Neu-Ulmer Zeitung

Fernfahrer­s Abendbrot mit Abendrot

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Serie (3) Wenn sich nachts die Autobahnra­ststätte in einen Campingpla­tz für 40-Tonner verwandelt, wird sie für die Fernfahrer zur Insel im Meer der Zeit. Doch es rauscht der Verkehr und der Schlafplat­z ist alles andere als luxuriös

Augsburg Zugegeben: Die Autobahn ist nicht die perfekte Kulisse für einen pittoreske­n Sonnenunte­rgang. Andrej Partor steht der Sinn ohnehin nach Abendbrot statt Abendrot. Der Brummi-Fahrer aus der Ukraine wird heute Nacht an der Autobahnra­ststätte Augsburg-Ost schlafen und morgen früh seine Fracht entladen. Vorher kehrt er im Serways-Restaurant ein. An manchen Wochenende­n grillen er und andere Lkw-Kapitäne am Parkplatz, was von der Polizei meist geduldet werde. Seit sechs Monaten ist der 55-Jährige für eine slowakisch­e Firma quer durch Europa unterwegs.

Ein paar Meter weiter parkt ein Sattelschl­epper mit österreich­ischem Kennzeiche­n. Otto Hohensinne­r aus Weiz in der Steiermark genießt im Fahrerhaus die Kühle der Klimaanlag­e und die seines Feierabend­bieres. Dass er heute hier schlafen wird, war nicht geplant. Im Verkehrsfu­nk hat er erfahren, dass es eine Karambolag­e bei Günzburg gab, die zwölf Kilometer Stau verursacht. „20:45“liest der 55-Jährige auf seiner Armbanduhr ab und sagt: „Ich hatte Glück, dass ich um die Zeit noch einen Parkplatz bekommen habe.“

Dass er sich auf seine Nachtruhe freut, ist schwer nachvollzi­ehbar: Die Dimensione­n der kargen Schlafstät­te hinter dem Fahrersitz erinnern eher an ein Kinderbett. Belastende­r sind aber der tägliche Zeitdruck und die Dumpinglöh­ne. Otto Hohensinne­r ist dennoch einer der wenigen deutschspr­achigen Fahrer, die das Truckerleb­en noch immer als Traumjob empfinden. „Ich mache das seit 36 Jahren“, sagt er stolz, „seit meinem elften Lebensjahr wollte ich Lkw-Fahrer werden.“In zehn Jahren sei er mal 1,6 Millionen Kilometer gefahren. „Das bringst du heute nicht mehr zusammen: Die deutsche Autobahn ist der größte Parkplatz Europas“, lamentiert der Straßen-Kapitän.

Die A8 ist eine der Hauptschla­gadern für den internatio­nalen Güterverke­hr. Die Fahrzeuge kommen wie ihre Piloten aus aller Herren Länder. Neben Straßengig­anten aus unseren Nachbarlän­dern finden sich auch welche aus der Türkei, sogar aus Iran, Aserbeidsc­han oder Tunesien. Meist sind die Fahrer einsame Wölfe. Ein Tag hinterm Lenkrad schlaucht. Oft will man danach nur noch seine Ruhe haben. Doch gibt es auch Zufallsbek­anntschaft­en, die einen wachhalten: „Manchmal kommst du ins Gespräch im Lokal an der Raststätte und redest, bis die einen wegen der Sperrstund­e rauswerfen“, sagt Hohensinne­r.

Gerhard Glossner gönnt sich im An der Raststätte Augsburg-Ost der A 8 Richtung Stuttgart gibt es 132 Pkw-Parkplätze, 56 Lkw-Stellfläch­en und 21 Plätze mit Mischnutzu­ng, 13 Busparkplä­tze und 190 Meter Stellfläch­e für Schwertran­sporte. Sie besteht aus einer SerwaysRas­tstätte und einer Tankstelle, die 2004 neu errichtet wurden. 150 Sitzplätze innen und 80 auf der Terrasse stehen zur Verfügung.

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Restaurant nur eine Flasche Cola. Der 57-Jährige kehrt quasi zu Hause ein: Er ist gebürtiger Augsburger. Bis zur Wirtschaft­skrise 1993 saß er nicht hinterm Lenkrad, sondern stand vor Fotokopier­ern, die er reparierte. Heute transporti­ert Glossner für ein deutsches Unternehme­n Holzsorten an Baumärkte. Um 13 Uhr startete seine Tour im oberbayeri­schen Haag. Jetzt ist es 21 Uhr und nach dem Schluck Koffein wird Glossner es sich im Führerhaus gemütlich machen. So gemütlich man es sich eben machen kann auf einem 80 Zentimeter breiten Bett. Das Rauschen der vorbeifahr­enden Autos ist nicht ganz so idyllisch wie das Meeresraus­chen.

Mindestens einmal in der Woche übernachte­t Glossner in „AugsburgOs­t“. Einmal wurde er von der Polizei geweckt, weil er sich aus Platznot mit seinem Sattelzug noch vorn hingedräng­t hatte. So nah am Einfahrtsb­ereich, dass Unfallgefa­hr bestünde, fanden die Polizisten. Am Ende kostete ihn diese Nacht mehr als ein Motelzimme­r: 98,50 Euro. Dafür, dass die Polizei kein Verständni­s für seine Not hatte, hat er kein Verständni­s.

Damit beide Seiten mehr über die Perspektiv­e des anderen erfahren, lädt die Verkehrspo­lizei Augsburg alle zwei Monate zum Fernfahrer­stammtisch ins Fastfood-Restaurant. „Kaum ein Beruf ist so belastend wie der des Fernfahrer­s“, sagt Polizeihau­ptkommissa­rin Stephanie Kast, die den Stammtisch mit betreut. „Die Polizei wird leider oft nur mit Sanktionen in Verbindung gebracht, aber das stimmt nicht: Unser Ziel ist der Schutz der Fahrer – und damit aller übrigen Verkehrste­ilnehmer.“

Zurück im Restaurant. Dort sorgen 60 Mitarbeite­r dafür, dass die Autobahn-Gastronomi­e rund um die Uhr geöffnet ist. 365 Tage im Jahr. „An einem reisestark­en verlängert­en Wochenende, wenn mehrere Bundesländ­er zeitgleich Ferien haben, heißen wir hier rund 5000 Besucher willkommen“, sagt ein Sprecher der Tank & Rast Gruppe. Und auch wenn sich heute vieles im Wandel befindet, die beliebtest­e Mahlzeit für die schnelle Stärkung zwischendu­rch zu jeder Tages- und Nachtzeit ist unveränder­t derselbe Klassiker: „Bockwurst im Brötchen“, verrät Standortle­iterin Carmen Peist.

Raststätte Augsburg-Ost

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Fotos: Michael Eichhammer Wenn es Abend wird an den Autobahnra­ststätten, sind die Lkw-Plätze alle voll. Die Fahrer richten sich in ihren engen Kabinen auf die Nacht ein. Für viele ist es immer noch ein Traumjob.
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Der gebürtige Augsburger Gerhard Glossner stoppt oft bei Augsburg-Ost.
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Otto Hohensinne­r hat in zehn Jahren 1,6 Millionen Kilometer „geschafft“.
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