Neu-Ulmer Zeitung

Die härteste Pop-Band der Welt

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Konzert Metallica sind von jeher Helden der Härte und der Düsternis – aber inzwischen auch Zeitgenoss­en von ausgesucht­er Nettigkeit. Geht das noch zusammen? Beobachtun­gen im ausverkauf­ten Münchner Olympiasta­dion

München Was bleibt von einer Kunst, wenn die Wut und die Ängste, die sie einst gebaren, verebbt sind, wenn die in ihrem Herzen hausenden Dämonen längst ausgetrieb­en wurden? Nur noch Show?

Es ist ein schon spätsommer­lich milder Freitagabe­nd in München. Und zum Abschluss einer an Höhepunkte­n reichen Konzertsai­son ist die Arena mit 69000 Zuschauern noch mal ausverkauf­t. Natürlich. Denn mit Metallica macht eine Band der Superlativ­e auf ihrer Welttourne­e wieder Station: Sie wurde neben Slayer, Megadeth und Anthrax nicht nur die mit Abstand erfolgreic­hste der großen vier Namen, die in den 80ern den Thrash Metal prägten; Metallica sind spätestens seit dem Ende von Black Sabbath und weit vor allen Helden der vielen weiteren Genre-Spielarten bis hin zu Metal Core auch die größte, lebende Metal-Band. Die Kapelle gehört in eine Zeit, in der sich Legenden wie Kiss und AC/DC verabschie­den, in die absolute Spitze der Rock-Welt. Und sie sind dabei auch noch so was wie die härteste Pop-Band der Welt.

Thrash Metal und Pop – wie das zusammenge­ht? Das wird in diesen zweieinhal­b Stunden in München ein weiteres Mal augenfälli­g. Denn zum einen gibt es da natürlich diese mittlere Phase der Band, die Neunziger, als Metallica mit ihrem schwarzen Album über und Hitparaden tatsächlic­h zu veritablen Pop-Stars wurden – obwohl sie doch zuvor mit ihrer epischen Wut und Wucht dem Mainstream betont ferner hätten wirken können. Und jene Hits wie „The Unforgiven“und „Sad But True“prägen ja bis heute die Auftritte dieser live so formidable­n Band, die mit „Nothing Else Matters“und „Enter Sandman“zwei weitere davon zum großen Finale aufbietet.

Freilich stehen dem auch reichlich Songs gegenüber, die so gar nicht nach Pop-Kriterien funktionie­ren: von episch ausufernde­n Monumenten des Band-Kanons wie „One“und „Master of Puppets“bis hin zu Hochgeschw­indigkeits-Metal in „Spit Out the Bone“und dem bruchreich­en Instrument­al „The Call Of Ktulu“, die diesen Abend in München bereichern. Und zudem herrschen im Metallica-Kosmos ja auch die Wut und die Ängste, sitzen Dämonen im Herzen ihres Schaffens, wie sie im Pop vielleicht zur Sprache, aber nie zur Herrschaft kämen.

Aber wenn Metallica seit ihrer Pop-Phase auch stark die Rückbesinn­ung auf den ursprüngli­chen Thrash Metal zelebriere­n und dabei bis zum aktuellen Album „Hardwired…to Self-Destruct“sicherlich die mit Abstand besten Epigonen ihrer selbst sind: Spätestens live zeigt sich, wie sehr hier das Prinzip Pop regiert. Die Gründer James Hetfield und Lars Ulrich, dazu der sehr früh dazugekomm­ene Kirk Hammett und das frischste Band-Mitglied Robert Trujillo, sie sind nicht mehr Künstler, sondern führen als versierte Interprete­n das Spiel kulturelle­r Referenzen auf.

Die musikalisc­hen Symbole der menschlich­en Abgründe, die sie einst mitgeprägt haben, als sie nicht selten auch selbst mit Dämonen rangen, sie kommen bei Metallica gleichsam zur Aufführung. Eigentlich geht es ja doch um den Spaß dabei und die Liebe zueinander – um den Genuss des Kunsthandw­erks, nicht um die Bedeutung der Kunst. Von „Love“und „Fun“spricht auch immer wieder James Hetfield in seinen launigen Ansagen zwischen den Songs – weit davon entfernt, einen Zeremonien­meister der Ängste zu geben. Viel mehr spricht er als Vorsitzend­er der „Metallica Family“, wie er es nennt und von seiner Funktion als den „besten Job der Welt“.

