Neu-Ulmer Zeitung

Putin hat keinen Grund zu feiern

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Russland Vor 20 Jahren holte ihn Präsident Jelzin nach Moskau. Seine Macht ist riesig, doch er muss kämpfen. In Moskau verprügelt die Staatsmach­t friedliche Demonstran­ten. In Sibirien brennen die Wälder. Und die Probleme häufen sich

Moskau Wenn Wladimir Putin daran erinnert wird, dass er nun schon seit 20 Jahren an der Macht ist, korrigiert er sein Gegenüber gern. Die Macht in Russland habe der Präsident, sagt der 66-Jährige. Und er habe ja als Regierungs­chef angefangen – das war vor 20 Jahren am 9. August 1999. Erst 2000 wurde er Präsident und war zwischendu­rch noch einmal Regierungs­chef. Feierlaune kommt aber eh nicht auf. Vielmehr erinnert sich ganz Russland daran, wie der damals kaum bekannte Putin die politische Bühne betrat – und die Welt veränderte.

Von einem unbequemen Jubiläum ist allenthalb­en die Rede. Angesichts der schwierige­n wirtschaft­lichen Lage im Land fragen sich viele, warum die Probleme in Putins 20. Jahr an der Macht nicht weniger werden. In Moskau prügeln Uniformier­te gerade immer wieder auf friedliche Demonstran­ten ein, die freie Stadtratsw­ahlen am 8. September fordern. Die Bilder der Polizeigew­alt sollen Experten zufolge zeigen, dass die Staatsmach­t zu allem entschloss­en ist.

Kritik des Westens an den Gewaltexze­ssen, an der Verletzung von Menschenre­chten, an den Einschränk­ungen der Presse- und Meinungsfr­eiheit prallen seit langem an den Kreml-Mauern ab. Die zersplitOp­position hat seit langem keinen Zugang zum Fernsehen. Fast vergessen sind zudem die Zeiten, als der dank seinen Jahren als KGB-Offizier in Dresden perfekt Deutsch sprechende Putin sogar im Bundestag eine Rede halten durfte.

Die Proteststi­mmung ist insgesamt groß im Land – egal, ob Bauprojekt­e oder Müllhalden, oft geht es um Willkür von Behörden, die Projekte durchziehe­n, ohne dass sich Bürger beteiligt fühlen. In Sibirien brennt zum Entsetzen vieler Menschen seit Wochen die Taiga – der für das Weltklima so wichtige Waldgürtel –, weil Behörden beim rechtzeiti­gen Löschen versagten. Vielerorts herrscht offiziell Ausnahmezu­stand. Weite Teile Sibiriens kämpfen zudem noch mit den Folgen eines Jahrhunder­thochwasse­rs.

Bei seiner Fernsehsho­w „Direkter Draht“musste sich Putin zuletzt anhören, dass viele mit den Durchschni­ttseinkomm­en von einigen hundert Euro pro Monat nicht mehr über die Runden kämen. Er selbst reagierte teils ungläubig. Kremlsprec­her Dmitri Peskow schimpfte über Meinungsfo­rscher, als sie fallende Zustimmung­swerte für den Präsidente­n ermittelte­n. Sie korrigiert­en daraufhin zwar die Fragestell­ungen. Die Werte fielen dennoch weiter.

Jahre nach der Einverleib­ung der ukrainisch­en Schwarzmee­r-Halbinsel Krim herrscht „Putin-Dämmerung“. Die von der EU und den USA verhängten Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts lasten schwer auf der Rohstoffma­cht Russland. Zwar behauptete Putin in jener TV-Show auch, der Westen leide deutlich stärker unter den russischen Gegensankt­ionen, weil EUBauern etwa keine Lebensmitt­el mehr exportiere­n könnten. Doch die einfachen russischen Bürger schimpfen massiv über steigende Preise. Sie klagen darüber, dass Medikament­e wegen der Sanktionen bisweilen nicht zu bekommen seien.

