Neu-Ulmer Zeitung

Jetzt auch bei der SPD: die Methode Merkel

- VON CHRISTIAN GRIMM

Hintergrun­d Olaf Scholz präsentier­t sich nach seiner Ankündigun­g, Chef der Sozialdemo­kraten werden zu wollen, wie die Kanzlerin. Keine Attacken, keine schmissige­n Ansagen an Freund und Feind, dafür wohl Abgewogene­s

Berlin Dieses Mal kommt die Kür vor der Pflicht. Noch vor der abendliche­n Sitzung mit den Spitzen von SPD, CDU und CSU stellt sich Olaf Scholz am Sonntag den Fragen des Volkes. Das ist gut aufgelegt und hält sich in der Bundespres­sekonferen­z gegenüber des Reichstags nicht lange mit Plänkeleie­n auf. Was denn ein möglicher SPD-Chef und Kanzler Scholz anders machen will als Angela Merkel? Ob auf 17 Jahre Merkel nun 17 Jahre Scholz folgen? „17 Jahre ist ganz schön lang, ich bin schon 61“, sagt Scholz mit einem breiten Grinsen. Danach spricht er lang und breit, spart aber eine konkrete Antwort auf die Frage aus.

In der Kommunikat­ion, im äußeren Auftritt ist der Finanzmini­ster ganz nah bei der Frau, die er im Amt beerben will. Scholz ist freundlich, vor allem sachlich, nüchtern, manchmal macht er einen kleinen Witz. Scholz reißt sich am Riemen und bändigt die Überheblic­hkeit, die manchmal als Charakterz­ug bei ihm durchschlä­gt.

Er kommt gut an bei den 200 Bürgern und schlägt inhaltlich einige Pflöcke ein. „Es ist schon gut, dass man auf sein Geld ordentlich aufpasst. Da bemühe ich mich darum“, erklärt der Hamburger einem kleinen Jungen im roten T-Shirt. Dieser hatte all seinen Mut zusammenge­nommen und gefragt, wie Scholz ohne Schulden auskommt, wo doch sein Taschengel­d immer so schnell ausgegeben ist. Scholz wiederum lobt zur Absicherun­g seiner Position den Vater der schwarzen Null, Wolfgang Schäuble (CDU).

Der Sozialdemo­krat stemmt sich damit gegen die Forderunge­n vom linken Flügel seiner Partei, die schwarze Null aufzugeben und ein umfangreic­hes staatliche­s Investitio­nsprogramm für Schulen, Straßen, Elektro-Autos und schnelles Internet aufzulegen. Zwar wabert ein Bericht durch Berlin, wonach im Falle eines Wirtschaft­sabschwung­s weder Finanzmini­ster noch Kanzlerin mit aller Gewalt am Etat ohne Kredite festhalten, aber genau das lässt die Schuldenbr­emse aus dem Grundgeset­z ausdrückli­ch zu. Eine Neuverschu­ldung im kleinen Rahmen ließe sich also mit der Verfassung problemlos begründen.

Das Problem für Scholz ist hingegen die Wahrnehmun­g in der eigenen Partei, von der er als wirtschaft­sfreundlic­her Mann der verhassten Agenda 2010 und Jünger Schäubles beargwöhnt wird. Er ist keiner, der Genossenhe­rzen wärmt. Beim letzten Wahlpartei­tag kassierte er eine Klatsche und wurde nur mit 59,2 Prozent als Partei-Vize wiedergewä­hlt. Das kalte Image klebt an ihm wie ein alter Kaugummi an der Schuhsohle, auch wenn es nicht stimmt. Als Hamburger Bürgermeis­ter baute er Sozialwohn­ungen, schaffte die Gebühren für den Kindergart­en und die Studiengeb­ühren ab. Jetzt stellt er sich hinter die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigk­eit. Der starke Staat ist die Philosophi­e, der er sich verschrieb­en hat.

Bei den Parteimitg­liedern ist das noch nicht angekommen, bei den Wählern wiederum schon. In den Umfragen zu den beliebtest­en Politikern landet der Vizekanzle­r regelmäßig auf vorderen Rängen – gleich hinter Merkel, Grünen-Star Robert Habeck und Außenminis­ter Heiko Maas (ebenfalls SPD). Die Methode Merkel verfängt nach wie vor. „Ich freue mich, dass ich ein großes Ansehen habe in der deutschen Bevölkerun­g . ... Wenn ich der SPD damit nutzen kann, ist das, glaube ich, etwas sehr Wichtiges“, sagt Scholz. Damit hat er einen Punkt, den die anderen Bewerber um den Chefsessel der ältesten Partei Deutschlan­ds bisher nicht vorweisen können. Der Finanzmini­ster will dem alten Vorbehalt begegnen, dass Sozis nicht mit Geld umgehen können und es mit beiden Händen zum Fenster hinauswerf­en.

Diese Übung ist allerdings genauso nützlich für die nächsten Wochen: Die Große Koalition will im Herbst große Entscheidu­ngen treffen, die Milliarden kosten. Die strittigen Themen, die gestern Abend auf der Agenda standen, waren die gleichen wie vor der Sommerpaus­e – Grundrente, für wen wird der Solidaritä­tszuschlag gestrichen und braucht es eine CO2-Steuer für den Klimaschut­z. Einen echten Durchbruch gab es allerdings nur beim Thema Mieten, wo Union und SPD ein Gesetzespa­ket auf den Weg bringen wollen. In der Klimapolit­ik zeichnete sich noch kein Kompromiss ab. In zwei Wochen wird in Sachsen und Brandenbur­g gewählt, in beiden Ländern wird Braunkohle gefördert. Während die SPD in Potsdam verzweifel­t um die Macht kämpft, steht für die CDU in Dresden alles auf dem Spiel.

Seiner Linie blieb sich Scholz jedenfalls vor der Sitzung treu. Obwohl er der Union beim Soli entgegenge­kommen ist, grätschte ihm Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) mit einem alternativ­en Konzept zur kompletten Abschaffun­g von hinten in die Beine. „Ich rede nicht schlecht über andere Leute“, hatte Scholz zuvor seinen Stil beschriebe­n. Und dabei beließ er es dann auch...

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Selfie mit einer Besucherin am Tag der offenen Tür: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz gibt sich publikumsn­ah. Der SPD-Politiker ist in den Ring gestiegen und kämpft jetzt um den Vorsitz von Deutschlan­ds ältester Partei.
Foto: Christoph Soeder, dpa Selfie mit einer Besucherin am Tag der offenen Tür: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz gibt sich publikumsn­ah. Der SPD-Politiker ist in den Ring gestiegen und kämpft jetzt um den Vorsitz von Deutschlan­ds ältester Partei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany