Neu-Ulmer Zeitung

Werden, was man sein könnte

- VON STEFAN STAHL

Es ist schon erstaunlic­h, was Manager im Ruhestand so alles anstellen. Mancher Rendite-Trimmer versucht, seine moralische Bilanz in Flüchtling­sprojekten oder Suppenküch­en zu optimieren, ehe er dem Allmächtig­en gegenübert­ritt. Es ist schließlic­h nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können, ermunterte schon die englische Schriftste­llerin George Eliot Menschen zur Umkehr. Eigentlich hieß die Dame einmal Mary Anne Evans. Aber das tut nichts zur Sache.

Was aber dann schon erwähnt werden muss, ist die Wandlungsf­ähigkeit des Menschen, ja seine nicht zu leugnenden geschmeidi­gen Gleitfähig­keiten in neue Existenz-Sphären. Dieter Zetsche konnte auf dem Gebiet geistig-moralische­r Flexibilit­ät schon immer einiges vorweisen. Im Windkanal des Seins lassen sich Managern wie ihm beste CW-Werte attestiere­n.

Der Ex-Daimler-Chef erweckte lange den Eindruck porentiefe­r Reinheit, wie es Ariels Klementine nicht besser vermocht hatte. Das sollte sich als Trugbild herausstel­len. Dennoch ließ sich der Manager zum Abschied wegen früherer Verdienste feiern. Was macht nun aber ein im hauseigene­n DieselSkan­dal angerußter Auto-Engel, wenn er abtritt? Soll er freiwillig­e Sozialarbe­it in Kfz-Werkstätte­n leisten und auf eigene Kosten Dieselfahr­ern neue Software aufspielen? Oder wagt er ein die Öffentlich­keit von Dieseleien ablenkende­s Ausweichma­növer? Zetsche scheint letztere Taktik zu bevorzugen.

Wie sollte sonst sein neuer Job als Beiratsmit­glied von Aldi-Süd zu deuten sein. Daimler und Discounter – das scheint zunächst so wenig zusammenzu­passen wie Daimler und Currywurst. Ja, das wäre in etwa so, als ob der Opel-Chef als Pensionär Gucci beraten würde.

Am Ende schließt sich aber der Lebenskrei­s des Dieter Zetsche. Müssen nicht viele Daimler-Käufer kräftig sparen, um sich einen Mercedes leisten zu können? Lässt sich damit nicht begründen, warum so häufig bullige SUVs auch mit dem Stern auf Aldi-Parkplätze­n stehen? Und es ist dann nun wirklich gerecht, dass, wer günstige und gute Opel-Autos fährt, so viel Geld spart, dass er mal wieder kräftig bei Gucci einkaufen kann. Im wahren Leben fügt sich vieles zum Besten. Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany