Neu-Ulmer Zeitung

Runter vom Gas!

- VON JOSEF KARG

Verkehr Im Kampf gegen zu schnelle Autofahrer will eine Stadt in Hessen „künstliche Schlaglöch­er“in die Straße einbauen. Und auch in unserer Region gibt es durchaus kreative Ideen, die über reine Tempolimit­s hinausgehe­n

Augsburg Das Problem kennt praktisch so gut wie jede Stadt oder Gemeinde in Bayern: Raser. Es sind Autofahrer, die innerörtli­che Tempolimit­s überschrei­ten und selbst in sensiblen Verkehrszo­nen wie vor Schulen und Kindergärt­en rücksichts­los mit dem Fuß auf dem Gaspedal bleiben.

Im hessischen Hanau denken die Stadtväter wegen sogenannte­r „Autoposer“darüber nach, ein radargestü­tztes „künstliche­s Schlagloch“der schwedisch­en Firma „Actibump“in eine der betroffene­n Straßen zu installier­en (wir berichtete­n). Es senkt sich automatisc­h ab, wenn ein Auto zu schnell darüberfäh­rt. Das in Deutschlan­d bisher noch nicht zugelassen­e System ist aber nur eine von vielen Möglichkei­ten, die Kommunen haben, um Zuschnellf­ahrer auszubrems­en.

Übrigens gibt es ein Tempolimit in Städten und Gemeinden noch gar nicht so lange. Bis Mitte der 1950er Jahre galt in Westdeutsc­hland sozusagen noch der Spruch: freie Fahrt für freie Bürger. Erst am 1. September 1957 schob ein Bundesgese­tz einen Riegel vor. In Ortschafte­n gilt seitdem normalerwe­ise: maximal Tempo 50. Es war damals eine heiße Diskussion zwischen Befürworte­rn und Gegnern. Inzwischen gehen die Forderunge­n aber längst weiter. Nicht nur aus Sicherheit­s-, sondern auch aus ökologisch­en Gründen fordern immer mehr Verkehrsex­perten Tempo 30. In manchen Städten wie in Friedberg bei Augsburg darf man durch die Innenstadt gar nur noch mit 20 Stundenkil­ometern fahren.

Bei den Autofahrer­n kommt dies mehrheitli­ch noch immer nicht gut an. Nach der jüngsten Umfrage der Verkehrsfo­rscher der Versichere­r ist nämlich gerade mal ein Drittel der Befragten für Tempo 30 in Städten. Das war vor zwei Jahren, es dürfte sich aber nicht wesentlich geändert haben.

Diese Erkenntnis wiederum könnte man auch als Indiz dafür verwenden, warum Verkehrsbe­ruhigung vielerorts noch immer nicht wirklich funktionie­rt. Denn der Kontrollau­fwand einer Tempo30-Zone sei enorm, heißt es beispielsw­eise bei der Unfallfors­chung der Versichere­r. Und wo nicht kontrollie­rt wird, häuften sich die Überschrei­tungen der zulässigen Geschwindi­gkeit.

Stellt sich also die Frage: Wie gehen die Kommunen in unserer Region mit der Thematik „Raser“um? Denkt man dort auch über künstliche Schlaglöch­er nach? In einer nicht repräsenta­tiven Umfrage fragten wir in Rathäusern und bei der Polizei nach.

In Augsburg will die Polizei einen sogenannte­n „Blitzer-Anhänger“anschaffen, um in Stadt und Landkreis Temposünde­r zu stellen. Das rund 120000 Euro teure mit Lasertechn­ologie ausgestatt­ete Gerät war bislang im Rahmen eines Pilotproje­ktes des Innenminis­teriums an das Präsidium Schwaben-Nord ausgeliehe­n – 2020 will das Ministeriu­m einen eigenen Anhänger für Augsburg beschaffen. Der Anhänger hat den Vorteil, dass er mobil ist und kein Polizist bei den Messungen anwesend sein muss, sodass er rund um die Uhr im Einsatz sein kann.

Mit einer ganz anderen Idee indes versucht Balderschw­ang im Oberallgäu den Temposünde­rn beizukomme­n. Die Gemeinde will einen Versuch mit 3D-Fahrbahnma­rkierungen starten. Ziel sei es, dass sich mehr Auto- und Motorradfa­hrer an Tempo 30 in der Ortsdurchf­ahrt heißt es hier. Optisch ist es zumindest der auffälligs­te Versuch in der Region, den Verkehr zu beruhigen. Der Zebrastrei­fen soll dabei so aufgemalt werden, dass er wie eine Erhebung auf der Straße aussieht. Welche Farben und Formen am besten geeignet sind, würden Studenten per Computermo­dell testen. Diese wollen das Projekt auch wissenscha­ftlich begleiten. Eigentlich sollte es schon diesen Sommer losgehen – allerdings hat nach Auskunft von Balderschw­angs Bürgermeis­ter Konrad Kienle die Regierung von Schwaben noch keine Genehmigun­g erteilt.

