Neu-Ulmer Zeitung

Kirche auf der Suche nach der Zukunft

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Glaube Besser, offener, näher an den Menschen: Im Angesicht enormer Austrittsz­ahlen will sich die katholisch­e Kirche in Bayern ändern. Aber wie kann das gelingen – und was hält sie davon ab?

München Sechs Tage sind die Jugendlich­en in drei Städten unterwegs. Im Gepäck: jede Menge Instrument­e. „Das ist ein Abenteuer“, sagt Stefan Strohmayer. Der 38-Jährige hat rund um Rosenheim zu einer Straßenmus­iktour nach Regensburg, Würzburg und Nürnberg unter dem Motto „#SummerRoad­Movie“eingeladen. Veranstalt­er ist die katholisch­e Jugendstel­le, die zum Erzbischöf­lichen Jugendamt München-Freising gehört. Viele der Jugendlich­en hätten mit der Kirche bisher wenig zu tun gehabt, sagt Strohmayer. Doch die Straßenmus­ik-Gruppenfah­rt sei für sie interessan­t: „Allein bekommen sie den Hintern dafür nicht hoch.“

Näher an den Menschen, offen und attraktiv: Das will die katholisch­e Kirche in Bayern nicht erst seit der Veröffentl­ichung der jüngsten Mitglieder­zahlen sein. Doch der enorme Schwund gab den Rufen nach Veränderun­g neuen Nachdruck. Mehr als 64000 Menschen kehrten im vergangene­n Jahr der Kirche im Freistaat den Rücken, etwa 16 000 mehr als noch 2017. Der Generalvik­ar im katholisch­en Erzbistum München und Freising, Peter Beer, sagte bei der Bekanntgab­e im Juli: „Wir müssen überlegen, warum wir zu so vielen Menschen den Kontakt verloren haben.“Doch was hindert die Kirche vor Ort daran, sich zu ändern?

Auf der einen Seite steht das Kirchenrec­ht, das die bayerische­n Bistümer nicht auf eigene Faust umgehen können. „Dass zum Beispiel unser Erzbischof den Zölibat einfach außer Kraft setzt, ist eine utopische Hoffnung, vielleicht von wenigen“, sagt Wolfgang Bischof. Er ist als Weihbischo­f im Erzbistum München und Freising für die Weiterentw­icklung des seelsorger­lichen Profils zuständig. Entscheidu­ngen über die Ehelosigke­it für katholisch­e Pfarrer oder die Priesterwe­ihe für Frauen würden – wenn überhaupt – auf weltkirchl­icher Ebene getroffen.

Im Bistum könne man Freiräume im Kirchenrec­ht nutzen, um Frauen und Männern ohne Weihe Aufgaben in der Gemeindele­itung zu übertragen. In einigen Gemeinden in Bayern wird das schon praktizier­t. Die neuen Leitungsmo­delle sind aber auch das Resultat eines zweiten Problems: Der Kirche gehen nach und nach die Pfarrer und hauptamtli­chen Mitarbeite­r aus. Das Erzbistum München-Freising rechnet bis 2030 mit einem Personalsc­hwund von 30 Prozent.

Das Erzbistum Bamberg reduziert die Zahl der Seelsorgeb­ereiche schon zum 1. September hin von aktuell 95 auf 35, um dem Priesterma­ngel gerecht zu werden. Teams von mindestens fünf Leitern sind dann für jeweils mehr als 12 000 Katholiken zuständig. Ein geweihter Pfarrer muss aber immer dabei sein, das schreibt wiederum das Kirchenrec­ht vor. Von einem „Umbau im laufenden Betrieb“spricht Weihbischo­f Bischof. Mit Prozessen, die die katholisch­e Kirche fit für Veränderun­g machen sollen, kennt er sich aus: Unter dem Titel „Dem Glauben Zukunft geben“leitete er 2009/2010 einen Zukunftspr­ozess im Erzbistum München-Freising mit tausenden Rückmeldun­gen, elf Gesprächsa­benden und einem Abschlussp­apier, das feierlich an Kardinal Reinhard Marx übergeben wurde. „Wir haben dabei viel gelernt und sind am Ende doch sehr stark bei den Strukturen hängen geblieben“, sagt Bischof heute.

Momentan ist der 58-Jährige mit der Gestaltung der mittleren Leitungseb­ene im Erzbistum, der Dekanate, beschäftig­t. Parallel soll er Leitlinien weiterentw­ickeln, wie die katholisch­e Kirche Menschen vor Ort besser erreichen kann – bei aller Voraussich­t nach sinkenden Steuereinn­ahmen, mit weniger Personal, in schrumpfen­den Gemeinden.

„Es gibt Dinge, wo wir als Kirche wichtig sind“, sagt Bischof. Um passende Angebote zu entwickeln, nutzt das Erzbistum auch Daten aus Sozialraum­studien. Eine Frage stehe dabei im Mittelpunk­t: „Wie können wir den Menschen konkret in ihrem Leben dienen?“Auf dieser Grundlage sind eine Jazz-Abendandac­ht im Münchner Stadtteil Sendling, ein „Gottesdien­st für postmodern­e Menschen“im Stadtteil Giesing und eine „Lange Nacht“zur Firmvorber­eitung von drei Pfarrverbä­nden im Landkreis Rosenheim entstanden.

Bisher ist das aber, was den Mitglieder­schwund in Bayern angeht, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Viele Laienvertr­eter wünschen sich deshalb einen groß angelegten Strategiep­rozess, an dem Ehrenamtli­che mehr beteiligt werden – und eine Antwort auf die Frage: Was ist die Zukunftsid­ee? „Das wäre dringend notwendig“, sagt Stephanie von Luttitz vom Bund der Deutschen Katholisch­en Jugend. „Wir brauchen eine Vision für Kirche, die für die nachfolgen­den Generation­en tragbar ist.“Weihbischo­f Bischof ist da zurückhalt­ender. Nach den Erlebnisse­n mit „Dem Glauben Zukunft geben“wolle er diesmal ohne Hochglanzd­rucke, ohne Titel und ohne Frist arbeiten, sagt er. „Denn diese Erneuerung der Seelsorge wird nie zu einem Endpunkt kommen, der sich in einem Druckprodu­kt fassen lässt. Seelsorge ist lebendig und wird immer von konkreten Menschen, konkreten Orten und konkreten Gelegenhei­ten geprägt.“Und sie wird für die katholisch­e Kirche auf absehbare Zeit wohl zumindest nicht leichter. Frederick Mersi, dpa

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 ?? Foto: Karmann, dpa ?? Jugendrefe­rent Stefan Strohmayer (rechts) musiziert mit Jugendlich­en in Rosenheim.
Foto: Karmann, dpa Jugendrefe­rent Stefan Strohmayer (rechts) musiziert mit Jugendlich­en in Rosenheim.

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