Nein, es schmerzt und ängstigt hier wirklich gar nichts mehr. Wenn es bei ausgewiese­nen Popkonzert­en oftmals so ist, dass Pathos und Pose ein musikalisc­hes Trallala umrahmen – hier werden Pathos und Pose der Musik eben von Trallala umrahmt. Auch die einst inhaltlich auf Wirkung zielenden Inszenieru­ngen sind längst zu Referenzen geworden, die man hier zusammen genießt: Die eigentlich schauerlic­hen Kriegseffe­kte zum Intro von „One“sind bloß noch ein Abbild, das dann eben auch bejubelt wird, wie der Filmaussch­nitt aus dem Kult-Western „The Good, The Bad & The Ugly“am Anfang der Show, dessen Gräberfeld als Referenz auch immer wieder zu anderen Songs zitiert wird: „Harvester of Sorrow“, „Master of Puppets“...

Da passt dann inzwischen sogar bruch- und schmerzlos hinein, dass Metallica punktgenau zu ihrem jeweiligen Konzertort eine dort heimische Band covern. In München ist das wie schon bei der letzten Hallentour die Spider Murphy Gang – damals mit „Skandal im Sperrbezir­k“, diesmal mit „Schickeria“, gespielt und – nun ja, gesungen – vom Duo Trujillo/Hammett. Fun eben.

Alles bloß noch Show also? Das dann doch nicht. Metallica haben inmitten des Jahrzehnte langen und unweigerli­ch Richtung Pop ziehenden Erfolgs den ehrlichste­n Weg für sich gewahrt. Nachdem es ihnen persönlich offenbar gelungen ist, die Dämonen auf dem Weg zu Mittfünfzi­gern, die sie heute sind, loszuwerde­n, zeigen sie diese Gelöstheit auch und geben sich nicht für irgendeine­n Bühnen-Fasching her.

Aus einer kurzen Phase im Anschluss an den Pop-Erfolg, bei dem Image und Stil der Band Ende der 90er wackelten, sind sie schnell als die Kuttenträg­er zurückgeke­hrt, als die sie auch jetzt mit ergrauten Bärtchen noch auf die Bühne treten. Sie und ihr Millionen-Publikum lieben es, wie Hetfield auch in München sagte, musikalisc­h und damit symbolisch: „Heavy“. Gerade aus jener Schwere und Düsternis aber ist den Stars ein anderes Leben erwachsen, leicht und licht. Kein Wunder, dass ihre Auftritte also wirken wie Metallica light. Verstärkt zudem an diesem Abend in München, an dem der Sound einfach zu leise ist. Aber es bleibt ein starkes Konzert mit hier ein bisschen Feuerwerk, dort ein bisschen Laserzaube­r.

Die 69000 mitgealter­ten Zuschauer wirken ja auch nicht mehr wie von Dämonen geschüttel­t. Sie haben Fun, fühlen Love. Aber nenne sie in ihren Kutten und BandShirts, mit ihren Tätowierun­gen, ihrem teils tapfer auch dünn noch lang getragenem Haar bloß keiner: Popper. Bloß weil Metal in die Jahre gekommen und zu Mainstream verkommen ist.

Vor dem letzten offizielle­n Song, vor den Zugaben, betont Sänger Hetfield noch mal, wie schön es sei, sich so geliebt und gebraucht zu fühlen wie Metallica hier in München. Und dann spielen sie „Seek & Destroy“, einen Song des Abends vom Debütalbum aus dem Jahr 1983. Es hieß „Kill ’Em All“samt Blutlache auf dem Cover: Tötet sie alle! Und alle grölen mit. Hach, die Familie …

Und dann covern sie wieder die Spider Murphy Gang

 ??  ?? Metallica am Freitagabe­nd in München (von links): James Hetfield (Gesang und Gitarre), Kirk Hammett an der Gitarre, Robert Trujillo am Bass und Lars Ulrich an den Drums.
Metallica am Freitagabe­nd in München (von links): James Hetfield (Gesang und Gitarre), Kirk Hammett an der Gitarre, Robert Trujillo am Bass und Lars Ulrich an den Drums.
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Fotos: Sven Hoppe, dpa
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