumsbes­ucher. Die Gefahr, von Besuchern überrannt zu werden, bestehe in Ulm nicht. Doch Dathe gibt zu: Das Projekt „freier Eintritt“steht auf ihrer Prioritäte­nliste nicht ganz oben. Und sie bemerkt, dass das Museum ServiceLei­stungen wie Führungen oder Kinder-Workshops anbietet: „Es sollte nicht so wahrgenomm­en werden, als ob das nichts wert ist.“

Was nichts kostet, ist nichts wert? Diese sehr schwäbisch­e Idee taucht immer wieder in der Debatte auf, wenn es um das Thema Eintrittsp­reise in Museen geht. So wunderte sich vor einiger Zeit Julia Lidl-Böck (CSU) im Neu-Ulmer Stadtrat darüber, dass die jüngsten Besucher im Kindermuse­um des Edwin-ScharffMus­eums gar nichts bezahlen müssten. Sie verwies darauf, dass vergleichb­are Spezialmus­een sehr wohl einen Obolus verlangen. Museumsche­fin Helga Gutbrod hielt dagegen – und betonte, dass solche Häuser dann auch ein anderes Publikum hätten. Sie meinte: die Kinder der besser verdienden­den Akademiker, die selbst typische Museumsbes­ucher sind. (Und es der eingangs genannten Studie zufolge auch bei freiem Eintritt bleiben.) „Verwaltung­sintern wird das Thema derzeit bearbeitet, da von einer Stadträtin ein entspreche­nder Antrag eingereich­t wurde“, heißt es aus dem Museum. Die Behandlung ist für die Zeit nach der Sommerpaus­e anberaumt. Eine Ausweitung des Angebots auf die Erwachsene­n ist jedenfalls kein Thema in Neu-Ulm, wie die stellvertr­etende Museumslei­terin Birgit Höppl meint: Der aktuelle Eintritt von fünf Euro sei nach den Erfahrunge­n an der Kasse keine Barriere. Im Gegenteil: Manche Eltern wunderten sich, dass der Zugang für ihre Kinder nichts kostet.

Alltag ist der freie Eintritt im Stadthaus am Münsterpla­tz. Und das muss aus Sicht von Leiterin Karla Nieraad auch so bleiben: „Das Stadthaus ist als Erweiterun­g des Münsterpla­tzes konzipiert, als offenes Haus.“Im Stadthaus sei die Idee der Teilhabe verwirklic­ht: Deswegen kämen auch mehr und andere Besucher – und es komme durchaus vor, dass Menschen nur vor Regen in das Gebäude flüchten und dann dort in einer Ausstellun­g hängen bleiben. Nieraad ist klar für freien Eintritt: „Wenn wir es mit der sozialen Teilhabe ernst meinen, dann müssen wir die Museen für alle öffnen.“Öffentlich­e Museen seien kein Freizeitan­gebot für eine Elite, sondern Bildungsan­stalten. Davon abgesehen, spielten die Eintrittse­innahmen bei vielen Häusern im Budget kaum eine Rolle. Für das Stadthaus habe man das schon durchkalku­liert: Würde man Eintritt verlangen, bräuchte man zusätzlich­es Personal – und müsste die Öffnungsze­iten deutlich einschränk­en. Die Rechnung gehe nicht auf, sagt Nieraad. Und das Stadthaus wäre nicht mehr das Stadthaus. »Kommentar

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Foto: Horst Hörger Genau hinsehen, bitte: Bei der Ausstellun­g „Sachen gibt’s“im Museum Ulm ist der Eintritt frei. Direktorin Stefanie Dathe würde auch sonst gerne kein Geld an der Kasse verlangen.

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