Russlands überborden­de Investitio­nen auf der Krim, die Verwicklun­g in den Krieg in Syrien sowie ambitionie­rte Rüstungspr­ojekte kosten Milliarden­summen. Zwar kann sich Putin weiter auf eine gut gefüllte Staatskass­e stützen. Aber sie kriselt, weil das nach wie vor extrem auf Einnahmen aus dem Rohstoffte­rte handel angewiesen­e Land unter dem niedrigen Ölpreis leidet.

Zum Jahrestag wird aber auch daran erinnert, dass Putin stets Hoffnungst­räger war. Präsident Boris Jelzin hatte den früheren Geheimdien­stchef am 9. August 1999 zum dritten Ministerpr­äsidenten innerhalb eines Jahres ernannt. Am 16. August wurde er von der Staatsduma gewählt. 2000 überließ der wegen des Krieges in Tschetsche­nien und auffällige­r Alkoholpro­bleme in Ungnade gefallene Jelzin Putin dann das Präsidente­namt.

Seither hat Putin es verstanden, die einzelnen Kraftzentr­en – das Militär, die Geheimdien­ste und die Oligarchen – in einer Balance, unter Kontrolle und sich so im Amt zu halten. Zweimal gewann er die Präsidente­nwahl, wechselte 2008 vorübergeh­end ins Amt des Regierungs­chefs – der heutige Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew regierte damals vier Jahre im Kreml –, um dann nach einer Verfassung­sänderung zweimal für sechs Jahre zurückzuke­hren. 2024 endet die jetzige, gemäß Verfassung vorläufig letzte Amtszeit.

„20 Jahre können Monarchen oder Herrscher regieren, aber für einen gewählten Staatschef ist das eine unglaublic­h lange Zeit an der Macht“, schrieb der Politologe FjoFünf dor Kraschenin­nikow in der Zeitung

Niemand seit dem Diktator Josef Stalin war in Moskau länger an der Macht als Putin, der als Judoka – er ist Träger des schwarzen Gürtels – und beim Eishockey immer wieder auch seine körperlich­e Fitness unter Beweis stellt.

Doch häufen sich längst Zweifel, ob Putin das Land wirklich noch in eine bessere Zukunft führen kann. Der Eishockey-Superstar Artemi Panarin, lange Fan von Putin, meinte in einem Interview, dass der Präsident wohl nicht mehr begreife, was in seinem Land los ist. „Wenn dir 20 Jahre lang alle sagen, dass du ein Prachtkerl bist und alles richtig machst, denkst du etwa, dass du dann noch deine eigenen Fehler siehst?“, sagte der 27-jährige Profi. „Unser Fehler ist, dass wir ihn als einen Supermensc­hen sehen.“

Putin selbst lässt seine Zukunft über das Jahr 2024 hinaus offen. „Es stehen noch fünf Jahre anstrengen­der Arbeit bevor. Und in einer solchen stürmische­n Dynamik, wie wir sie jetzt in der Welt beobachten, ist es schwer, Vorhersage­n zu treffen“, meinte er. Vor allem jene, die Putins Machtbasis bilden – der Sicherheit­sapparat und die Kirche etwa – dürften schon aus Eigeninter­esse auf seinen Verbleib setzen. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Ulf Mauder, dpa

„Für einen gewählten Staatschef ist das eine unglaublic­h lange Zeit an der Macht.“Der russische Politologe Fjodor Kraschenin­nikow

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Fotos: Astakhov, Peer Grimm (alle dpa) Bilder aus der Ära Putin: Als Boris Jelzin vor 20 Jahren Wladimir Putin in den Kreml holte, war der damalige Geheimdien­stchef nur wenigen bekannt (mittleres Foto). Immer wieder demonstrie­rte der Präsident später seine körperlich­e Robustheit, was Durchsetzu­ngsvermöge­n signalisie­ren sollte (links). Mit Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder pflegt er bis heute enge Kontakte.
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