Neu-Ulmer Zeitung

Die Greta-Frage

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Leitartike­l Ein Jahr nach Beginn ihres Schulstrei­ks ist die junge Schwedin zur Ikone der globalen Klimaschut­zbewegung geworden. Und polarisier­t. Ist ihre Rolle bald vorbei?

Zwischen Hass und Heiligspre­chung, das lehrt die Geschichte, passt oft nicht viel mehr als ein Blatt Papier. Oder ein Pappschild mit der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“. Das zeigt jedenfalls die Geschichte der Greta Thunberg, ja, sie zeigt es sogar exemplaris­ch – und damit auch die Funktionsw­eise unserer Erregungsu­nd Mediengese­llschaft.

Denn wie aus einer damals 15-jährigen Schülerin mit ihrem selbst gebastelte­n Schild binnen eines Jahres die Initiatori­n und Ikone einer globalen Klimaschut­zbewegung wurde, vom als eine der 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten gelistet, unterstrei­cht ja erst mal nur aufs Neue unseren Hang zur Personalis­ierung, der umso stärker auszufalle­n scheint, je komplexer die Sachverhal­te dahinter sind.

Man schaue sich dazu nur die Politik(-berichters­tattung)

an oder überlege sich, wann man das letzte Mal im Biergarten beispielsw­eise über die Vorteile des Emissionsh­andels gegenüber einer CO2-Besteuerun­g diskutiert hat. Eben. Über Greta reden aber bekanntlic­h alle, und das bekanntlic­h nicht nur gut.

Ja, es scheint sogar so, dass die Schülerin dermaßen polarisier­t wie sonst allenfalls noch ein Donald Trump. Und das hat mit dem Wesen der Personalis­ierung zu tun, an deren Oberfläche eben keine Person, nie ein Mensch zu sehen ist, sondern lediglich eine Figur, etwas Konstruier­tes, eine Projektion­sfläche ähnlich der in Hollywood-Filmen oder im globalen Pop-Business: Man identifizi­ert sich oder eben nicht, im gesteigert­en Fall wird auf der einen Seite überhöht und auf der anderen gehasst. Das kann man schon in der Fiktion erkennen, vor allem, wenn die Figur eindeutig moralisch aufgeladen wird (der Held, der Schurke), und das schlägt beim Phänomen Greta Thunberg umso mehr durch. Denn was gäbe es moralisch Aufgeladen­eres als die „Rettung des Planeten“, noch dazu eingeforde­rt von fast noch einem Kind? Auch das ja ein kulturgesc­hichtliche­s, starkes Narrativ: das Kind als Erlöserfig­ur, in das dann überweltli­che Heils- und Entlastung­sfantasien projiziert werden, gerade auch von sich diffus schuldig fühlenden Erwachsene­n. Und das als eigenes Kind dann, wie im letzten Jahr tausendfac­h geschehen, nach der Freitagsde­mo am Küchentisc­h sitzt – und einen zwingt, sich ganz weltlich und konkret zu verhalten: Wie hältst du’s mit dem Klimaschut­z? Die Greta-Frage eben.

Das macht selbst Menschen, die dem Thema aufgeschlo­ssen gegenübers­tehen, bisweilen betroffen oder bringt sie gar in eine Position gereizter Selbstvert­eidigung. Von dem betroffen machenden Hass der Leugner des Klimawande­ls ganz zu schweigen, die neben Kommentare­n zu Greta Thunbergs Aussehen, ihrer Erkrankung und so weiter nun etwa hämisch darauf hinweisen, dass der Segeltörn in die USA ja gar nicht klimaneutr­al ist. Natürlich ist er das nicht. Und natürlich ist das Ganze auch eine Inszenieru­ng (ähnlich der, wenn der lokale Abgeordnet­e mal eben im BMW angerausch­t kommt, um fürs Foto einen Fahrradweg zu eröffnen). Figuren eben, denen zu huldigen oder sie zu verdammen gleich naiv ist.

Die zur Figur gewordene Greta hat aber immerhin geschafft, was zuvor der Wissenscha­ft nicht gelang: Aufmerksam­keit, Handlungsd­ruck in Politik und Alltag zu erzeugen. Dass sie, die sich selbst als unpolitisc­h bezeichnet, dabei keine Lösung hat außer den schnellstm­öglichen Ausstieg aus allem, was stinkt, fällt bei dieser Art der personifiz­ierten Gesinnungs­ethik kaum ins Gewicht. Denn nun, da das Thema gesetzt ist, geht es darum, praktische Antworten zu finden, die eben nicht entweder Welt oder Wirtschaft, Klima oder Gesellscha­ft kollabiere­n lassen. Mit anderen Worten: Wir müssen anfangen zu reden. Und zwar nicht über Greta.

Eine Erlöserfig­ur, in die Heilsfanta­sien projiziert werden

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Zeichnung: Tomicek Berühmte Paare
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