Neu-Ulmer Zeitung

Diese Elchinger wollen hoch hinaus

- VON ARIANE ATTRODT

Abenteuer Marina und Chris Keller brechen diese Woche nach Nepal auf. Ihr Ziel: Die Spitze des 8156 Meter hohen Bergs Manaslu. Unzählige Trainingss­tunden liegen hinter dem Ehepaar. Aber der Gipfel ist für sie keine Pflicht

Elchingen Mehrere Seile, Schlafsäck­e, Karabinerh­aken oder Spezialsch­lafsäcke: Die Wohnung von Marina und Chris Keller gleicht momentan einem Fachgeschä­ft für Bergsteige­r-Ausrüstung. In wenigen Tagen muss alles in vier Taschen und zwei Rucksäcken Platz finden – denn dann bricht das Ehepaar aus der Gemeinde Elchingen zu einer sechswöchi­gen Expedition nach Nepal auf. Das Ziel: Der Gipfel des Bergs Manaslu in 8156 Metern Höhe – und das, obwohl Chris Keller in seiner Kindheit sportlich sehr eingeschrä­nkt war und seine Frau Marina dem Wandern früher gar nichts abgewinnen konnte.

Am Anfang ihrer Reise werden die beiden zunächst vier Tage in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals verbringen. Von dort aus machen sie sich zu Fuß aus ins Basislager, das sich das Ehepaar mit zwei Österreich­ern sowie einer Gruppe aus Litauen teilen wird. „Dann haben wir 35 Tage am Berg“, sagt Chris Keller. Bei der Besteigung geht es aber nicht geradewegs auf den Gipfel: Nach dem Erreichen des ersten Zwischenla­gers, geht es erst einmal zurück zum Basislager, von dort aus dann wieder hoch, dieses Mal bis zum zweiten Zwischenla­ger, dann wieder zum Basislager und so weiter – bis man schließlic­h den Gipfel erreicht hat. Durch dieses Vorgehen soll sich der Körper besser an die Bedingunge­n am Berg gewöhnen. Wie viel des Weges das Paar tatsächlic­h gemeinsam zurücklege­n wird, wird sich noch zeigen: Denn jeder der beiden hat für die Expedition einen eigenen Sherpa an der Seite. „Jeder geht sein Tempo“, sagt Chris Keller und fügt hinzu: „Man ist schon ein Team, aber jeder muss auch nach sich selbst schauen.“

Mit Bergen und Wandern konnte Marina Keller früher überhaupt nichts anfangen: „Als wir uns vor sechs Jahren kennengele­rnt haben, war das immer sein Thema. Ich dachte immer: Ich doch nicht hoch und dann wieder runter, das macht doch gar keinen Sinn“, sagt die 32-Jährige und lacht. Vor vier Jahren ging sie zum ersten Mal auf eine Wandertour mit – und fand dann immer mehr Gefallen daran. 2016 reisten die beiden zum ersten Mal nach Nepal, machten dort eine Trekkingre­ise. 2018 bestiegen die beiden dort den 6000er Merapik. Doch: „Das hat uns nicht gereicht“, sagt Chris Keller. Deshalb überlegte das Paar, welcher Berg den Fähigkeite­n der beiden entspreche – und welcher ihnen auch zusagt. Im Mai stand die Entscheidu­ng dann fest: Der Manaslu soll es ein.

Bereits seit ihrer ersten Reise 2015 hat Nepal die beiden jungen Bergsteige­r begeistert. „Die Menschen vor Ort sind immer fröhlich und freundlich“, so Chris Keller. „Von dem buddhistis­chen Denken kann man viel davon lernen, was eigentlich wichtig ist im Leben.“Besonders beeindruck­end finden die beiden die Organisati­on „Sherpa Nepalhilfe“des Tübinger Arztes Mathias Baumann, der nach dem Erdbeben in Nepal mehrere Schulen und ein Krankenhau­s gebaut hat.

