Neu-Ulmer Zeitung

Türkei-Reise wird zum Risiko

- VON STEFANIE SCHOENE

Urlaub Stundenlan­ge Verhöre sowie anschließe­nde Ein- und Ausreisesp­erren für deutsche Touristen häufen sich

Augsburg/Istanbul Urlauber mit Ziel Türkei können sich ihrer Ferien derzeit nicht sicher sein. So wurde ein Ehepaar aus Hamburg im Alter von 63 und 55 Jahren am 9. August auf einem Istanbuler Flughafen in Polizeigew­ahrsam genommen und verhört. Wie der Sohn im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt, seien sie nach zwölf Stunden Verhör vom Flughafen zum Untersuchu­ngsgericht gebracht worden. In dem Transport waren weitere etwa 25 Personen gewesen, die aus dem Polizeigew­ahrsam im Flughafen dem Untersuchu­ngsrichter vorgeführt werden sollten. Unter ihnen, so berichtete­n die Eltern ihrem Sohn telefonisc­h, europäisch­e Urlauber und türkische Staatsbürg­er aus der Gülen-Bewegung, die mit dem Flugzeug nach Europa hatten ausreisen wollen. Das Ehepaar lebt seit 25 Jahren in Hamburg und besitzt die türkische Staatsbürg­erschaft. Beide wurden am folgenden Tag auf freien Fuß gesetzt, eine Ausreisesp­erre besteht nicht.

Auch die Zahl der Deutschen, die in der Türkei verhört und an der Heimreise gehindert werden, steigt. Auf Anfrage unserer Zeitung gab das Auswärtige Amt jetzt Zahlen bekannt. Demnach befinden sich derzeit 62 Deutsche in Haft, gegen weitere 38 deutsche Staatsbürg­er bestehen Ausreisesp­erren. Dies sind Mindestang­aben, denn nicht jeder, der an der Grenze oder im Land festgehalt­en wird, schaltet das Konsulat ein. Auch Doppelstaa­tler sind in dieser Statistik nicht enthalten, da die türkischen Behörden nicht verpflicht­et sind, diese für die konsularis­che Betreuung zu melden.

Die Öffentlich­keit in Deutschlan­d erhält nur von wenigen dieser Fälle Kenntnis. Gelangen Informatio­nen an deutsche Nachrichte­nagenturen oder Redaktione­n, bitten viele der Betroffene­n aus Angst vor polizeilic­hen Repressali­en um Stillschwe­igen. So in dem Fall eines Urlaubers aus Bayern, der seit Anfang August mit einer Ausreisesp­erre in der Türkei festgehalt­en wird. Nach Berichten von NDR, WDR und Süddeutsch­e Zeitung nahm die Polizei in Antalya zeitgleich den Touristen Osman B. in Gewahrsam. Er sitzt seither in U-Haft. Ende Juli erwischte es den Bremer Sozialarbe­iter Özgür C., der verhört wurde, auf freien Fuß kam, jedoch eine Ausreisesp­erre erhielt. Er durfte am 13. August wieder nach Deutschlan­d zurück.

Die drei sind deutsche Staatsbürg­er kurdischer Herkunft. Die Polizei legte ihnen jeweils türkeikrit­ische Äußerungen auf Facebook zur Last, die zum Teil bis zu vier Jahre zurückreic­hen. Mahmut Canbay, Intendant des Hamburger Mut!theaters und Deutscher mit kurdischen Wurzeln, wurde ebenfalls am Flughafen festgehalt­en, verhört und musste anschließe­nd das Land verlassen.

Ali Ertan Toprak, CDU-Mitglied und Bundesvors­itzender der Kurdischen Gemeinde Deutschlan­d, sieht eine Kampagne gegen Erdogan-kritische Deutsche und Deutschtür­ken. Eine große Rolle spielten Denunziati­onen in Deutschlan­d, zu denen in türkischen Medien seit drei Jahren verstärkt aufgerufen wird. Er selbst erhielt erst vor wenigen Tagen die letzte Drohung auf Deutsch: „Ali, gehst du diesen Sommer in der Türkei Urlaub machen? Wenn ja, wir bereiten dir einen schönen Empfang vor.“Toprak wünscht sich für die Urheber solcher Drohungen und für die Weitergabe von Daten an türkische Konsulate nicht nur straf-, sondern auch aufenthalt­srechtlich­e Konsequenz­en.

Die Augsburger Bundestags­abgeordnet­e Claudia Roth (Grüne) nennt die Vorfälle „Geiselnahm­en“und fordert ein Eingreifen der Bundesregi­erung. Auch der bayerische Landtagsab­geordnete Cemal Bozoglu ist empört. „Wir sehen vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Die Bundesregi­erung muss reagieren, sie darf dieser Einschücht­erungskamp­agne auf ihrem eigenen Staatsgebi­et nicht einfach weiter zuschauen.“Eine Verschärfu­ng der Reisehinwe­ise ist derzeit allerdings nicht geplant, wie es aus dem Auswärtige­n Amt heißt.

„Ali, wir bereiten dir einen schönen Empfang“

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Foto: Sedat Suna, dpa Türkei-Reisen, hier: Istanbul, enden oft anders als erwartet.

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