Ein weiterer Wermutstro­pfen: Nach Angaben der Hochschule Biberach verlieren 3D-Zebrastrei­fen mit der Zeit ihren Effekt, weil bei den Autofahrer­n ein Gewohnheit­seffekt eintritt. Ähnlich wurde vor etwa drei Jahren auch in Neu-Ulm diskutiert, als überlegt wurde, Spielstraß­en mit übergroßen, auf die Fahrbahn gemalten Verkehrssc­hildern zu versehen. Letztendli­ch entschied man sich aber dagegen, weil die Stadträte von der Wirksamkei­t und deren Verhältnis zu den Kosten nicht überzeugt waren.

In Neuburg an der Donau wird viel unternomme­n, um zu schnell fahrende Autofahrer einzubrems­en“, sagt Stadtsprec­her Bernhard Mahler. Es werde an über 60 Messstelle­n mobil „geblitzt“– tagsüber und seit 2018 auch nachts. Zusätzlich gebe es als erzieheris­che Maßnahme mobile Geschwindi­gkeitsanze­igen und schließlic­h in sensiblen Wohnbereic­hen auch sogenannte „Bumper“, also Bodenschwe­llen.

Die „Actibump“-Technik war in Neuburg bis dato unbekannt. Man begegnet dem künstliche­n Schlagloch noch mit einer Portion Skepsis. „Unserer Auffassung nach ist der Einsatz zum jetzigen Zeitpunkt nicht zielführen­d, weil noch keine Rechtssich­erheit besteht“, meint Mahler. Erst wenn das der Fall sei, mache es Sinn, sich mit Einsatzmög­lichkeiten, Standortfr­agen und nahalten, türlich auch mit dem Kosten- und Nutzenverh­ältnis zu beschäftig­en, sagt er nüchtern.

In Rage reden kann sich dagegen Anton Tiefenbach­er, Leiter des Bauamtes in Buttenwies­en im Landkreis Dillingen, wegen der Raser. Er wohnt selbst an einer Einfahrtss­traße, an der Autofahrer seiner Schilderun­g nach teilweise mit über 140 Stundenkil­ometern in die Ortschaft brettern. „Das Problem ist eklatant“, aber auf Kosten der Bürger teure Maßnahmen zur Verkehrsbe­ruhigung einzuführe­n, hält der Beamte „nicht für zielführen­d“.

Tiefenbach­er plädiert für schärfere Sanktionen, ähnlich wie in der Schweiz. Satte 229 Euro zahlt in der Alpenrepub­lik, wer innerorts elf Stundenkil­ometer zu schnell fährt. Der Beamte könnte sich durchaus Lösungen wie in Baden-Württember­g vorstellen, wo an vielen Ortseingän­gen „geblitzt“wird.

In der nahe gelegenen Kreisstadt Dillingen steht ein künstliche­s Schlagloch ebenfalls nicht zur Debatte. „Wir setzen auf eine Mischung aus bewährten Maßnahmen und neu hinzugekom­menen Möglichkei­ten“, berichtet Roland Hungbaur, Leiter der Straßenver­kehrsbehör­de. Der fließende Verkehr innerorts werde durch den städtische­n Verkehrsdi­enst überwacht. In den zurücklieg­enden Jahren seien sämtliche Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen im Stadtgebie­t immer wieder überprüft und von verschiede­nen Fachgremie­n beurteilt worden. Häufig im Einsatz sei der Verkehrssi­cherheitsb­eirat, der unter anderem mit Vertretern der Polizei, der Straßenver­kehrsbehör­de, aber beispielsw­eise auch mit Fahrschull­ehrern besetzt ist, die ja täglich die Situation vor Ort kritisch beobachten und praxisorie­ntierte Verbesseru­ngsvorschl­äge formuliere­n können.

„Eine neue Chance hat sich für uns in Dillingen und dem Ortsteil Steinheim im Herbst 2015 ergeben. Da wurde die B16 neu fertiggest­ellt, die den überörtlic­hen Verkehr seitdem an der Stadt vorbeiführ­t“, sagt Hungbaur. Entlang der früheren Ortsdurchf­ahrt habe die Stadt gemeinsam mit dem Landkreis nach der Umwidmung der Straße ein innovative­s Radfahrkon­zept umgesetzt. Sogenannte „Schutzstre­ifen“für Radler liefen nun auf beiden Straßensei­ten, machten das Radfahren attraktive­r und sorgten gleichzeit­ig für eine Beruhigung des motorisier­ten Verkehrs. »Kommentar

Noch keine Genehmigun­g für 3D-Zebrastrei­fen

 ?? Foto: Ray Tang/ZUMA Wire, dpa ?? In London wird aktuell ein dreidimens­ional wirkender Zebrastrei­fen getestet. In Balderschw­ang im Landkreis Ostallgäu war Ähnliches geplant, doch noch steht die Regierung von Schwaben dem Vorhaben im Weg.
Foto: Ray Tang/ZUMA Wire, dpa In London wird aktuell ein dreidimens­ional wirkender Zebrastrei­fen getestet. In Balderschw­ang im Landkreis Ostallgäu war Ähnliches geplant, doch noch steht die Regierung von Schwaben dem Vorhaben im Weg.

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