Doch vor der Reise kam knallharte­s Training – bis zu sechsmal die Woche mehrere Stunden lang. Dabei griffen die beiden auch auf die Unterstütz­ung von Ärzten aus der Region zurück, arbeiteten zudem mit dem Ulmer „Laufsinn“-Team zusammen. „Wir haben immer viel Sport gemacht, aber dann haben wir noch einmal Vollgas gegeben“, sagt Marina Keller. Joggen, Fahrradfah­ren und natürlich viel Wandern standen auf dem Plan. In die Berge ging es mit extra Gewicht, um den Köper auf die Belastung vorzuberei­ten. „Wir hatten Rucksäcke voller Wasserflas­chen“, erzählt Chris Keller. „Manchmal sage ich mir: Du bist doch verrückt. Wärst du doch einfach sechs Wochen an den Strand gefahren“, ergänzt Marina Keller und lacht.

Außerdem brauchten die beiden neues Equipment. „Es ist ein Unterschie­d, welche Daunenjack­e für einen 6000er und welche für einen 8000er geeignet ist“, betont Chris Keller. Denn, wenn auf 7000 Meter Höhe auf einmal Wolken aufziehen, fällt die Temperatur schnell auf Minus 30 Grad. Deswegen haben die beiden spezielle Schutzanzü­gen, Schlafsäck­e und Schuhe, die mehrfach isoliert sind. Am Berg seien die kleinsten Dinge entscheide­nd – denn diese würden „brutal abgerechne­t“, so der 35-Jährige weiter.

Auch, wenn das ganze Equipment „sündhaft teuer“sei: Das Elchinger Ehepaar hat sich bewusst dagegen entschiede­n, für ihre Expedition Sponsoren zu suchen, es trägt die komplettem Kosten selbst. Sie wollen sich selbst keinen unnötigen Druck machen. Chris Keller erklärt: „Es gibt so viele Dinge am Berg, wo du Vernunft walten lassen musst. Dann triffst du vielleicht eine fatale Entscheidu­ng, die du dann am Ende mit Gliedmaßen wie Zehen einbüßt.“

Der Antrieb zu sportliche­n Leistungen entstammt Chris Kellers Kindheit, wo er wegen einer chronische­n Atemwegser­krankung sportlich stark eingeschrä­nkt war. „Jeder hat immer nur gesagt, was ich nicht machen kann“, erinnert er sich. Vor mittlerwei­le 17 Jahren entdeckt er das Wandern für sich: Er merkte, wie ihm die Luft in den Höhen guttut, weil sie keine allergenen Stoffe enthält. Seine Atemwegser­krankung wurde kontrollie­rbar, er ist bei alltäglich­en Dingen nicht mehr beeinträch­tigt. „Da habe ich die Lektion gelernt: Nur, weil mir jemand sagt, dass ich das nicht kann, heißt das nicht, dass ich es wirklich nicht kann.“

Dem 35-Jährigen ist es wichtig, den Bergsport nicht auf die Leute zu reduzieren, die am Ende tatsächlic­h auf dem Gipfel stehen. „Da gibt es eine riesengroß­e Anzahl an Menschen, die einen unterstütz­t“, sagt er und fügt hinzu: „So einen Berg erklimmt man eigentlich nie alleine.“Der Gipfel ist für die beiden sowie nicht unbedingt Pflicht, wie Marina Keller betont: „Ziel ist es natürlich, ihn zu erreichen. Aber die Reise alleine ist schon ein Erlebnis. Der Gipfel wäre nur das i-Tüpfelchen.“

Jeder geht in seinem eigenen Tempo

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Fotos: Alexander Kaya Das Elchinger Ehepaar Chris und Marina Keller startet nach monatelang­er Vorbereitu­ng zu einer sechswöchi­gen Expedition nach Nepal. Dort wollen sie den über 8000 Meter hohen Berg Manaslu besteigen.
 ??  ?? Besonders wichtig am Berg: Die richtigen Medikament­e, unter anderem für die sogenannte Höhenkrank­heit.
Besonders wichtig am Berg: Die richtigen Medikament­e, unter anderem für die sogenannte Höhenkrank­heit.
 ??  ?? In diesen Schuhen übersteht man auch die zweistelli­gen Minusgrade.
In diesen Schuhen übersteht man auch die zweistelli­gen Minusgrade.
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MITTWOCH, 21. AUGUST 2019

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