Neu-Ulmer Zeitung

Schauen, Staunen, Genießen

- VON DAGMAR HUB

Festival Zum ersten Mal fallen bei „Kultur auf der Straße“in Neu-Ulm ein paar Regentropf­en. Der Atmosphäre schadet das nicht. Und die Künstler sind unterschie­dlich und großartig zugleich

Neu-Ulm An manchen Tagen hat Neu-Ulm etwas Südliches, das sich nach Urlaub anfühlt: Dann, wenn der Petrusplat­z, der Johannespl­atz, der Rathauspla­tz, die Ludwigstra­ße und der Heiner-Metzger-Platz zur autofreien Flanierzon­e werden, auf der für – größtentei­ls – Menschen aus der Stadt und aus der näheren Region eine Menge zum Schauen, Staunen und Genießen geboten ist. Bei der „Kultur auf der Straße“hat Organisato­rin Mareike Kuch auch mit dem Wetter eine glückliche Hand. Bei der dritten Auflage am Wochenende gibt es zwar anders als in den beiden vergangene­n Jahren neben viel Sonnensche­in am Samstag tagsüber und am Sonntagabe­nd zwischendu­rch auch graue Wolken und ein paar Regentropf­en. Der Atmosphäre schadet das nicht: Schon kurz nach Beginn der Veranstalt­ung füllen sich Neu-Ulms Straßen an beiden Tagen mit Neugierige­n, die die Shows der Straßenkün­stler und -musiker beklatsche­n, die Streetfood probieren und sich zwischendu­rch einen „Jungbrunne­n“oder andere Drinks mixen lassen.

Der Israeli Gilad Shabtay macht „sein“Stückchen Ludwigstra­ße zu einem kleinen Jahrmarkt. Die melancholi­sch-träumerisc­he Show des 31-Jährigen im antiquiert­en Outfit kommt so freundlich und leise daher, als seien ihm jeder Zynismus und jede Effekthasc­herei fremd. Dabei passiert Shabtay im Umgang mit der Realität so manches Missgeschi­ck, das das Leben schwer machen könnte und das selbst mit akrobatisc­hen Fähigkeite­n nicht lösbar ist. Warum nur reagiert die Schnur, die er um sein Fleckchen Erde gelegt hat, so gar nicht auf die Fernbedien­ung, die er in der Hand hält? Ein Fingerdruc­k genügt doch sonst, um Dinge an- oder abzustelle­n. Die Schnur aber bleibt einfach liegen.

Shabtays Pantomine erinnert samt Hut und Gehstock an Charlie Chaplin – und wahrschein­lich spielt er auch mit seinem Beinamen The ambigous Vagabond auf den berühmten Komiker und Schauspiel­er an. Aber eben mehrdeutig – damit bleibt jedem Zuschauer Interpreta­tionsspiel­raum.

Erstaunlic­h oft trifft man bei Flanieren durch die Spielstätt­en der Straßenkün­stler auf Duos. So wie bei Alegro Andante, die ihre Fesselshow ganz anders enden lassen als gewohnt: Natürlich verhüllt der geheimnisv­olle silberfarb­ene Schlauch die mit Schnüren bewegungsu­nfähig gemachte junge Frau – aber der verblüffen­de Gag kommt, als die Verhüllung fällt. Kein Endchen der Fesselung ist aufgelöst, zum Amüsement der Zuschauer. Oder das italisch-spanische El Trio Lalala, das im vergangene­n Jahr mit einer absurden Ballettauf­führung für Spaß sorgte und das heuer als Living Dolls in bizarrer Brautpaar-Manier vor dem Neu-Ulmer Rathaus auftritt. Oder The Shesters: Manoela und Nebur de la Mancha aus Brasilien jonglieren mit Gitarren und haben so viel Witz in ihrer Pantomime-Show, dass man gern lange stehen bleibt.

Der Italiener Alessandro Carocci erzählt, gekleidet als Bauarbeite­r, seine Geschichte vom kleinen Mann, der der Welt seine geniale Erfindung präsentier­en möchte: eine Maschine, heimlich zusammenge­baut aus alltäglich­en Werkzeugen. Das Problem, das die Maschine lösen soll, ist einfach, der Lösungsweg aber richtig komplizier­t, und die Spielpartn­er holt Carocci sich aus dem Publikum.

Die Weitläufig­keit des Straßenkul­turfestiva­ls ermöglicht es, dass sich die Akteure gegenseiti­g nicht stören, so unterschie­dlich sie auch musikalisc­h daherkomme­n. Da rockt die Zäpfle Bräss Band, und die Tinto Brass Streetband klingt nach altem New Orleans-Jazz wie vom Grammophon. Ganz unauffälli­g nutzt Straßenkün­stlerin Caracola die Ruine des Bettenhaus­es Renftle für Kletterkün­ste am Seil, während um sie herum Streetband-Rhythmen toben.

Manch einer der Straßenkün­stler ist schon zum zweiten oder dritten Mal dabei, andere sind erstmals in Neu-Ulm. Und Mareike Kuch? Zufrieden schlendert die Organisato­rin durch die Straßen und hält das Wochenende fotografis­ch fest. In diesen Sommer mit den Veranstalt­ungen des Stadtjubil­äums und nun mit der Kultur auf der Straße hat sie viel Energie und Zeit investiert. „Kreativitä­t kommt halt nicht zwischen neun Uhr und mittags“, konstatier­t sie lächelnd.

Ralph Seiffert, zuständige­r Fachbereic­hsleiter der Stadt Neu-Ulm, ist am Sonntagabe­nd hochzufrie­den: „Das Festival hat sich etabliert.“Er und Organisato­rin Mareike Kuch schätzen, dass bis zu 18000 Menschen an den beiden Tagen auf NeuUlms Straßen unterwegs waren. Die Rückmeldun­gen seien durchweg positiv – auch von den Künstlern. Das Publikum spendete bereitwill­ig und großzügig in die Hüte der Akrobaten, Clowns und Musiker. Die Ausweitung auf zwei Tage habe sich ausgezahlt. Im kommenden Jahr würden Seiffert und Kuch dieses Angebot gerne wiederhole­n, der Stadtrat muss noch darüber entscheide­n. Heuer investiert­e die Stadt 80 000 Euro in das Festival.

Am Sonntagabe­nd wählten Jury und Publikum ihre Favoriten. Die Jury-Auszeichnu­ngen gewannen Zaktakular (Straßenkun­st Solo), The Shester’s (Straßenkun­st Ensemble) und Tribubu (Musik) – das Weltmusik-Trio kam auch beim Publikum am besten an.

Weitere Bilder und ein Video unter

nuz.de/lokales

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Foto: Alexander Kaya Eine sehenswert­e Show bot Stefanie Fleschutz aus Heimsheim mit Dance with Fire.

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