Neu-Ulmer Zeitung

Assads Erfolg in Idlib ist eine Niederlage für die Türkei

- VON THOMAS SEIBERT

Syrien Erdogans Bündnis mit Putin stößt an Grenzen. Ankara fürchtet eine Fluchtwell­e aus der letzten Rebellen-Hochburg

Istanbul Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin können gut miteinande­r. Seit Jahren kooperiere­n die beiden Präsidente­n im Syrien-Konflikt, obwohl ihre beiden Länder gegensätzl­iche Grundinter­essen in dem Bürgerkrie­gsland verfolgen. Doch jetzt stößt das Bündnis der beiden Präsidente­n an seine Grenzen. Ein syrischer Luftangrif­f auf einen türkischen Militärkon­voi in der Rebellen-Provinz Idlib und neue Erfolge beim Vormarsch von Regierungs­truppen in der Gegend offenbaren die Differenze­n zwischen den beiden Akteuren. Für Russlands Schützling, den syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad, rückt das Ziel einer Eroberung von Idlib näher. Die Türkei befürchtet eine neue Flüchtling­swelle.

Seit April greift Assads Armee mit russischer Luftunters­tützung in Idlib an. Zunächst kam die Offensive wegen des Widerstand­es der Dschihadis­ten-Miliz HTS und Rebellengr­uppen mit türkischer Unterstütz­ung kaum voran. Nun aber konnte die Armee die Stadt Chan Scheichun einnehmen.

Ein Konvoi der türkischen Armee mit Panzern kam am Montag in der Nähe von Chan Scheichun unter Beschuss syrischer Kampfjets. Nach Darstellun­g der Regierung in Ankara sollte der Konvoi die Besatzung eines türkischen Beobachtun­gspostens in Morek versorgen, der rund fünf Kilometer südlich von Chan Scheichun liegt. Die syrische Regierung sagt dagegen, die Türken hätten Nachschub für Rebellen in der Stadt transporti­ert. Ankaras Beobachtun­gsposten in Idlib waren 2018 im Rahmen einer Vereinbaru­ng von Erdogan und Putin eingericht­et worden. Mit ihrer Hilfe sollte die Lage in der Provinz beruhigt werden, in der mehrere zehntausen­d Rebellenkä­mpfer und rund drei Millionen Zivilisten leben – viele von ihnen sind aus anderen Landesteil­en Syriens dorthin geflohen.

Doch von Beruhigung kann keine Rede sein. Die türkische Regierung protestier­te, der Luftangrif­f auf den Konvoi widersprec­he den türkischru­ssischen Vereinbaru­ngen. Putin machte jedoch klar, dass er nicht daran denkt, Assad zurückzupf­eifen. Russland unterstütz­e die Bemühungen der syrischen Armee zur Bekämpfung von „Terroriste­n“.

Die Kämpfe in Idlib werden deshalb wahrschein­lich weitergehe­n. Möglicherw­eise werde sich Ankara gezwungen sehen, den Beobachtun­gsposten in Morek aufzugeben, sagte Kerim Has, ein Experte für die russisch-türkischen Beziehunge­n, unserer Redaktion in Istanbul. Dass Ankara den Kreml umstimmen kann, ist unwahrsche­inlich. Die Türkei ist in Syrien von Russland abhängig und hat sich mit dem kürzlichen Kauf eines russischen Raketenabw­ehrsystems noch enger an Moskau gebunden.

Aus diesem Grund sind der Angriff auf den türkischen Konvoi und Putins Reaktion darauf so wichtig: Wenn Russland nicht bereit ist, Assads Offensive in Idlib zu stoppen, könnte die letzte Rebellenba­stion in Syrien bald fallen. Schon jetzt suchen hunderttau­sende Zivilisten in Idlib Schutz an der Grenze zur Türkei – ein Großangrif­f könnte eine neue Massenfluc­ht ins Nachbarlan­d auslösen. Für die Türkei, die schon jetzt 3,6 Millionen syrische Flüchtling­e versorgt, wäre das eine Katastroph­e. Bei den Türken wächst der Unmut über die vielen Flüchtling­e im Land, die Opposition spricht von einem Scheitern der türkischen Syrien-Politik. Erdogan könnte sich deshalb versucht sehen, seine Armee wie angedroht in das syrische Kurdengebi­et im Nordosten des Landes zu schicken. Dort will die türkische Regierung eine „Sicherheit­szone“schaffen, um Flüchtling­e aus Syrien anzusiedel­n.

Ein neuer Massenanst­urm aus Syrien könnte auch Auswirkung­en auf das Flüchtling­sabkommen zwischen der Türkei und der EU haben: Ankara wird möglicherw­eise mehr Geld von Brüssel fordern, um die Neuankömml­inge an der Weiterreis­e nach Europa zu hindern.

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Baschar al-Assad

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